Hoher Besuch: Sigmar Gabriel beim DRK

Hoher Besuch: Sigmar Gabriel beim DRK

Sigmar Gabriel (SPD) ist gerade auf Sommerreise. Was nach Klassenfahrt oder Betriebsausflug klingt, nutzen viele Politiker*innen, um sich in der parlamentarischen Sommerpause intensiv mit bestimmten Themenbereichen auseinanderzusetzen, Bürgernähe zu beweisen und – machen wir uns nichts vor – auch im Sommerloch in den Medien zu bleiben. Das Programm Gabriels ist straff getaktet in diesen Tagen: Am Donnerstag in Mainz, Ingelheim, Meisenheim und Alzey, am Freitag in Friedberg, Marburg und Melsungen. Das Oberthema: „Versorgungsstrukturen im Hinblick auf den ländlichen Raum“. Auch das ist Politik.

Eins vornweg: Sigmar Gabriel ist nicht nach Marburg gekommen, um das Cappeler Flüchtlingscamp zu besuchen. Dem Vizekanzler und Wirtschaftsminister kann man nun aber wahrlich nicht vorwerfen, sich nicht in der aktuellen Flüchtlingsdebatte zu engagieren: Noch vor Kanzlerin Angela Merkel suchte Gabriel das Asylbewerberheim in Heidenau auf, vor dem es zu rechtsradikalen Ausschreitungen gekommen war, bezeichnete die Akteure als „Pack“ und forderte ein konsequentes Vorgehen gegen die Täter. Am Montag Heidenau, am Freitag Marburg – was macht der Vizekanzler also hier?
Zu Gast ist Gabriel in Marburg beim Rettungsdienst des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) Mittelhessen. Dieser hat hier im Juni ein neues Simulationszentrum eröffnet, das Auszubildenden im Rettungsdienst die Möglichkeit bietet, schwierige Situationen praxisnah zu trainieren. Über 20 computergesteuerte Simulatoren ermöglichen die Darstellung von nahezu jeder Notfallsituation, deren Behandlung im geschützten Rahmen trainiert werden kann. Anfänger*innen dürfen hier noch Fehler machen und erwerben die notwendige Sicherheit für den Ernstfall.

Simuliert werden können auch Komplikationen für Mutter und Kind während einer Entbindung.
Simuliert werden können auch Komplikationen für Mutter und Kind während einer Entbindung.


Gabriel hört einen Hubschrauber landen und wird Zeuge einer Entbindung. Die Simulationen sind hochtechnisiert und beeindrucken auch den Vizekanzler sichtlich. Gabriel fragt nach, zeigt sich interessiert, hört zu. Schnell wird aber auch klar, dass der DRK Rettungsdienst Mittelhessen auch Sorgen hat, die er in die Bundespolitik tragen will. Die demografische Entwicklung, der Rückgang von Hausarztpraxen und die zunehmende Zentralisierung von Krankenhäusern führen zu einer ständig wachsenden Einsatzzahl des Rettungsdienstes. Gleichzeitig werden die Mitarbeiter*innen psychisch und physisch durch kräftezehrende Einsätze und den Schichtdienst stark belastet. Der DRK Rettungsdienst Mittelhessen wünscht sich daher eine gesetzliche Verbesserung der Arbeitssituation. Ihre beiden zentralen Forderungen: Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit von 48 auf 38,5 Stunden und ein früheres Renteneintrittsalter.
Ein Klischee-Politiker, der sich diese Probleme zwar anhört, dann aber sofort wieder vergisst, will Gabriel nicht sein. „Ich bin immer dafür, die Wahrheit zu sagen“, meint der Vizekanzler. Die Wahrheit kann allerdings auch manchmal unangenehm sein. Eine gesetzliche Regelung, so klingt es durch, hält Gabriel für unwahrscheinlich. Er weist darauf hin, dass ein Großteil der Arbeitsbedingungen der deutschen Arbeitnehmer*innen nicht vom Gesetzgeber geregelt ist. Sich berufsständisch organisieren, Gewerkschaften bilden und Tarifverträge durchsetzen – darin sieht Gabriel die realistischere Lösung für die Probleme des Rettungsdienstes. Die Kombination aus öffentlichem Druck und Tarifverträgen sei das Beste, was Arbeitnehmer*innen passieren könne.

Gabriel zeigt sich interessiert, diskutiert, fragt nach

Viel Zeit nimmt sich der Vizekanzler für 14 Auszubildende zum Notfallsanitäter, die seit etwa einem Jahr auf eine Zukunft im Rettungsdienst hinarbeiten. Warum sich die jungen Marburger*innen für diese Ausbildung entschieden haben, interessiert Gabriel, ihre Lebensläufe und schulische Vorbildung ebenso. Dass sogar ein gebürtiger Berliner unter den Auszubildenden ist, überrascht ihn. Gabriel ist von Haus aus Lehrer, und das merkt man auch. Gesprochen wird allerdings auch über Inhalte: Arbeitsbedingungen, Rechtssicherheit, gesetzliche Rahmenbedingungen der Ausbildung. Gabriel kritisiert vor allem, dass es im Rettungsdienst keine einheitlichen Ausbildungsvoraussetzungen – wie etwa für Facharbeiter*innen – gibt. „Das Ziel muss sein, flächendeckend eine möglichst gute Ausbildung zu garantieren, um nicht an eine bestimmte Region gebunden zu sein.“
Die Fragen der Auszubildenden werden ausführlich diskutiert, auch wenn die Zeit drängt. „Herr meiner Zeit bin immer noch ich“, entgegnet Gabriel, als ihn ein Mitarbeiter zum Aufbruch drängt. Gabriel bleibt sitzen, diskutiert, fragt selbst nach. Die übrigen Fragen will er sich hinterherschicken lassen. Die sogenannte Bürgernähe – das wird auch in Marburg deutlich – ist Gabriels Stärke. Den Kontakt zu seinen potentiellen Wähler*innen lässt er nicht über sich ergehen, er sucht ihn.

Nach dem offiziellen Termin wird Gabriel von Journalist*innen belagert.
Nach dem offiziellen Termin wird Gabriel von Journalist*innen belagert.

Am Ende des Besuchs wird Gabriel dann aber doch wieder von der großen Politik eingeholt. Von Journalisten bedrängt beantwortet er noch vor dem Simulationszentrum Fragen zum geplanten – zu diesem Zeitpunkt noch nicht wieder gekippten – Versammlungsverbot in Heidenau und den in Österreich in einem Lkw tot aufgefundenen Flüchtlingen. Für eine öffentliche Stellungnahme muss Gabriel ständig bereit sein. Ein Mitarbeiter nimmt ihn am Arm: „Sigmar, die Bild-Zeitung braucht noch ein Foto.“ Das Foto wird gemacht, dann geht es zurück in den Bus nach Melsungen. Auch das ist Politik.

FOTOS: Susanna Roßbach

Stellvertretende Chefredakteurin und Ressortleiterin Politik. Hat seit neustem ein abgeschlossenes Hochschulstudium - yeah! - und ist ein Fan von Katzen, dem Internet und Katzen im Internet.

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