Theater Review #27: Das Tagebuch der Anne Frank

Theater Review #27: Das Tagebuch der Anne Frank

„O ja, ich will nicht umsonst gelebt haben wie die meisten Menschen. Ich will den Menschen, die um mich herum leben und mich doch nicht kennen, Freude und Nutzen bringen. Ich will fortleben, auch nach meinem Tod.“

Anne Frank, Tagebucheintrag, 5. April 1944

Theater für die Gegenwart

Die Naziherrschaft während des Dritten Reichs und die Verfolgung von jüdischen Menschen, Andersdenkenden und allen, die den Vorstellungen der Nationalsozialisten nicht entsprachen, ist ein grausamer Teil der Geschichte, der sich unter keinen Umständen wiederholen darf. Und doch lassen sich zu Zeiten gesellschaftspolitischer Herausforderungen heute beängstigende Ähnlichkeiten zur Lebenszeit Anne Franks erkennen: Schändungen von Synagogen, Anschläge auf jüdische Einrichtungen und Bedrohungen sowie Misshandlungen von Angehörigen jüdischen Glaubens (Chronik antisemitischer Vorfälle, Amadeu Antonio Stiftung). Der Antisemitismus und darüber hinaus auch die Skepsis gegenüber allem was “vermeintlich” anders und nicht deutsch ist, verschwand mit dem Ende des zweiten Weltkriegs nicht. Es ist aktueller denn je!

Darum geht es

Das Tagebuch der 13-jährigen Anne Frank, das nach dem Ende des zweiten Weltkriegs von ihrem Vater Otto Frank veröffentlicht wurde, gibt ganz besondere Einblicke in das Leben von Menschen, die aufgrund ihres Glaubens fliehen und sogar untertauchen mussten. Aufgrund der zunehmenden diskriminierenden Gesetze und der Verfolgung von Jüd:innen in Deutschland floh Anne Frank mit ihren Eltern und ihrer älteren Schwester 1942 in die Niederlande. Da sich die Situation für Jüd:innen auch dort zunehmend verschlechterte, tauchte die Familie zusammen mit dem Zahnarzt Fritz Pfeffer und mit einer weiteren Familie namens van Pels im Hinterhaus der Firma von Otto Frank unter. Mit der Hilfe einiger weniger involvierter Helfer:innen konnten die Untergetauchten mehr als zwei Jahre ihr Überleben im Hinterhaus sichern. Anne Frank fand dabei in ihrem Tagebuch “Kitty” eine sehr gute Freundin, der sie regelmäßig ihre Erlebnisse und Sorgen aus ihrem Leben im Hinterhaus mitteilte. Die Identitätssuche einer heranwachsenden jungen Frau und die zwischenmenschlichen Konflikte mit der Familie und der ersten Liebe nahmen dabei gleichermaßen viel Raum ein wie die Erfahrung aufgrund des religiösen Glaubens verfolgt zu werden, zu fliehen und sich verstecken zu müssen.

Die Inszenierung

Das Tagebuch der Anne Frank ist – wie der Untertitel schon verrät – kein klassisches Theaterstück, sondern eine szenische Lesung. Das bedeutet, dass die Aufführung ohne ein pompöses Bühnenbild oder aufwändige Requisiten auskommt. Der Fokus der Aufführung liegt neben der minimalistisch gehaltenen Bühne mit einigen Stühlen und einzelnen Kartons besonders auf der Arbeit mit Licht und Musik. Für Regisseur Tomasz Cymerman bestand gerade darin allerdings die zentrale Herausforderung: durch wenig theatraler Inszenierung wird den Worten Anne Franks eine besondere Bedeutung geschenkt. In diesem Kontext muss allerdings auch die herausragende Leistung der drei Darstellerinnen gewürdigt werden. Die Art und Weise wie Mechthild Grabner, Valentina Schüler und Franziska Knetsch die originalen Tagebucheinträge szenisch darstellen, ist überaus bemerkenswert, da sie Mimik, Gestik und Stimme perfekt einsetzen, um dem Publikum die starken Emotionen, die mit dem Leben Anne Franks in Verbindung stehen, einerseits mit Humor, gleichzeitig aber auch mit einer tiefen Betroffenheit zu übermitteln. Trotz der schlichten Bühne schaffen sie es, das Hinterhaus der Anne Frank lebendig werden zu lassen und den Worten Franks den notwendigen Raum zu geben.

Fazit

Die Geschichte von Anne Frank ist in der heutigen Zeit leider sehr aktuell. Da die Mehrheit der Zeitzeugen, die den Holocaust miterlebt haben, aber nicht mehr am Leben sind, ist die gesellschaftliche Erinnerung ganz besonders wichtig. Das Theaterstück „Tagebuch der Anne Frank“ leistet dazu einen wichtigen Beitrag und eignet sich auch besonders gut, um Jugendlichen die Thematik näher zu bringen. Die Leistung von Regie und Darstellerinnen ist dabei bemerkenswert. Ein Besuch der nächsten Vorstellungen empfiehlt sich daher unbedingt!

Nächste Termine: 06.12.2019, 19.30 Uhr

Regie: Tomasz Cymerman
Dramaturgie: Tomke Mindner
Musik: Ayane Yamanaka
Besetzung: Mechthild Grabner, Franziska Knetsch, Valentina Schüler

FOTO: Jan Bosch, Hessisches Landestheater Marburg

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