Selbstbestimmung? Wo gibt’s denn sowas?!

Selbstbestimmung? Wo gibt’s denn sowas?!

In Deutschland existiert nach wie vor kein Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch. Eine Abtreibung bewegt sich an der Grenze zur Illegalität und es ist demzufolge verboten damit zu werben. Die Gynäkologin Kristina Hänel tat dies trotzdem und wurde dafür vom Amtsgericht Gießen zu einer empfindlichen Geldstrafe verurteilt.

Doch so viele Menschen. Das war mein erster Eindruck als ich in die Straße zum Landgericht einbog und all die Menschen gesehen habe, die dort bereits standen. Überwiegend Frauen, junge Frauen, Studentinnen, wie ich, aber auch Frauen aller Altersklassen und doch auch einige Männer und sogar Familien, also eben auch Kinder. Warum? Weil das ein Thema ist, das alle etwas angeht. Nicht nur die Frauen, sondern alle Menschen in Deutschland. Denn alle Menschen in Deutschland haben das Recht auf freie Entfaltung, Gleichberechtigung, Selbstbestimmung.

Oder doch nicht?

Bis jetzt habe ich mich noch nicht sonderlich mit dem Thema Abtreibung beschäftigt und musste dies auch zum Glück noch nicht. Außerdem, war mein Verständnis – naiverweise – bis jetzt, salopp gesagt, eher so: Wenn der Fall der Fälle eintreten sollte, werde ich das Kind nicht bekommen. Ich habe auch nicht an der Möglichkeit einer Abtreibung gezweifelt, ist es doch bis zur zwölften Woche in Deutschland legal. Ist es nicht. Abtreibung ist in Deutschland nicht legal und wird mit bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe oder Geldstrafe bestraft, wenn die Schwangere die Tat selbst begeht. Nur unter bestimmten Voraussetzung kann eine Abtreibung durchgeführt werden und auch nicht jeder Frauenarzt*in kann und darf dies durchführen. Eine Beratung ist Pflicht, ansonsten ist der Schwangerschaftsabbruch ein Straftatbestand. Ich müsste mich also, falls ich ungewollt schwanger werden sollte, in einer Beratungsstelle melden und mir bescheinigen lassen, dass ich die Voraussetzungen erfülle. Wie ein Aufnahmetest für einen Verein oder einen Club. Einen Club in dem ich nicht bestimmen darf. Ich muss erstmal beweisen, dass ich fähig bin selbst zu bestimmen bzw.  muss mir dafür die Erlaubnis einholen, die Voraussetzung erfüllen… Denn nichts anderes besagen diese Gesetze – §218 StGB und §219 StGB.

Eine dieser Voraussetzungen ist die Beratung. Ich war noch nie bei einer solchen Beratung. Ich weiß nicht wie das abläuft und ob man sich wirklich so unmündig und verantwortungslos vorkommt, wie ich mir gerade. Ob man sich wirklich rechtfertigen muss, ob die eigenen Gründe ,,genug sind‘‘, ob es ausreicht, ob man betteln muss, ob man jemandem etwas vorgaukeln muss, weil man weder vergewaltigt worden ist, noch aus medizinischer Sicht eine Gefahr für Leib und Leben durch eine Schwangerschaft besteht und man keine ,,schwerwiegenden Beeinträchtigung des [….] seelischen Gesundheitszustandes‘‘( § 218a StGB) vorweisen kann. Ich weiß nicht ob dies alles nur Formalien sind und man am Ende einfach durchgewunken wird.

Der Selbstbestimmung beraubt

Denn §219 besagt: ,,Die Beratung dient dem Schutz des ungeborenen Lebens. Sie hat sich von dem Bemühen leiten zu lassen, die Frau zur Fortsetzung der Schwangerschaft zu ermutigen und ihr Perspektiven für ein Leben mit dem Kind zu eröffnen […].‘‘ Ob ich mich in einer solchen, ohnehin schon extrem belastenden und schwierigen Situation, noch damit auseinandersetzen muss, wie ich mich vor jemand anderem präsentiere und mich dadurch zusätzlich unter Druck gesetzt fühle, denn laut Gesetz steht mir die Entscheidung nicht frei. Ich soll ja beeinflusst werden. Oder ob meine Gegenüber wirklich offen mir gegenüber sind, ob ich Verständnis finde, ob ich mich wohlfühle, ob ich verstanden werde, ob mir Respekt entgegengebracht wird und ob ich wie ein vollwertiger mündiger Mensch behandelt werde, der die Entscheidungen über sein Leben immer noch selbst trifft. Wie auch immer es dann in diesem Beratungsgespräch – oder, wie man von Fall zu Fall vielleicht auch sagen könnte: Bescheinigungsgespräch – aussieht und wie man sich da fühlt, kann ich nicht sagen. Aber ich weiß wie ich mich fühle, wenn ich diese Gesetze lese. Ich fühle mich nämlich genauso. Entmündigt. Meiner Selbstbestimmung beraubt. Muss mir eine Erlaubnis einholen für das, was mit meinem Körper passiert. Muss vorweisen können, dass ich physisch und psychisch nicht in der Lage bin ein Kind zu kriegen.

Müsste ich mir im Umkehrschluss nicht auch eine Bescheinigung fürs Kinder Kriegen einholen? Eine Bescheinigung dafür, dass ich eine gute Mutter sein werde? Dass ich physisch und psychisch in der Lage bin ein Kind zu kriegen? Müsste ich dann nicht eigentlich auch ein Prozedere mitmachen, als würde ich ein Kind adoptieren wollen? Der Vormund eines Kindes, welches zur Adoption freigegeben wird, ist der Staat oder eine vom Staat ausgewählte Person. Meine Schwangerschaft ist nicht Sache des Staates, Pardon – SOLLTE nicht Sache des Staates sein. Beratungsgespräche im Falle einer ungewollten Schwangerschaft und der Überlegung diese zu beenden sind unendlich wichtig, aber nicht in Verbindung mit einer Bescheinigung über die Erfüllung gegebener Voraussetzungen.

Wir sind wohl noch nicht soweit.

Kristina Hänel tritt nicht nur dafür ein, dass Ärzte*innen ihre Patienten*innen auch über dieses Thema informieren dürfen, wie z.B. für Krebsfrüherkennungen, sondern auch für die Selbstbestimmung der Frau. Es geht nicht um die Entscheidung für oder gegen eine Schwangerschaft, sondern um gleiche Rechte, um die Freiheit und die Erlaubnis, diese wichtigen Informationen frei zugänglich zu machen und für die Möglichkeit, sich an kompetenter Stelle (eben bei einem*r Arzt*in) unvoreingenommen informieren zu können. Für die Abschaffung dieser Paragrafen. Kristina Hänel ist angeklagt und am Freitag den 24.11.2017 zu 6000 Euro Geldstrafe verurteilt worden, weil sie Patienten*innen Informationen über den Abbruch einer Schwangerschaft zukommen ließ. Weil sie auf ihrer Website darüber informiert hat, dass sie eine der Ärzten*innen ist, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen dürfen. Weil dies Werbung wäre und Werbung für einen Schwangerschaftsabbruch machen, strafbar ist. Als könne man für einen Schwangerschaftsabbruch Werbung machen, wie Frau Dr. Hänel selbst sagt.

Für eine rationale und offene Diskussion zu diesem Thema war am Freitag niemand bereit. Das Freiheitsrecht und das Entscheidungsrecht von Frauen, das Recht auf Zugang zu Informationen, die es ja gibt und die durch dieses Gesetz (§219 StGB) nur nicht für Jedermann frei zugänglich sind, wird weiterhin unterbunden und unterliegt einer Zensur. Auch im Jahr 2017 wird noch über die Köpfe derjenigen hinweg entschieden, die die Entscheidung betrifft.

FOTO: CC Fibonacci Blue, unverändert

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