Bayern befreit die Angst

Bayern befreit die Angst

Es gab nie einen Kampf, wir haben ihn verloren. Am vergangenen Dienstag Abend wird ein umstrittenes Gesetzt im bayerischen Landtag durchgeboxt. Die CSU gewinnt nach Punkten, die freiheitlichen Grundrechte liegen K.O. auf den Straßen. 

Was ist passiert?

Letzte Woche gingen über 10.000 Menschen gegen das geplante Polizeigesetz auf die Münchener Straßen. Bayerns Innenminister Joachim Hermann sprach von einer „Desinformationskampagne“. In der Nacht auf Mittwoch wurde jetzt das Polizeiaufgabengesetz (PAG) im bayerischen Landtag beschlossen.

Das PAG ist kein völlig neues Gesetz, es existiert seit 1955. Seither wurde es ständig erneuert, die umfassendste Änderung des PAG fand im Sommer 2017 statt. Der Polizei wurde es erleichtert, sogenannte „Gefährder“ zu inhaftieren oder zum Tragen einer Fußfessel zu zwingen.  Als „Gefährder“ gelten in Bayern  seitdem Menschen, denen eine Straftat in näherer Zukunft zugetraut wird. Konkret muss diese Gefahr nicht sein, es genügt ein Anfangsverdacht. Schon damals wurde Kritik laut, bei dem jetzt verabschiedeten Gesetz handelt es sich lediglich um eine Verschärfung. Diese Tatsache für sich ist einer der zentralen Kritikpunkte. Wieso benötigt das Bundesland mit dem laut Hermann „effektivsten Polizeirecht in ganz Deutschland“ eine Verschärfung für letzteres?

Angst essen Grundrecht auf

Die Zauberwörter lauten „drohende Gefahr“. Sie wurden bereits 2017 eingeführt und bezeichnen eine Gefahr, die nicht von einer konkret geplanten Tat ausgeht, sondern einfach so in der Luft hängt. Eine Erhöhung der Sicherheit folgt üblicherweise in Reaktion auf eine konkrete Bedrohung, anders im Fall Bayern. Auch wenn die CSU von Prävention spricht: Durch die Einführung des härtesten Polizeigesetzes seit 1945 werden Ängste geschürt. Ängste, die wir langsam hinter uns lassen sollten. Das Gesetz stellt seine Bevölkerung unter Generalverdacht, jede:r könnte als potentieller Gefährder überwacht und ausspioniert werden. Das deutsche Polizei- und Ordnungsrecht sieht polizeiliches Einschreiten nur bei bestehender Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vor. Das PAG tritt dieses Recht  mit Füßen.

Der ominösen drohenden Gefahr dürfen Beamte in Bayern zukünftig mit mehr Maßnahmen Herr werden. 21 Einzelmaßnahmen, um genau zu sein. Darunter die Überwachung der Telekommunikation und das Auslesen von WhatsApp-Verläufen. Bei letzterem muss zunächst ein Richter zustimmen. Wer jetzt nach dem Recht auf Freiheit schreit, sei an die Füße erinnert. Eine nachträgliche Veränderung von Daten ist nun auch möglich. So kann die Polizei beispielsweise gesendete Nachrichten von Gefährdern abfangen, verändern und unerkannt weiterleiten. In den feuchten Träumen christsozialer Politiker wird die Polizei zum Verfassungsschutz. Jedes Attentat wird dank Überwachung der richtigen Leute verhindert. Die Polizei wird zur Verfassungsschutz-Du-darfst-Version . Wie gut das Prinzip Verfassungsschutz funktioniert, arbeitet das Oberlandesgericht München bereits seit Jahren heraus.

Geburtsfehler: Verschwiegenheit

In ihrem Wahn, die Nachrichten von Privatleuten offen zu legen, hat die CSU-Regierung einen schwerwiegenden Fehler gemacht: Sie hat ihr Vorhaben nicht offen gegenüber der Bevölkerung kommuniziert. Der jetzt angestrebte Dialog seitens Markus Söders wirkt wie eine notdürftige Rettungsaktion im aufbrausenden Wahlkampf-Wasser. Politiker, die sich beim Entstehen eines Gesetzesentwurfes nicht reinreden lassen wollen, dürfen sich nicht wundern, wenn die Bevölkerung mit vollen Kehlen und Gallen auf die Barrikaden geht. Kein Dialog, kein Widerstand, dachte sich die CSU. Dabei sind es Widersprüche und Missverständnisse, die man hätte fürchten müssen. Die „Noninformationskampagne“ der Landesregierung führt nun zu viel unnötiger Wut.

Von Streifenpolizisten mit Handgranaten und Geheimpolizei ist die Rede. Dass explosive Handgranaten nur von Spezialeinheiten in München und Nürnberg eingesetzt werden dürfen, wenn der Landespolizeipräsident zugestimmt hat, davon spricht niemand. Es passiert leider das, was momentan viel zu oft in politischen Debatten passiert: Beide Seiten vereinfachen, lassen aus und spitzen zu. Für eine tiefere Auseinandersetzung fehlt die Zeit. Die CSU weiß das und nutzt es gezielt aus. Massenproteste und überspitzte Debatten ändern nichts an der absoluten Mehrheit. Wahlen schon.

Söder und Co. legen langsam die Samthandschuhe ab und bereiten sich auf den nächsten Kampf vor. Wer sich ihnen entgegenstellt, ist noch unklar. Doch wer im Namen der Angst kämpft, weiß, wen er fürchten muss.

Foto: CC Steschke (Montage)

Chefredakteur von 2017-2018 aus Gründen.
Kann ganz gut mit Worten, halb gut mit Menschen.
Studiert nebenberuflich Medienwissenschaften.

Ein Gedanke zu “Bayern befreit die Angst

  1. Schön das sich das Phlippmag auch mit ernsthafteren Themen beschäftigt und Kommentare zu politischen Situationen verfasst.
    Schade das sich der Autor im Kommentar nicht weiter positioniert und auch keine klare Kritik äußert.
    Streng genommen wurde es sich hier recht einfach gemacht, denn im Fazit ist das Polizeigesetz gar nicht das eigentliche Problem sondern die mangelnde Kommunikation dessen. Gleichzeitig werden Massenproteste und öffentliche Debatten als nutzlos (überspitzt) abgetan, da ja nur Wahlen die Mehrheiten im Bundestag beeinflussen.

    Zum Anfang gut aufgearbeitet aber dann keine Schlüsse gezogen, die an Werte geknüpft sind, obwohl die Vorarbeit dazu bereits hinreichend getan war. Vielleicht nimmt sich die Regierung diese „Kritik“ ja zum Vorbild und kommuniziert mit der Bevölkerung das nächste mal neue Gesetzentwürfe, dann Bedarf es auch keine großen Demonstrationen oder öffentliche Debatten, denn ein*e informierte Bürger*in ist ein*e glückliche*r Bürger*in.

    P.S. Wenn Massenproteste nicht die gewünschte Wirkung erzielen, dann vielleicht die 4. Macht im Land. Medien können da eine ganze Menge zur Meinungsbildung beitragen, aber bestimmt nicht, wenn sich nicht, mal die Studierendenmagazine trauen, klare Positionen gegen Menschenrechtsverletzungen zu vertreten.

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