Theater-Review #10: Wir sind Luther

Theater-Review #10: Wir sind Luther

Es wird wieder musikalisch vor dem Rathaus. Dieses Jahr geht es bei Marc Beckers‘ Stück um Martin Luther – wer hätte das gedacht! Doch gerade diejenigen, denen das Reformationsjubiläum schon zu den Ohren raushängt, sollten diese Darbietung nicht verpassen.

In unserem Wohnzimmer gab es mal ein kleines Poster, auf dem Martin Luther abgebildet war. Mit einer Che-Guevara- Mütze und der Unterschrift „Viva la Reformacion“. Es lebe die Reformation – so könnte das Motto dieses Jahres lauten. Das Jahr 2017 bedeutet 500-jähriges Reformationsjubiläum, was gerade hier, in Marburg, niemanden entgangen sein sollte. Auch in anderen Städten wird fleißig Reformation gefeiert – mit Sonderaustellungen, Festveranstaltungen oder eben mit Theaterstücken. So ist es erst einmal nicht weiter verwunderlich, dass auch der Marburger Theatersommer ein wenig mitfeiert und uns ein Stück über Martin Luther präsentiert.

„Hallo Gerhard, Grüß dich Jutta! Gestatten, Martin Luther“

Auf der Bühne stehen neun Schauspieler:innen in Mönchskleidung und sie alle heißen Martin Luther, sie alle sind Martin Luther. Wer eine Nacherzählung von Luthers Lebensgeschichte erwartet, liegt jedoch falsch. Ebenso wer erwartet, dass sich hier ein Luther vorstellt, der Che-Guevera-mäßig die ganze Welt umkrempelt. Eher lautet die Frage des Abends „Ist das denn wirklich so?“ Luther wird kritisiert, hinterfragt, er streitet mit sich selbst, säuft und tanzt und ist unglaublich stolz auf sich. Oder sind wir einfach nur unglaublich stolz auf ihn? Ist es überhaupt gerechtfertigt, dass wir diesen Martin Luther so feiern? Schließlich sind die Festveranstaltungen rund um das Reformationsjubiläum noch nicht alles, was in diesem Jahr wegen – oder mit – Luther veranstaltet wird. Es unter anderem die Luther-Playmobilfigur, Luther-Kekse und Luther-Socken. Zu seinem Jubiläumsjahr bekommt Martin Luther die volle Ladung Merchandise.

„Party ohne Ende. Wie wird man zur Legende?“

„Wir sind Luther“ ist eine Mischung aus Kabarett, Parodie und Comedy-Show, geschmückt mit postdramatischen Elementen. Mit wortgewaltigen und gleichzeitig komisch-banalen Texten gelingt eine sehr unterhaltsame und gleichzeitig kritische Auseinandersetzung. Die Lieder sind im klassischen Musical-Stil gehalten (Achtung, Ohrwürmer!). Die Vielfalt des Ensembles macht Luther zu einer Figur, die nur im Widerstreit zu sich selbst stehen kann – das ist teilweise verwirrend, aber dennoch sehr eindrucksvoll.

„Außer Thesen nix gewesen“

Sehr eindrucksvoll ist auch die Art und Weise wie das Reformationsthema seinen Bezug zur Moderne findet . Marc Becker’s Stück gelingt es nicht nur Luther als Person zu reflektieren und kritisieren, sondern es spannt auch den Bogen zu einer gesamtgesellschaftlichen Kritik. Die bezieht sowohl auf die populäre Aufarbeitung historischer Ereignisse als auch die Relevanz des Reformationsgedankens in einer weitgehend säkularisierten Gesellschaft. So wird beispielsweise der mittelalterliche Ablasshandel mit der neoliberalen Selbstoptimierung verglichen und die Rolle von Medien in der Verbreitung von Gedankengut reflektiert.

„Luthers legendäre Leidenschaft lässt Liebe leuchten“

Diese satirische Annäherung an Luthers Lebensgeschichte ist erfrischend, in einem Jahr indem Luther irgendwie in allem steckt. Zwar ist es fraglich, ob die teilweise sehr zynischen Kommentare über sein Leben, Denken und Handeln verdient hat – vertragen kann er sie aber auf jeden Fall. Die Reformation auf diese Weise umzudenken und zu kritisieren – das ist irgendwie auch ziemlich lutherisch.

Besetzung: Ogün Derendeli, Lisa-Marie Gerl, Julia Glasewald, Thomas Huth, Insa Jebens, Artur Molin, Roman Pertl, Stefan Piskorz, Daniel Sempf

Band: Jörg Helfrich, Andreas Jamin, Christian Keul, Holger Schwarzer

Regie: Marc Becker Musikalische Leitung: Christian Keul Bühne: Harm Naaijer Kostüme: Sandra Münchow Dramaturgie: Simon Meienreis Regieassistenz und Inspizienz: Philipp Lütgenau Soufflage: Bernd Kruse

Weitere Aufführungen sind vom 09.06.-11.06., vom 13.06.-17.06. und vom 23.06.-25.06. jeweils um 21 am Marktplatz.

FOTO: Jan Bosch

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