Ein Telefonschnack mit Jan Tilden

Ein Telefonschnack mit Jan Tilden

Hermann Lindemann hat als Jan Tilden ein paar Marburg-Krimis verfasst. Erst neulich hat euch PHILIPP den ersten Band, „Tod in der Pathologie“ vorgestellt. Nun soll auch der Autor selbst zu Wort kommen. In einem Telefoninterview erzählt er von seiner Liebe zu Marburg, von seinen persönlichen Erfahrungen als Student und wie er dazu kam, als ehemaliger Professor Krimis zu schreiben.

PHILIPP: Wie kamen Sie denn auf die Idee, einen Marburger Krimi zu schreiben?

Jan Tilden: Das ist eigentlich ganz leicht zu erklären. Ich habe sehr lange in Marburg studiert, zwei Studien praktisch, und insofern ist Marburg meine zweite Heimat geworden. Ich habe dort oben (er sitzt gerade in Gießen) auch meine Frau kennengelernt, wir haben in der Universitätskirche sogar geheiratet. Also Marburg ist uns ganz vertraut und wir fahren auch immer noch gerne hin. Und auf Krimis kommt man natürlich, wenn man auch selbst gerne Krimis liest und dann auch manchmal nicht zufrieden damit ist, wie das aufgebaut ist oder es zu blutrünstig wird oder zu übertrieben lustig.

Und dann  zückt man einfach selbst den Stift.

Ja, da denkt man dann, dass man das für sich selbst besser machen kann. Ob das die andern auch gut finden, das ist dann die andere Frage. Es gibt ja auch gute Vorbilder, sie kennen vielleicht die Donna Leon oder den Martin Sudhaus, die ja schöne Krimis schreiben und durch ihre Leichtigkeit der Schreibstile ein gutes Vorbild sind. Das kann ich natürlich nicht erreichen, ich bin in der Richtung ja ein Hobbyschreiber. Aber man gibt sich Mühe und ich denke auch, dass es Fortschritte gibt. Zumindest die Lektorin des Verlags glaubt, dass es jetzt etwas besser geworden ist. (lacht)

Das Interview fand im Übrigen vor Veröffentlichung der Rezension statt. Auch Jan Tilden bekam diese nicht vorher zu Gesicht.

Wo lebten Sie denn vor Marburg und wie kamen Sie schließlich hier her?

Ich bin in einer Kleinstadt aufgewachsen und hab da in Suntra, in der Zonengrenze damals noch mein Abitur gemacht. Der nächste Studienort war dann Marburg, wo ich mich auch gleich wohlgefühlt habe. Ich wohnte in einem Studentenwohnheim und studierte zunächst Sport, Latein und Philosophie. In dem Wohnheim hat man viele angetroffen, die auch Sport studierten, also man hatte dann von vornherein so eine kleine Familie um sich. Das erleichtert einem vieles.

Wir schweifen kurz ab und reden über das WG-Leben in Marburg. Tilden sagt dabei, Marburg gelte als „Hauptstadt der WGs“. Ich kann das nachvollziehen.

Ist Ihnen während des Studiums irgendwas Skurriles passiert, das ihr Faible für Krimis ausgelöst hat?

Die Thematik ist beim Mediziner ja im Grunde naheliegend, weil fast jede Diagnose, die etwas schwieriger ist, ein Krimi für sich ist. Das heißt, man tüftelt dran rum und macht so seine Recherchen und in Marburg gibt’s ja so’n Zentrum, wo seltene Fälle praktisch aufgearbeitet werden. Die begegnen einem an der Universität ständig und ich war ja 35 Jahre lang an der Kinderklinik in Marburg tätig. Da gab’s auch sehr viele schwierige Diagnosen und da ist von vornherein Spannung drin. Und nicht jeder Krimi geht gut aus, also auch die Diagnosen können nicht immer gestellt werden und dann ist der Weg, wenn man selber Krimis liest, ja gar nicht so sehr weit.

Ich bin ein bisschen über die Tatsache gestolpert, dass auf einmal ein Student einfach so ermitteln darf.

Das hat seine Gründe darin, dass ich auch hier die kriminalistische Szene verfolge und sehr viele Verbrechen werden ja gar nicht aufgeklärt. Und wenn da nicht irgendwo ein zusätzliches Know-How dazukommt, wenn nicht noch ein zusätzlicher Input kommt an Informationen, dann sind die Polizisten eben hilflos. Das geht einfach über deren Ausbildungsmöglichkeiten und jede Erweiterung des Horizonts ist da sicher ne Hilfe und insofern ist es eben in einem Fall der Student, der dann die Entscheidungen bringt. Also die zusätzlichen Informationen und manchmal auch die, die so halb legal sind, an die sich, na sagen wir mal die Kriminalisten und die Polizei sich nicht einfach vorbeimogeln dürfen, da ist eben ein zusätzlicher Bonus auch für weitere Recherchen.

Ja, das ist nachvollziehbar, aber schon ein bisschen fernab von der Realität, dass da dieser Jochen einfach mal so „mitmachen“ darf.

Ja das wird damit erklärt, dass er sich vor Ort ganz gut auskennt und er ist ja erstmal so ’ne Hilfsperson, die dann ein bisschen so zur Hauptperson avanciert, das ist ja eher so ’ne zusätzliche Erfindung. Aber so was gehört eben auch dazu, das man sagen muss, nicht alles kann der Realität entsprechen, Fantasie gehört dazu. Aber Sie haben völlig Recht, natürlich ist so was ’ne Rarität. Es ist dann ja auch so, dass man so ein bisschen einen Aufhänger hat. Da ist jemand, der ist im studentischen Bereich aktiv und der hat halt auch so seine Erlebnisse im studentischen Dasein und da bleibt auch die Universität natürlich nicht so ganz unkritisch betrachtet.

Ist die abgezeichnete Gesellschaft in Ihrem Krimi nach ihrer Studizeit hier gerichtet oder soll es heutige Begebenheiten widerspiegeln?

Na sagen wir mal, es ist so ein bisschen die Kombination. Es gibt ja auch Anklänge, sagen wir mal, die Studenten, die sich im Hörsaal benehmen wie zuhause; das ist selbst der Alltag, wie ich ihn selbst erlebt habe. Das waren damals schon so Anfänge und das geht noch in die Zeit zurück, wo die alte Pathologie noch da war und solche Sachen, die noch klassischer waren. Das waren ja auch noch alte Gebäude, das wurde inzwischen ja umtransferiert zu den Lahnbergen. Diese Verbindung von Erinnerung und neuer Institutionen, da ist natürlich ein ordentlicher Unterschied und den muss man erstmal überbrücken. Der erste Krimi ist noch so ein bisschen getragen vom eigenen Erleben, auch wenn vieles erfunden ist, aber es ist eben doch ’ne Sache, wo man sagen kann, da hat man erstmal so ’n bisschen reingerochen und das hat sich dann natürlich so weiterentwickelt.

Im ersten Krimi haben Sie via einer Rolle Dinge zum Ausdruck gebracht, wie beispielsweise Studis als Gesindel und reichere Leute als „bessere Gesellschaft“ bezeichnet werden, oder Frauen seien zu anspruchsvoll. Spielt da auch eine gewisse eigene Meinung mit?

Das ist schon auf die einzelnen Personen zugeschrieben, ich lass dann eigentlich dem Leser immer die Freiheit, sich anzuschließen oder sich zu empören. Aber solche Typen gibt’s ja, da hat sich im Prinzip auch nichts geändert. Es ist ja tatsächlich so, dass die Studenten teilweise noch als Gesindel bezeichnet werden, als Störenfriede. Wenn man unter den Studenten selbst ist, dann sieht man die anderen als Störenfriede an, also ich hab eigentlich versucht, beide Seiten zu zeigen. Aber gerade bei den Marburger Bürgern waren die Studenten ja auch keineswegs beliebt. Die waren Geldbringer damals mit den Buden. Also die Leute, die eigentlich dran verdient haben, hatten ein sehr scharfes Regime. Frauen auf die Bude mitnehmen, das war nach zehn Uhr gar nicht erlaubt. Da gab’s also so einige Punkte, die man eigentlich gern vertieft hätte, aber das geht dann zu weit weg vom Krimi und dann muss man sich da bremsen. Ich streich ja meist auch etwa ein Drittel von der fertigen Story weg, damit das so in eine Richtung geht.

Warum hatte man denn so ein Problem mit Studis? Konnte man die Marburger Gesellschaft und die Studierenden nicht unter einen Hut bringen?

Ja. Bemühungen in diese Richtung gab’s ja auch immer. Wenn Sie zum Beispiel an den umstrittenen Marktfrühschoppen denken, das war früher eigentlich recht harmlos, aber auch da prallten Gegensätze aufeinander. Und so ist das eben mit normal bürgerlichen Bewohnern von Marburg und den Studenten, die das Stadtbild wirklich enorm beeinflusst und die auch im Semester immer die Macht übernommen haben. Da gab’s dann eigentlich immer nur uns und die Bürger, die mussten sich zur Seite drücken oder haben das von sich aus getan und haben dann immer aufgeatmet, wenn sie mal ’n bisschen Pause hatten in den frühen Abendstunden. Ich glaube, da hat sich gar nicht so sehr viel geändert. Also auch früher gab’s Remmidemmi und auch im Studentenwohnheim war’s ja oft so, dass dann mal der Stock unter einem Rabatz hatte.

Sie haben gerade das Marktfrühshoppen erwähnt. Wie sehen Sie denn diese Debatte mit den Verbindungen?

Vielleicht haben Sie so ein paar versteckte Spitzen bemerkt, ich hab noch nie viel von Verbindungen gehalten. Ich hab schon immer die Leute bedauert, die sich von der Abhängigkeit in der Schule dann direkt in die Abhängigkeit von Studentenverbindungen gebracht haben. Ich hab auch einige kennengelernt, da gab’s ja auch musische Verbindungen. Ich hab dann eigentlich gedacht, gut, man könnte sich auch einer musischen Verbindung anschließen, aber man ist dann in irgendeiner Weise ja wieder von vornherein organisiert und das hat mich einfach gestört. Das war früher für mich außerhalb jeder Diskussion.

Das Gespräch schweift abermals kurz ab. Der Autor und ich unterhalten uns über unsere Erfahrungen mit dem Verbindungswesen. Den Rahmen des Interviews würde dies nun aber völlig sprengen.

Gehen wir mal weiter in den gesellschaftskritischen Bereich. Was halten Sie denn von der Gender-Diskussion?

Ach du liebe Zeit. (lacht) Eigentlich überhaupt nichts. Also das fängt bei der Namensgebung an. Ich finde den Ausdruck „Studierende“ schrecklich, weil ich ja auch Latein studiert habe und „der Student“ ist neutral. Also ob männlich oder weiblich, es ist einfach Student und ich muss mich immer dazu zwingen, es literarisch als Studierende zu bezeichnen, damit es nicht von vornherein unangenehm wird. Aber eigentlich ist für mich der Student, ob männlich oder weiblich völlig wurst. Es geht in vielen Bereichen darum, was kann jemand bieten, wie bringt er sich ein; also eigentlich ist das für mich ’ne überflüssige Sache und auch die Quotenregelung, die find ich zum Kotzen, aber es ist einfach so, das ist der Zeitgeist, dass man denkt, man müsste da Upschub leisten. Ich denke, heute sind Frauen Manns genug, damit selbst fertig zu werden und sich in die richtige Richtung zu bringen – wenn ihnen daran liegt.

Ich frag‘ das ja hier nicht einfach so ohne Grund. Es geht ja bei der Gender-Debatte vor allem um die Einstellung. Beim Lesen ihres Krimis bin ich dann doch öfter über ein paar Dinge gestolpert. Ein Beispiel: Steffi ist ’ne totale Heulsuse. Warum?

Also, ich hab in dem Studentenwohnheim jede Facette von Beziehung kennengelernt und diese Darstellung hat mir eben gerade gut in den Kram gepasst, weil es auch so die Beziehung ganz rabiat geändert hat. Das hat mich eigentlich fasziniert, so was hört man, so was kriegt man mit und ich hab das immer sehr aufmerksam verfolgt. Für mich sind so Beziehungskisten verschiedenster Art immer hochinteressant gewesen, weil der Mensch wirklich in unglaublicher Weise plötzlich reagieren kann.

Also haben Sie durchaus viele eigens-erlebte Situationen in Ihren Krimi gepackt?

Ja, ich denke die eigene Erfahrung ist immer sehr wichtig, weil man ja irgendwo seine Informationen herhaben muss. Dass dann sehr vieles dazu erfunden oder es eben passend gemacht worden ist, damit es – zumindest aus meiner Sicht – eine bestimmte Situation gut darstellt, das ist auch klar. Also nichts ist Wirklichkeit, was da so dargestellt ist, aber vieles ist angelegt worden, durch Dinge, die reingekommen sind.

Okay, letzte Frage. Ich fand das ganz witzig, Sie haben zunächst mit einem Pseudonym veröffentlicht, sich später jedoch quasi „geoutet“. Was steckt dahinter?

Ja, letztlich war’s ganz einfach. Ich hatte ja ziemlich enge Kontakte mit meinen Patienten, vor allem mit den Mukoviszidose-Patienten, und das ist eine Verbindung, sagen wir mal, auf Leben und Tod. Und da ich auch einige authentische Fälle eingearbeitet hatte, wollte ich die Identität meiner Patienten nicht preisgeben und das Ganze kaschieren. Das hat auch sehr gut funktioniert, sogar Leute, die mich kennen, haben mich nicht hinter Jan Tilden entdeckt. Aber das Entscheidende ist für mich, dass ich das nach dem dritten Krimi geändert haben, weil die Patienten, die sich zu erkennen glaubten und auch die Verwandten, sehr positiv reagiert haben. Die haben sich gefreut, dass sich mal jemand mit ihrer Problematik auseinandergesetzt hat und das ist ja in jedem Krimi eine andere Facette. Keiner hat es mir übel genommen, wenn man auch mal nicht ganz positiv rüberkam. Und jeder Krimi ist ja einem verstorbenen Patienten gewidmet; auch die Eltern der verstorbenen Person haben sich gemeldet und haben sich gefreut, dass ich dieser so ein Denkmal gesetzt habe. Deshalb habe ich das ab dem dritten Krimi geändert, also insofern, dass jetzt alle wissen, wer dahinter steckt. Aber der Name selbst hat mir gut gefallen, da bin ich dann bei geblieben. Ich finde es auch in Ordnung, wenn man quasi zwei Identitäten hat, ich bin halt als Jan Tilden Schriftsteller und als Hermann Lindemann ein ehemaliger Professor. Und dann ist der Krimicharakter eher eine Maske, es geht mir um Skizzierungen, Medizin und Sport oder die Pharmaindustrie, was mir eben selbst Spaß macht und ich bleibe Marburg treu, weil mich einfach die Atmosphäre fasziniert.

FOTO: Hans Vaupel auf flickr.com, CC-Lizenz

PHILIPP-Gründerin und Chefredakteurin von 2014 - 2017.

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