Stell dir vor es ist Krieg und danach studierst du in Marburg

Stell dir vor es ist Krieg und danach studierst du in Marburg

Mit ihrem Programm „University meets Refugees“ hat die Uni Marburg vielen Flüchtlingen den Weg zum Studium geebnet und damit Träume erfüllt. Stolpersteine gibt es trotzdem noch.

Jobran nippt an seinem Kaffee und schaut auf sein Handy. Viel Zeit habe er nicht mehr, später müsse er noch zur Uni und wolle sich dafür vorbereiten. Ein Jahr seines Lebens habe er schon verloren. Damals, als der Krieg in Syrien ausbrach, durften sein Bruder und er nicht mehr zur Uni in Aleppo. Der Vater meinte, es sei zu gefährlich. Dauernd wurde man kontrolliert. Im Bus, in der Uni, sie kamen sogar in die Wohnung. Sobald der Anschein aufkam, man sei regimekritisch, wurde man mitgenommen. „Ich habe mich so gelangweilt in diesem Jahr. Wir hatten nichts zu tun, es ist wichtig, eine Aufgabe im Leben zu haben“, erzählt Jobran. Der Krieg wurde schlimmer und Jobran und sein Bruder beschlossen, nach Deutschland zu gehen, um dort weiter zu studieren. Sie stellten in Jordanien ein Studierendenvisum und flogen nach Essen, dann nach Köln, mussten für ein halbes Jahr in eine Flüchtlingsunterkunft in Thüringen. Lernten Deutsch, bewarben sich an verschiedenen Unis und kamen schließlich nach Marburg. Hier kann Jobran nun sein Studium in der Zahnmedizin fortsetzen. „Das klingt jetzt alles so einfach, aber eigentlich war es eine Zeit, in der man nicht wusste, wie es weitergeht – voller Unsicherheiten und Ängste.“

Wer nach Deutschland kommt, hat Träume

Deutschland war von Anfang an sein Wunschland. „Wer nach Deutschland kommt, der hat Träume“, erklärt Jobran. Er selbst will Zahnarzt werden, ein richtig guter Zahnarzt. In Marburg habe er das Gefühl, dass Träume wahr werden können. Es sei nicht immer einfach, aber wenn es Probleme gibt, würden einen alle helfen: Die Uni, die Behörden, die Professor:innen, die Studis, alle sind freundlich und es findet sich immer eine Lösung. Er wisse gar nicht, wie er seine Dankbarkeit in Worte fassen soll und würde gerne etwas von dieser Liebe zurückgeben.

Wie Jobran machten sich seit dem sogenannten „Arabischen Frühling“ und den folgenden Krisen im Nahen und Mittleren Osten sowie in Afrika viele junge Menschen auf den Weg nach Deutschland, um der Not zu entfliehen und die Chance wahrzunehmen, ihre Träume zu verwirklichen. Einer dieser Träume ist es, ein Studium aufzunehmen oder ein bereits begonnenes Studium fortzusetzen. Die Universitäten hierzulande erkannten schnell, welche Rolle sie für die Geflüchteten annehmen mussten und spielen diese bis heute gut: In den meisten Bundesländern ermöglichen viele Hochschulen geflüchteten Studierenden unter gewissen Voraussetzungen eine Wiederaufnahme ihres Studiums. In Niedersachsen dürfen Geflüchtete sogar dann an Seminaren und Vorlesungen teilnehmen, wenn sie keine Zeugnisse vorlegen können, die ihre bisherigen Leistungen nachweisen.

Unterstützung kommt von allen Seiten

Auch die Philipps-Universität Marburg engagiert sich für die Integration von Geflüchteten und hat das Programm „University meets Refugees“ ins Leben gerufen. Dieses Projekt soll studierfähige Flüchtlinge an der Uni Marburg integrieren und wurde im Rahmen des DAAD-Programms „Welcome – Studierende engagieren sich für Flüchtlinge“ aufgebaut. Das Projekt bietet von der Erstberatung über kostenlose Deutschkurse und -prüfungen, die zur Aufnahme eines Studiums benötigt werden, bis hin zum Mentorenprogramm im Studium alles an, was interessierte Studierende brauchen. Die Uni ist dabei auf die Mithilfe von ehrenamtlichen Studierenden und studentischen Initiativen angewiesen und bindet mit dem Parallelprojekt „Students meets Refugees“ die Studierenden der Uni Marburg aktiv ein. Studierende sollen geflüchtete Studis auf Augenhöhe treffen, Erfahrungen weitergeben und individuell helfen. Dabei gibt es keinen festen Bereich, vielmehr sollen studentische Ehrenämter in allen Feldern wie der Studienberatung, Studienpropädeutik und Integration tätig werden.

Mit dabei ist auch der Allgemeine Studierendenausschuss (AStA) der Uni Marburg. In Kooperation mit dem Verein Asylbegleitung Mittel-Hessen e.V. hat dieser ein Mentorenprogramm für Flüchtlinge ins Leben gerufen, mit dessen Hilfe Geflüchtete direkte Ansprechpartner:innen an der Uni finden können. Denn neben der Bewerbung, der Immatrikulation und dem allgemeinen Leben an der Universität müssen auch Fragen der Finanzierung, des Wohnens und des Lebens geklärt werden. Hilfe wird etwa bei der Einrichtung eines Bankkontos und dem Abschließen einer Krankenversicherung gebraucht. Ferner sind noch andere Einrichtungen und viele Verwaltungsstellen der Uni Marburg Teil des Projekts, wie das Studienkolleg Mittelhessen oder das Dezernat Internationale Angelegenheiten. Die Arbeiten der einzelnen Bereiche müssen gut abgestimmt sein. Es sollen keine Parallelstrukturen entworfen, sondern in Zusammenarbeit mit allen Beteiligten ein stimmiges Gesamtpaket entwickelt werden, das sich an die individuellen Ansprüche des geflüchteten Studierenden anpasst.

Hoffnungen und Hürden

Derzeit besuchen etwa 40 Flüchtlinge die von der Uni angebotenen Deutschkurse, die Mehrheit sind Männer. Die Deutschkurse sind der erste Schritt zur Aufnahme eines Studiums an der Universität Marburg. Über die bereits eingeschriebenen Studierenden liegen keine Zahlen vor, da die Herkunft bei der Immatrikulation keine Rolle spielt. Allerdings wird das Projekt immer bekannter und das Interesse an der Aufnahme eines Studiums steigt. Gefördert wird das Programm vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) und dem Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst.

Doch es gibt auch noch Baustellen bei dem Projekt. So wünscht sich die Uni Marburg eine Ausweitung der Finanzierung, insbesondere für die Deutschkurse, damit mehr Flüchtlinge die Möglichkeit erhalten, an diesen teilzunehmen. Zudem sollen Stipendienprogramme für jene Studierende, die kein Bafög erhalten, errichtet werden. Bafög wird nämlich nur dann genehmigt, wenn die:der Geflüchtete bereits eine Aufenthaltsgenehmigung hat. Ferner gibt es strenge Regelungen für die Teilnahme an Integrationskursen, beim Wohnortswechsel und bezüglich der Krankenversicherung, die die Aufnahme eines Studiums behindern.

Positive Resonanz für das Programm

Die Uni gibt sich zuversichtlich, dass es künftig einfacher wird, geflüchtete Studierende an der Hochschule zu integrieren. Der Bund hat mehr Gelder versprochen, auch er weiß, dass die Uni ein hervorragender Ort zur Integration ist. Zudem laufe die Zusammenarbeit zwischen den Stellen ziemlich gut und die Resonanz aller Beteiligten ist positiv, berichteten die Initiativen des „University meets Refugees“-Programms.

Auch Jobran ist zuversichtlich. Marburg gefalle ihm sehr gut. Seit März 2015 studiert er hier, nun im vierten Semester. Irgendwann möchte er aber zurück nach Syrien und all das Positive mitbringen, das er hier in Deutschland erfahren habe, von der sehr gut ausgestatteten Bibliothek bis hin zum Bafög. Das müsste es in der ganzen Welt geben. „Warum können nicht alle Staaten so sein wie Deutschland?“, fragt er. Doch die Antwort kennt er selbst. Nach einer kurzen Pause berichtet er, einmal habe sich ein Professor bei ihm entschuldigt, dass Deutschland so viele Waffen nach Syrien exportiere. Der Professor meinte, er schäme sich dafür und es sei ihm peinlich, hier als Dozent so vor ihm zu stehen. Jobran wusste nicht, was er sagen sollte. Denn eigentlich liebt er Deutschland und würde niemals ein schlechtes Wort über dieses Land verlieren.

FOTO: Luis Penner

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