Bauen im Marburger Westen

Bauen im Marburger Westen

Jede:r kennt sie: die Wohnungsnot in Marburg. Seit geraumer Zeit ist die Rede von neuen Wohnflächen für Marburgs Bürger:innen sowie etwaige Zuzügler:innen. Laut einer Statistik von 2015 ist in den kommenden Jahren mit bis zu 3.000 Einwohner:innen mehr zu rechnen. Es herrscht ein Bedarf an gefördertem Wohnraum und von den steigenden Mietpreisen wollen wir gar nicht anfangen. Die Stadt hat nun ihre Pläne für mehr Wohnungsraum vorgestellt. PHILIPP hat sich für euch schlau gemacht.

Bei den bisherigen Verhandlungen ist erstmals eine Bürgerbeteiligung durchgeführt worden. Das heißt, es gab sogenannte ‚Begehungen’, bei denen unter anderem der Oberbürgermeister zugegen war und man mit ihm und anderen Verantwortlichen gemeinsam die Flächen begutachten konnte. Außerdem stand die Stadt im Gespräch mit Verbänden wie dem MarNa (Marbacher Nachbarn) und den Agenda 21-Gruppen für Klima, Umwelt und Verkehr. Diese Zusammenarbeit war jedoch nicht so fruchtbar wie erwartet, da die Ergebnisse von Gesprächen am Runden Tisch beispielsweise schlicht unbeachtet blieben, nichtsdestotrotz schmückt sich die Stadt mit diesem Projekt als einer äußerst demokratischen Einrichtung und bedankt sich bei den Mitstreitern für ein ‚einzigartiges Beteiligungsverfahren’.

Ein großer Tegut am Rotenberg

Seit kurzem ist die Rede von einem geplanten Lebensmittelmarkt am Rotenberg. Das Gebiet am Oberen Rotenberg ist eines der beiden Areale, auf denen gebaut werden soll. Nachdem die Vorarbeit scheinbar erledigt war, wurde am 6.11. ein Beschluss–Vorschlag des Magistrats veröffentlicht. In diesem wird erwähnt, dass an der Marbach nicht wie eigentlich geplant 5,4 Hektar Land bebaut werden soll. Stattdessen wird nur das Gelände der ehemaligen Philipps–Gärtnerei dafür beansprucht, welches halb ein Einkaufszentrum, halb um die 35 Wohnungen bergen soll.

Allerdings wird die Bebauung der restlichen Meter nicht aufgehoben, sondern nur aufgeschoben. Das Hauptargument gegen eine größere Siedlung ist die erwartungsgemäße Belastung durch den Verkehr. Die Verkehrssituation auf den Zubringern zum Rotenberg ist schon jetzt kritisch, gerade bei der Biegung am Barfüßertor kommt es oft zu Engpässen, mit ein paar Autos mehr zu Stau. Die Stimmen für einen Supermarkt am Ende der Marbach kamen jedoch anscheinend aus der dortigen Bevölkerung. Dadurch würden die Fahrten in die Innenstadt weniger. Der Tegut soll schon in den nächsten drei Jahren errichtet werden, die Wohnsiedlung brauche etwas länger.

Ambitionierte Vorhaben auf dem Hasenkopf

Das zweite Gebiet, das in den nächsten Jahren bebaut werden soll, liegt zwischen Ockershausen und Cyriaxweimar, nahe am Stadtwald. Es handelt sich hier um ein Areal von knapp zehn Hektar Land, das zurzeit hauptsächlich von privaten Betrieben landwirtschaftlich benutzt wird. Der Stadtwald wird im Endeffekt an den Rändern erweitert, eine Bebauung der Kuppe des Hasenkopfes ist aber nicht vorgesehen. Hier wird von einem Baubeginn in sieben Jahren gesprochen.

Im Stadtwald wohnen momentan um die 1.300 Einwohner:innen. Dadurch konnte sich dort bislang keine größere Infrastruktur entwickeln, weder was Einkaufsmöglichkeiten betrifft, noch was Soziales wie Kindergärten etc. angeht. Durch den Bau von insgesamt 800 neuen Wohnmöglichkeiten soll dieser Umstand behoben werden. Auch die Richtlinien für geförderten und sozialen Wohnungsbau werden beachtet, sodass ein Satz von wenigstens dreißig Prozent für eher bedürftige Bürger:innen miteingeplant werden muss. Ein entscheidender Vorteil gegenüber dem Rotenberg ist, dass die Verkehrslage nicht annähernd so problematisch ist. Angeblich ist auch der Ausbau von Radwegen in die Stadt im Gespräch. Die letztendlichen Bauvorhaben sollen durch einen städtebaulichen Wettbewerb erfolgen, was die Qualität der Planung zu garantieren hat. Bis dahin werden noch verschiedene Gutachten erfolgen, gerade hinsichtlich der Naturschutz- und Klimaverordnungen.

Einige Punkte sprechen gegen die aktuellen Baupläne

Auf den Anhöhen rings um Marburg gibt es die sogenannten Kaltluftentstehungsflächen, die für ein angenehmes Klima in der Innenstadt sorgen. Sollten diese zugebaut werden, sind die Folgen auch wegen des aktuellen Klimawandels möglicherweise verheerend. Nicht nur deswegen ist es notwendig, dass mehrere Gutachten durchgeführt werden, sondern unter anderem auch wegen der dortigen Flora und Fauna. Der Rotmilan beispielsweise nutzt die Felder beim Stadtwald zur Futtersuche und einige andere Vögel ziehen täglich zu mehreren Dutzend darüber hinweg, um zwischen Nahrung und Nestern hin und her zu pendeln. Das alles würde zerstört, käme es zu einer Bebauung wie der, die die Stadt zurzeit im Sinn hat. Was übrigens die natürliche Beschaffenheit des Geländes angeht, so ist auch der Rotenberg ausgesprochen empfindlich. Die Stadt stellt sich bei diesem Vorhaben auch dem Insektenschutzprogramm der Bundesregierung quer, welches seit 1989 einen Rückgang an Artenvielfalt von siebzig Prozent verzeichnet.

Für die etwaigen Bebauungen muss es zwar Ausgleichsflächen geben, aber diese liegen meistens auf Feldern, für deren Entstehung Besitzer:innen enteignet werden muss. Gerade am Hasenkopf ist auch diese Frage heikel. Schließlich gibt es insgesamt rund vierzig Privateigentümer:innen, die zum großen Teil ihre Grundstücke als Ackerland nutzen. Laut eigener Aussage will der Oberbürgermeister es gar nicht erst zu Zwangsenteignungen kommen lassen, sondern friedlichere Lösungen suchen, wie im Gegenzug Ersatzgrundstücke anderswo anzubieten. Rechtlich gesehen liegt es aber durchaus im Bereich des Möglichen, sollten die jeweiligen Eigentümer:innen nicht wie gewünscht kooperieren.

Informiert euch!

Am vergangenen Dienstag, den 13.11., haben die Grünen beim Umweltausschuss der Stadt einen Änderungsvorschlag eingereicht. Mit diesem forderten sie unter anderem die verstärkte Berücksichtigung des Ortsbeirats Ockershausen, welcher auch zur Bürgerbeteiligung zählen sollte. Außerdem solle von jeglicher Bebauung der Fläche am Rotenberg abgesehen werden, die nicht zum Gelände der Philipps-Gärtnerei gehört. Dieser Antrag wurde zwar abgelehnt, zeugt aber dennoch von großem Unmut über die aktuellen Pläne.

Da die Stadt Alternativen wie vertikalem Anbau und vermehrter Umwandlung leerstehender Gebäude gegenüber abgeneigt ist, ist es empfehlenswert, sich zu informieren. Letztendlich betrifft es uns alle, was mit der Gegend um uns herum passiert. Lesenswert hierfür sind die Positionspapiere des B.U.N.D. oder des NABU, und die Pressemitteilung der Stadt. Wer ein bisschen mehr ins Detail gehen möchte, wird noch bei der Standortanalyse, einem ausführlicheren Bericht des B.U.N.D. und weiteren Artikeln der Stadt fündig.

FOTO: CC LudwigSebastianMicheler, unverändert

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