„Mensaservice, bitte zur Info!“

„Mensaservice, bitte zur Info!“

Oft wird Martine Jauernick von vorbeigehenden Studenten begrüßt, fast jeder kennt ihren Namen, Und auch die, die ihn nicht wissen, kennen doch mindestens ihre fröhliche Stimme, die in kurzen Abständen durch die Mensa schallt.

Es herrscht viel Betrieb am Infopunkt der Mensa, auch schon um zehn Uhr morgens. Ständig klingeln verschiedene Telefone und Studierende sowie Mitarbeiter*innen des Studentenwerks Marburg erscheinen, um Martine Jauernick etwas zu fragen. Oft wird sie von vorbeigehenden Studierenden begrüßt, fast jeder kennt Ihren Namen. Und auch die, die ihn nicht wissen, kennen doch mindestens die fröhliche Stimme der in Frankreich geborenen 61-Jährigen, die in kurzen Abständen durch die Mensa schallt: „Mensa-Service, bitte zur Info“. Aber was ist das eigentlich, der Mensa-Service? „Eine soziale Einrichtung des Studentenwerks“, erklärt Martine Jauernick. „Wenn Blinde in der Mensa etwas essen wollen, so ist das für sie mit einigen Schwierigkeiten verbunden. Es ist voll, es wird gerempelt und die Mitarbeiter*innen an der Essensausgabe haben oft keine Zeit um ihnen zu erklären was an diesem Tag auf dem Speiseplan steht. Der Mensa-Service übernimmt das, begleitet die blinde Person in einen separaten Raum und räumt anschließend das Geschirr weg“.

Aufgrund einer Erbkrankheit erblindet auch Jauernick seit elf Jahren. Das war unter anderem der Grund, warum sie von ihrer Stelle im Verpflegungsbetrieb auf die im Jahr 2001 neu geschaffene in der Zentrale wechselte. Der Job gefällt ihr sehr gut, sowohl den menschlichen Kontakt als auch die Betriebsamkeit möchte sie nicht mehr missen. Zunächst erschien die Französin den andern Mitarbeiter*innen dort als „Paradiesvogel“, und wird heute jedoch für ihre Fröhlichkeit, Direktheit und Lebensfreude sehr von ihnen geschätzt. Ihre Durchsagen sind allgemein bekannt in der Uni Marburg. Sie seien in der Regel spontan, „wie ihr der Schnabel gewachsen sei“, erklärt Jauernick. Manchmal kommen aber auch Studierende und bitten sie ein*e Freund*in auszurufen, der*die an dem Tag Geburtstag oder seinen*ihren Abschluss erreicht habe. Diesen Wünschen kommt Martine Jauernick besonders gerne nach.

Marburg, je t’aime

Vor kurzem, am 23. Oktober 2014, feierte Jauernick ihr 25-jähriges Jubiläum im Studentenwerk. Geplant war das nicht. Vor 43 Jahren kam die in Roissy, einem französischen Dorf in der Nähe Paris, geborene Tochter eines Italieners nach Marburg. Ihre Eltern besaßen dort einen Lebensmittelladen, in dem sie regelmäßig mithalf. Sie verließ ihr Elternhaus um in Marburg als Au-Pair-Mädchen zu arbeiten – und ist geblieben. Eigentlich wollte sie nach ihrem Auslandsjahr wieder zurück nach Frankreich um dort zu studieren, lernte aber in der Stadt an der Lahn ihren heutigen Ehemann kennen. „Es war wie es immer so ist: Man verlängert und verlängert, und am Ende bleibt man“. Jauernick lacht. Studiert hat sie dann trotzdem. Pharmazie, natürlich auch hier in Marburg. Beenden konnte sie ihr Studium aber nicht. Im sechsten Semester wurden Multiple-Choice Fragen neu eingeführt, die für sie, deren Muttersprache eine andere ist, nicht zu beantworten waren. Ein Grund zum Aufgeben war das nicht. Jauernick arbeitete statt chemische Formeln und Messverhältnisse zu pauken lange im Hotel der Eltern ihres Mannes und bekam zwei Kinder. Als der Ehemann in den 90er Jahren verstarb, überlegte sie nach Frankreich zurückzukehren. Da sie ihre Kinder jedoch nicht aus dem gewohnten Umfeld reißen wollte, entschied sie sich dagegen. Inzwischen ist sie Großmutter und froh, geblieben zu sein. Ihr Lieblingsplatz in Marburg? Die Oberstadt. Die geschäftige Betriebsamkeit dort erinnert sie an das Dorfleben in Roissy.

FOTO: Nele Hüpper






2 Gedanken zu “„Mensaservice, bitte zur Info!“

  1. Toller Beitrag. Kann man aber in Zukunft sich auf ein Geschlecht einigen, weil Sätze wie „ein*e Freund*in auszurufen, der*die..“ den Lesefluss extrem stören.

    1. gilt denke ich ähnlich für das Sternchen:
      „Unterstrich ‚-‚: Der Unterstrich auch als Gendergap bezeichnet schafft
      einen Vorstellungsraum jenseits geschlechtlich normierter
      Zuschreibungen. Damit wird beispielsweise im Wort Leser_in Unbenennbares
      jenseits der Zweigeschlechtlichkeit sichtbar gemacht und zugleich ein
      Stolpern im Lesefluss provoziert. Der Unterstrich schafft einen Raum für
      Menschen, die sich jenseits von Leserin und Leser definieren.“

      Quelle: Kollektiv sternchen und steine (hrsg.) (2012): Begegnungen auf der
      Trans*fläche. edition assemblage. S.8

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