Ich habe mir ein Deutschlandspiel im »Holzwurm« angesehen, damit ihr es nicht machen müsst

Ich habe mir ein Deutschlandspiel im »Holzwurm« angesehen, damit ihr es nicht machen müsst

Der  Holzwurm ist die Marburger Variante des ironischen Eckkneipenganges in Hipster-Berlin. Schon ein bisschen prollig, aber witzig.

Von Fußball habe ich keine Ahnung und dazu stehe ich auch. Mein Fußballschauverhalten beschränkt sich normalerweise darauf, Binsenweisheiten à la »Das Runde muss ins Eckige« zu verbreiten oder »Oh knapp, ganz knapp« zu rufen. Auch während EM oder WM will ich mich nicht plötzlich für Torschützenkönige, Zweikampfstatistiken oder das 4-4-2-System interessieren. Ganz entziehen kann man sich der allgemeinen Begeisterung aber dann ja doch nicht. Mit meinen Kolleg:innen mache ich zum Beispiel ein Tippspiel. Ich bin Letzte.


Die besagten Kolleg:innen wollten nun auch gern zusammen ein Deutschlandspiel ansehen und hielten es für witzig, dafür in den Holzwurm zu gehen. Falls euch das noch nichts sagt: Der Holzwurm, nach eigener Aussage »Erlebnisgastronomie«, schwankt zwischen rustikaler (Apres-)Skihütte und verrauchter Stammkneipe. Event-Highlights sind die Currywurstparty – all you can eat für 4,90 € – oder die »Die immer lacht«-Party – den ganzen Abend, aus allen Lautsprechern. Deko und Reklame mag man am liebsten in Neonfarben. Eine Freundin, die Krankenwagen fährt, erzählt, dass hier oft ihre Nachtschicht endet. Ziemlich classy also. Ich arbeite übrigens an der Uni.

Es gibt Biertower und Todeskrüge

Dekotechnisch werde ich auch tatsächlich nicht enttäuscht. Vor der urigen Kulisse aus Holzscheiten, Lampen aus geflochtenen Körben und – tatsächlich – einer Axt an der Wand, erstrahlt der ganze Holzwurm in Schwarz-Rot-Gold. Girlanden von Bitburger und Veltins, die abwechselnd aus Bierkrügen und Deutschlandfarben bestehen, gab’s von den fürsorglichen Brauereien bestimmt geschenkt. Ansonsten ist es hauptsächlich voll – mit Dekoration, aber auch mit Menschen. Obwohl der Holzwurm nicht besonders groß ist, sieht eigentlich niemand die Leinwand oder einen der aufgehängten Fernseher besonders gut. Mich beschleicht die leise Ahnung, dass es darum heute auch nicht gehen wird.

Als ich ankomme, haben meine Kolleg:innen schon einen Bier-Tower bestellt, aus dem wir am Tisch selbst unser Bier zapfen können. Der Tower sieht aus wie ein großes Plastikrohr mit unordentlichen Edding-Strichen drauf, die die Literanzahl markieren. Wir haben nur drei statt maximal fünf Liter bestellt, was mich irgendwie enttäuscht. Später wolle man aber auch noch den Krug des Todes bestellen, wird mir versichert. Dieser ist offensichtlich ein weiteres gastronomisches Highlight im Holzwurm und wird mit sieben Bacardi-Cola oder Wodka-Cola gefüllt.

Freibier klein

Die Prognose vor dem Spiel ist an unserem Tisch nicht sehr optimistisch. Alle sind sich einig: Lewandowski ist zu gut für die deutsche Abwehr. Der spielt wohl bei Bayern, daher kennt man den. Außerdem sei Deutschland statistisch gesehen im zweiten Spiel immer schlecht. Aha. Überraschend finde ich eher, dass ich ziemlich wenige Deutschlandtrikots im Holzwurm sichten kann. Das Publikum ist – um es im Lokalpressejargon zu sagen – bunt gemischt aus Studis und Stammgästen. Gänzlich enttäuscht werde ich aber nicht: Immerhin eine Deutschlandperücke und eine glitzernde Deutschlandmaske kann ich entdecken – es gibt eben doch noch echte Fans.

Kurz vor Anpfiff dann eine undeutliche Durchsage, der ich nur »Halbzeit« und »Freibier« entnehmen kann. Wie, wo was, Freibier? Und tatsächlich: In der Pause wird an der Theke großzügig umsonst ausgeschenkt, an die Tische wird sogar Bier gebracht. Mensch, Holzwurm, du tust was für deine Gäste! Resümee der Pause: Es ist voll, es ist laut, alle sind betrunken, dazu dröhnt »Schlaaaaand, Deutschlaaaaand!« und »Die immer lacht« im Wechsel.

»Holzwurm ist geil«

Im Übrigen ist die Stimmung bemerkenswert unaufgeregt. Das Spiel ist wohl auch für Fußballkenner:innen nicht besonders spannend. Hinzu kommt, dass die meisten Gäste nicht wirklich viel vom Spiel mitbekommen – es stehen einfach zu viele Menschen vor den Bildschirmen. O-Ton meines Kollegen: »Ihr sagt mir dann Bescheid, wenn ein Tor fällt, ja?« Trotzdem: Keine Fangesänge, keine fliegenden Gläser, kein Geschimpfe auf den Schiedsrichter – da hatte ich mehr erwartet. Außer ein paar kollektive »Ahhs« und »Ouhhs« beschäftigen sich die meisten Gäste eher mit ihrem gebunkerten Halbzeitfreibier. Ich rufe dann auch mal »Oh knapp, ganz knapp« – gehört ja dazu.

Und dann ist es auch ziemlich schnell vorbei. Das erste 0:0 der EM, wow. In der allgemeinen Aufbruchsstimmung nach Spielende wird über die Lautsprecher nochmal schnell durchgesagt, dass es auch beim nächsten Deutschlandspiel in der Halbzeitpause Freibier geben wird. Auf dem Weg nach draußen entdecke ich dann auf der Rückseite des Shirts einer Kellnerin den Slogan des Lokals: »Holzwurm ist geil«. Ich muss sagen: Meine Erwartungen wurden erfüllt. Fußballschauen im Holzwurm ist schon ein bisschen prollig. Aber auch unheimlich witzig.

FOTOS: Promo Holzwurm

Stellvertretende Chefredakteurin und Ressortleiterin Politik. Hat seit neustem ein abgeschlossenes Hochschulstudium - yeah! - und ist ein Fan von Katzen, dem Internet und Katzen im Internet.

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