Da war noch was

Da war noch was


Nach dem Antikorporierten Stadtrundgang mit Stephan Peters meldet sich PHILIPP nochmal zum Thema Verbindungswesen zu Wort.

Vor ein paar Wochen veröffentlichte PHILIPP ein Interview mit Karl, dem Jungen der auszog, um doch nicht Burschi zu werden. Er erzählte von seiner Zeit in dem Corps Hasso Nassovia und wie es ihm bald zu bunt wurde mit den vielen Ritualen, Regeln und Verpflichtungen. Wir von PHILIPP haben daraufhin einiges an Rückmeldung erhalten, allen voran der abstruse Vorwurf, das alles sei unserer reinsten Fantasie entsprungen.* Wir sind uns sicher: diese Kommentare und Mutmaßungen sind falsch!

Zu Besuch beim antikorporierten Stadtrundgang

Gestern, am 14. Mai, wurde von der Aktiven Fachschaft Politikwissenschaft ein Antikorporierter Stadtrundgang organisiert, bei dem Entstehung, Aufbau und Ideologien von Studentenverbindungen thematisiert wurden. Dr. Stephan Peters studierte Politikwissenschaft, Geschichte und Soziologie bis 2003 an der Philipps-Universität und war zu dieser Zeit viereinhalb Jahre Mitglied einer Marburger Verbindung. Des Weiteren behandelte er die Thematik von studentischen Verbindungen in mehreren Publikationen und Vorträgen. Beim Stadtrundgang erzählte er der erschienenen Ansammlung von etwa 120 Personen über die Entwicklung der studentischen Verbindung von einst einer Art Peer-Gruppierungen zu dem Bild, das wir heute kennen – oder uns zumindest vorstellen. Als Gegenbewegung zur französischen Revolution und dessen aufklärerischen Gedankenguts entwickelten sich aus den ursprünglichen ‚Landsmannschaften‘, oft katholisch und unpolitisch, sogenannte ‚Corps‘ heraus. Hier wurde vor allem Wert auf Charakterbildung und Männlichkeitsideal gelegt. Anfang des 19. Jahrhunderts kam es durch nationale Strömungen zu der Entstehung von Burschenschaften, die gewurzelt im Konservatismus zunächst ein progressiven, später jedoch einer stark nationalistischen Lebensideologie folgten. Später entstand die Altherrenschaft, in denen ehemalige Mitglieder als Zusammenschlüsse die Strukturen der Verbindung und den erfolgreichen Werdegang der Studenten durch Einfluss und Finanzierung aufrechterhalten. Peters nannte es einen „Aufbau einer Art Elite“.

Fantastisch oder Unfassbar?

„Also grundsätzlich denke ich, dass dieser Bericht furchtbar schlecht recherchiert ist (…). Denn er strotzt vor Intoleranz und mythisierender Phantasterei.“ Zunächst einmal: Der ‚Bericht‘ – im journalistischen Jargon ist es ein ‚Interview‘- ist gar nicht recherchiert, sondern eine reine Wiedergabe eines Erfahrungsberichtes. Das dieser Erfahrungsbericht auf wahren Tatsachen beruht, dafür lege ich meine Hand ins Feuer. Karl berichtete von Bierduellen, die bis zum Erbrechen über den sogenannten ‚Papst‘ führten. Peters, bei dem Stadtrundgang, sprach ebenfalls vom ‚Bierpapst‘, der Kotzwanne, die als Endstation für Duelle galt, in denen man persönliche Fehden quasi Bier saufend löst. Zudem klärte er uns über die Tradition der Mensur innerhalb schlagender Verbindungen auf, also denen, die das Fechten ausüben. Der Zweikampf mit dem Degen gilt als verbindendes Ritual, als Einsatz für die Ehre der Gemeinschaft und ist auch dazu da, um das Regelwerk einzuhalten, das in den Verbindungen vorherrscht. Es sei ein Methode der Erziehung und persönlicher Entwicklung und Abschreckungsmittel gegen solche, die den inneren Schweinehund nicht überwinden könnten, so Peters. Auch wäre es eine Form von Männlichkeitsritual, es herrsche eine autonome Existenz, in der Frauen keinen Platz haben. Da schon bei Universitätsgründung keine Frauen an den Hochschulen erlaubt waren, setzte sich die Tradition folgemäßig in den Verbindungen fort.

Keine Verallgemeinerung

„Wieso bezeichnet Karl denn diese Verbindung im Interview noch als Burschenschaft, obwohl es sich um ein Corps handelt? Nicht alle Verbindungen sind auch Burschenschaften.“ Ja, da habe ich einen Fehler gemacht, als ich dieser Aussage keine weitere Nachforschung gewidmet habe. Wie Peters deutlich machte, dürfe man Burschis nicht verallgemeinern. Corps und Burschenschaften folgen einer leicht unterschiedlichen Doktrin. Über die Jahrhunderte hinweg entwickelten sich Burschenschaften in nationalistischer Gesinnung, die nicht zuletzt im Nationalsozialismus eine Rolle spielte. Corps hingegen engagieren sich für eine „Formung der männlichen konservativen Elite“.

Eine ehrliche Erzählung

Der Antikorporative Stadtrundgang führte entlang der vielen Grundstücke der Studentenverbindungen vorbei und offenbarte eine neue Hinsicht über die studentischen Verbindungen innerhalb unserer schönen Stadt Marburg. Letztlich möchte ich nur noch auf ein Kommentar eingehen: „Ich ziehe auf das Haus eines pflichtschlagenden Clubs und check erst nach Monaten, wie die Mensur läuft… wer’s glaubt…“ Auch dieser Einwand ist durchaus nicht unberechtigt. Aber die Frage sollte doch eher lauten – wie kann es sein, dass einer Person beim Einzug so etwas vorenthalten wird? Mag ja sein, dass sie durchaus selbst etwas recherchieren und über die dortigen Verhältnisse nachdenken könnte. Aber nichtsdestotrotz ist es eine Tatsache, dass Karl bis zu einer gewissen Zeit nicht davon in Kenntnis gesetzt wurde, dass er Regeln und Hierarchiestrukturen folgen muss und er ist und bleibt nicht der Einzige. Sollten wir nicht vor Einzug in ein neues Heim erfahren können, in was für ein Umfeld wir uns begeben? Und sollte man nicht der Öffentlichkeit zutrauen, sich aufgrund von Erfahrungsberichten ein Urteil zu bilden, auch wenn es bestehende Vorannahmen bestätigt. Die Wirkungskraft von Karl und seiner Geschichte liegt in seiner ehrlichen Erzählung.

*Nachzulesen bei den jeweiligen Kommentaren der Veröffentlichungen.

ILLUSTRATION: PHILIPP

PHILIPP-Gründerin und Chefredakteurin von 2014 - 2017.

2 Gedanken zu “Da war noch was

  1. Ein putziger Versuch, die Fehler im „Interview“ zu erklären. Doch das, was Karl da erzählt, strotzt vor vielen weiteren Fehlern, die nicht erklärbar sind. Allein die Bezeichnung eines Corps als Burschenschaft zeugt davon, dass er entweder mit geschlossenen Augen und Ohren durch die Gegend gelaufen ist und deshalb nach mehreren Monaten (!) nichts mitbekommen hat, oder einfach unglaublich dämlich ist. Ich möchte niemanden beleidigen, aber eine andere Erklärung fällt mir wirklich nicht ein (höchstens vielleicht, dass er seine „Erfahrungen“ schlicht frei erfunden hat).

    Die Kritik an der schlechten Recherche bezog sich vermutlich nicht auf das Interview, sondern auf das „Glossar“, das nicht einmal die richtige Schreibweise der Begriffe aufweist, die es zu erklären versucht (leider auch falsch). Auch im aufgeschriebenen Interview gibt es einige Schreibfehler bei verbindungsstudentischen Begriffen (oder hat Karl das Interview schriftlich gegeben und die Fehler wurden von Dir übernommen?).

    Nunja, sei’s drum. Informationen von einem „Antikorporativen Rundgang“ als Quelle zu beziehen ist auch eine etwas erstaunliche Vorgehensweise. Dr. Stephan Peters ist ein bunter Hund in Sachen Verbindungskritik und ist nicht bekannt dafür, objektives Bild der Verbindungen zu präsentieren (allein der Titel der Veranstaltung sagt schon alles).

    Mal ein Vorschlag: Warum versuchst Du nicht einfach mal ein Interview mit aktiven Verbindungsstudenten zu führen? Oder hast Du Angst, dass es das „antikorporative“ Weltbild ins Wanken bringen können, weil Du dann feststellst, dass die Vereine meistens ziemlich tolerante Haufen ganz normaler Studenten sind, die sowohl Migranten als auch Frauen auf ihren Häusern herzlich begrüßen oder gar aufnehmen (ja, Migranten können bei fast allen Verbindungen Mitglied werden, und Frauen bei so einigen). Und das von einer Mensur genauso viel oder wenig zu halten ist wie von Bungee Jumping (oder ist es keine Mutprobe?), Piercings im Gesicht oder Tattoos – der eine steht auf Löcher und Metall im Gesicht, der andere auf Schmerzen beim Stechen und auf bunte Bilder auf der Haut, und der schlagende Verbindungsstudent halt auf den Kick bei der Mensur und vielleicht auf den Schmiss. Also: Wayne?

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