„Astronomie ist das, was die Menschheit seit Urgedenken umtreibt“

„Astronomie ist das, was die Menschheit seit Urgedenken umtreibt“

Dem Anblick von funkelnden Sternen, mystischen und farbenfrohen Nebeln und gigantischen, majestätischen Spiralgalaxien, Millionen von Lichtjahren entfernt, vermag sich kaum jemand zu entziehen. So auch nicht Andreas Schrimpf. Er hielt im Frühjahr am Fachbereich Physik seine Antrittsvorlesung als Prof der Astronomie und seitdem hat die Uni Marburg auch endlich wieder eine offizielle AG der Astronomie am FB 13. PHILIPP hat den frisch gebackenen Prof in seinem Büro getroffen, um sich über seinen gewundenen und langen Weg zur Proffessur der Astronomie zu unterhalten.

PHILIPP: Erst mal danke, dass du die Zeit für das Interview gefunden hast! Was machst du hier eigentlich am Fachbereich?

Prof. Dr. Andreas Schrimpf: Ich bin Arbeitsgruppenleiter der Astronomie-Arbeitsgruppe, mache Vorlesungen am Fachbereich mit dem Schwerpunkt Astrophysik und bin verantwortlich für die Studienberatung und die IT am Fachbereich.

Ok, und was ist das, Astronomie, warum sollte man das studieren?

Oh, das ist einfach das Schönste, was man sich vorstellen kann, um in die Naturwissenschaften reinzugucken. Das ist das, was die Menschheit seit Urgedenken umtreibt. Das ist die Urfrage: Wo kommen wir her, wo gehen wir hin, die letztlich dahintersteckt und weil eben die Bewegung, die Phänomene des Nachthimmels so plakativ für jeden sichtbar sind, hat jeder sofort einen Zusammenhang dazu, ganz anders als bei anderen Gebieten – bei der Astronomie sagt man einfach: geh nachts raus und guck!

Und woran forschst du gerade, oder woran forscht die Arbeitsgruppe?

Wir haben zwei Schwerpunkte, die wir verfolgen. Das eine ist die Astronomiegeschichte von Marburg an sich: Der Fachbereich ist im 19. Jahrhundert von einem Schüler von Gauß gegründet worden, der hier Astronomie betrieben hat, was ein bisschen vergessen wurde. Wir haben eine alte Sternwarte aus der Zeit und bemühen uns, die Geschichte aufzubereiten. Wie hat Marburg daran teilgenommen? Das ist eine spannende Geschichte, die noch längst nicht so weit aufbereitet ist, dass man das wirklich gut erzählen kann. Und unser zweiter Schwerpunkt ist, dass wir kleinere Geräte zur Eigenbeobachtung zur Verfügung haben. Man kann zum Beispiel variable Sterne untersuchen oder Sternsysteme, also stellare Astrophysik, und unser Schwerpunkt hierbei ist die Untersuchung von variablen Sternen. Von Veränderungen, die in Sternen passieren und welche Zustände dahinter eine Rolle spielen, dass die Sterne solche Veränderungen erfahren, periodisch oder sporadisch.

Du hast vorher was ganz anderes gemacht, und zwar nukleare Festkörperphysik. Was war denn die Motivation, sich mit der Astronomie zu beschäftigen? Der Fachbereich hat ja heute in der Halbleiterphysik einen ganz anderen Schwerpunkt.

Ich war in einer AG, die sich mit dem Studium von Festkörpern beschäftigte (Anm. d. Redaktion: Kristalle). Ein neuer Prof, Ackermann, war begeistert und hat mir angeboten, in seiner AG etwas aufzubauen und später auch zu habilitieren. Die Gruppe löste sich auf, als Prof. Ackermann pensioniert wurde und ich musste schauen, wie ich weiter kam. Ich war dann hier in der Studienberatung und in der Organisation eines FSB angestellt und auch zufrieden, aber habe immer versucht, ein neues Forschungsgebiet für mich zu finden. Dabei kam dann so nach und nach meine Liebe zur Astronomie durch. Ich hab dann Astronomievorlesungen gehalten und für unser Planetarium eine Steuersoftware geschrieben. Im Zuge dieser Zusammenarbeit habe ich dann mit einem Mitarbeiter die angefangene Vorlesungsreihe über Astronomie konstant aufgebaut und auch angefangen, Examensarbeiten zu betreuen.

Wie gestalteten sich denn die Anfänge?

Einer der ersten Arbeiten war der Venustransit von 2004 (Anm. d. Red.: Dabei zieht der Planet Venus vor der Sonne vorüber, spektakulär und selten!). Irgendwann bekamen wir die Chance, ein Spektrometer zu kaufen (Anm. d. Red.: Ein Spektrometer teilt das eingehende Licht in seine spektralen Bestandteile, es „ordnet“ das Licht quasi nach Wellenlängen und damit Energie) und ich würde sagen, der erste Student, der sich wirklich mit Astrophysik beschäftigt hat, war Benjamin Hendricks. Er nahm sich mit dem Spektrometer eine Klassifizierung von Sternen vor. Das war 2007 oder 2008. Der Einstieg in professionellere Astrophysik. Von alleine wurde es dann immer größer und größer und entwickelte sich so, wie es jetzt ist.

Und wie hält sich die Arbeitsgruppe heute?

Die Gruppe macht sich eigentlich sehr gut. Mittlerweile haben wir acht Mitarbeiter und sind gut etabliert. Wir haben mittlerweile eine sehr gute Ausstattung von Kameras, von Spektrometern und Zugriff auf die Teleskope der Volkssternwarte in Kirchhain. Dazu kommen noch Daten, die von anderen Sternwarten kommen und die Sonneberger Fotoplatten, die wir auswerten. Mit der Ernennung gab es auch formal die Anerkennung als AG im Fachbereich und sind mit einem Etat versorgt, wie die anderen Gruppen auch. Es ist nicht ganz leicht, wenn man sehr weit in ein Gebiet vorgedrungen ist, nochmal in einem neuen Zweig anzufangen. Man hat zwar auf einigen Bereichen ein Level erreicht was dort anerkannt wird, aber auf dem neuen Gebiet muss man sich diese Anerkennung seitens der Kollegen erst neu erarbeiten. Das ist nicht leicht, aber es geht und es funktioniert und das freut mich.

Stichwort Sonneberger Fotoplatten, was hat es damit auf sich?

In Sonneberg in Thüringen gab es eine Sternwarte, die jetzt eine historische Sternwarte ist. Sie wurde in den 30er Jahren gegründet und bis Ende des 20. Jahrhunderts betrieben. Eines der Hauptprojekte war, dass die Mitarbeiter dort täglich den Nordhimmel mit Weitwinkelkameras fotografiert haben und das über einen Zeitraum von 70 Jahren. Das ist die dichteste Fotoreihe des Nordhimmels, die es gibt. Man kann dort einen Blick auf Aufnahmen des Himmels aus dem 20. Jahrhundert werfen, aus der Zeit, als es noch keine Digitalkameras gab. Heute sind die Aufnahmen, die von den großen Sternwarten gemacht werden, mehr oder weniger kurze Zeit später auch im Internet als Rohdaten verfügbar und jeder kann sie benutzen. Die Daten von Sonneberg sind praktisch noch nicht richtig ausgewertet und das ist das was wir machen. Wir suchen dort nach Veränderungen der Sterne im Laufe der 70 Jahre. Das ist eine Richtung, wo es ziemlich viel Potenzial gibt und die Domäne unserer Forschung.

Von welchem Umfang reden wir hier?

Das sind etwa 250.000 Platten, eine Viertelmillion Fotoplatten.

Wow. Das ist ordentlich. Wie hält sich denn die AG mit der starken, prominenten Konkurrenz in Heidelberg oder Bonn?

Der Hauptunterschied ist, dass es in Heidelberg ganz viele Richtungen der Astronomie gibt, die dort vertreten sind. Heidelberg hat eine lange Tradition und Beteiligung an Weltraummissionen, was es hier nicht gibt, das ist richtig. Ein einzelner Student braucht ein Thema, das ihn packt und ein Umfeld, das reicht, dass er sein Studium machen kann. Das können wir hier in Marburg natürlich gewährleisten und es gibt sehr wohl Astrophysikvorlesungen, die ausreichen, um einen Master in Astrophysik zu machen und auch zu promovieren. Es gibt hier für die Forschung halt nur das Thema der Physik der variablen Sterne und der Astronomiegeschichte, weil das größere Angebot durch mehr Gruppen einfach fehlt. Unser Angebot ist aber mit Sicherheit auf einem Niveau, dass mit der Forschung anderer Gruppen vergleichbar ist – wir präsentieren uns auch auf Tagungen und haben eine Kooperation mit einer AG in Indien, die sich mit der Modellierung von variablen Sternen beschäftigt.

Ein allgemeines Problem der Physik in der ganzen Republik ist ja die Unterfinanzierung, wie sehr merkt das die AG?

Also, es gibt keine deckende Grundfinanzierung der AG. Das Geld, was von der Uni als Versorgung für die Gruppen kommt, reicht, um den täglichen Bedarf zu kaufen, also das normale Arbeitsgerät was jeder Physiker braucht, egal welchen Gebiets. Eine Laborausstattung und Mitarbeiter kann man davon nicht bezahlen. Ein Mitarbeiter wird aus einem Projekt der Uni als Doktorand bezahlt – das kommt nicht aus der Gruppe und nicht vom Fachbereich. Das zweite Problem sind die Geräte, die man gerne hätte. Hier gibt es gewisse Mittel aus der Unterstützung der Verbesserung der Lehre weil wir sehr viel Examensarbeiten betreuen, und das hat uns auch sehr geholfen. Wir hätten natürlich gern noch zum Beispiel eine eigene kleine moderne Sternwarte, die aber den Etat des Fachbereich und der AG komplett sprengen würde.

Gibt es zum Abschluss noch etwas, das du den Leser:innen sagen möchtest?

Astronomie ist ein Gebiet, mit dem man bei Leuten leicht Begeisterung auslöst, das geht mit nuklearer Festkörperphysik ungleich schwerer. So benutze ich es auch in Kombination mit meiner Tätigkeit als Studienberater, um Interesse fürs Physikstudium zu werben. Das ist auch für mich ein ganz starkes Motiv das hier in Marburg zu machen, weil es eben hilft, Studierende für Marburg zu begeistern, die von Astronomie was wissen, aber von Quantendots und Vielteilchensystemen noch nie was gehört haben. Astronomie ist einfach ein tolles Zugpferd, um Leute für Naturwissenschaften und für Physik zu begeistern.

Andreas, vielen Dank für das Gespräch.

DU WILLST STERNCHEN SEHN?: Für den Forschungsschwerpunkt der beobachtenden Astronomie arbeitet die AG sehr eng mit der Volkssternwarte Kirchhain zusammen, was durchaus ein abendlicher Besuch wert ist. Die Sternwarte steht freitagabends für Nachtbeobachtung und sonntags für Sonnenbeobachtung kostenlos offen – nur gutes Wetter muss mitgebracht werden. Dazu gibt’s auch immer wieder interessante Vorträge in der Sternwarte zu verschiedenen und aktuellen Themen. Alle wichtigen Infos und Termine findet ihr hier. Daneben kümmert sich die AG auch um die historische Sternwarte Marburg. Astronomische Beobachtungen werden hier zwar nicht mehr gemacht. Doch immer wieder, wie zur alljährlichen Nacht der Kunst, öffnet die Sternwarte am Renthof ihre Tore und lädt zusammen mit der Sammlung physikalischer Instrumente des Fachbereichs ein zur Besichtigung der Anlage. Auf der Seite der Sternwarte gibt es neben Infos über ihre Geschichte auch Infos über den Meridianstein, ein für die wissenschaftliche Geschichte der Region wichtiger und noch heute besuchbarer Peilstein in Wehrda. Ein Spaziergang lohnt sich!

FOTO: Privat

Als Science Guy zuständig fürs Wissenschaftsressort bei PHILIPP und studiert gerade Physik.
Liebt schottische Single Malts, Kafka und alles, was irgendwie mit Astronomie zu tun hat.

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