Von Ohnmacht und Wut

Von Ohnmacht und Wut

Wenn das Nachrichtenlesen zu anstrengend ist, die Auswahl an Serien und Filmen einen nach einer halben Stunde doch wieder zu witzigen Youtube Videos führt und man nach langer Überlegung, was man bei Lieferando bestellt, sich doch einfach Müsli macht. Dann kommt leise dieses Gefühl, unter der Reizüberflutung unterzugehen, wieder auf.

Harder Better Faster Stronger

Entschleunigung ist ein Luxus, den sich heute kaum jemand leisten kann. Vieles findet nur noch passiv statt, da Apps unsere Nachrichten raussuchen, Netflix uns sagt, was wir am besten schauen sollten und Cookies uns unsere nächste Amazonbestellung vorschlagen. Aufmerksamkeit ist wertvoller denn je. In den sozialen Medien folgen deswegen auch erschütternde Berichte auf Nonsense-Jokes und die fünfte Neuinterpretation eines Filmtrailers. Eine möglichst große Bandbreite an „Nachrichten“, die versuchen aus der Masse herauszustechen. Dabei verliert der tatsächliche Inhalt immer mehr an Wert, da es viel wertvoller ist einen Artikel anzuklicken, als ihn tatsächlich zu lesen. Irgendwann erwacht man dann aus dem Fiebertraum und weiß selber nicht mehr, warum man den Browser überhaupt geöffnet hat.

Mit den technischen Neuerungen gehen natürlich auch viele Vorteile einher. Berichterstattungen, Kommentare und Meinungen gibt es in einer Diversität, wie man sie sich in einer Streitkultur nur wünschen kann. Außerdem haben Medien einen Funktionalismus, dem man als Einzelner sowieso nicht entscheidend entgegentreten kann. Nur weil ich, zum Beispiel Instagram ablehne, verschwinden die falschen Schönheitsideale und die unsachlich-bildliche Berichterstattung nicht. Andere Nutzer könnten weiterhin Spaß mit dem Medium haben, aber ich müsste mich einschränken. Alles halb so wild also?
Nein! Ganz im Gegenteil. Gegebenheiten, die den eigenen Idealen wiedersprechen einfach als normal abzuschreiben, käme dem Verhalten eines Nichtwählers gleich. Ob im Internet oder im Alltag. Nicht nur auf medialer Ebene lässt man sich vor lauter Unübersichtlichkeit in die eigene Komfortzone zurückdrängen. Die Unübersichtlichkeit und ein massiv beschleunigten Alltag lassen einen in Überforderung und Lethargie zurück.

Komfortzone oder Ohnmacht?

Der eigene Komfort, oft aber auch eine Überforderung führen regelrecht zu einer Ohnmacht im Umgang mit Nachrichten. Als Student der Politikwissenschaften bekomme ich nur allzu oft mit, wie Freund:Innen, Bekannte und Kommiliton:Innen wütend über beispielsweise dem Erstarken von Rechten oder ökonomischen Missständen werden. Gerade im universitären Umfeld herrscht eine durchaus ähnliche Meinung gegen Rechts vor, aber die Lösung für das große Problem scheint zu fehlen. Obwohl man es anders meinen sollte, scheint auch bei Student:Innen der Irrglaube von einer einfachen Antwort auf komplexe Probleme zu existieren. Wünschenswert wäre so etwas. Die Suche nach so einer einfachen Antwort, führt allerdings eher zu einer lähmenden Melancholie. An einem Abend nach sechs oder sieben Bier gipfelt diese dann in Reden über den gesellschaftlichen Verfall und Dystopien, die Blade Runner Konkurrenz machen.

Der Frust verpufft und man fühlt sich besser, bis die nächste harte Schlagzeile einem wieder den Boden unter den Füßen nimmt und man auf den nächsten Ausbruch hinarbeitet. Abseits des Uni-Umfeldes bricht der aufgestaute Frust auf Familiengeburtstagen aus oder es wird einem einfach egal. Und das ist der schlimmste Fall. Das ärgert mich am meisten! Aber ich wäre ein Heuchler, würde ich behaupten, ich würde so einen Frust und/oder Ohnmacht nicht auch selber erfahren.

Die kleinen Revolutionen feiern 

Dass Ungerechte Umstände oder Systeme sich in einer großen Revolution zum Besseren wenden lassen, ist in der heutigen Gesellschaft mehr ein Mythos denn je. Es ist schön in so einer Idee zu schwelgen, wie bei KIZs „Hurra die Welt geht unter“. Solche Utopien dienen allerdings vielmehr lediglich der Orientierung und dem Antrieb, als einer theoretischen Problemlösung. Auch Karl Marx hatte keine Antwort, wie das bessere System nach dem Ende des Kapitalismus aussieht. Dennoch gibt uns seine Theorie heute noch die Möglichkeit Missstände aufzudecken und an einer Verbesserung zu arbeiten. Aber was können wir mit Erkenntnissen wieder auf uns alleingestellt anfangen?
Wir können unsere eigenen kleinen Revolutionen starten, indem wir aus der eigenen Komfortzone auszubrechen und uns wirklich engagieren. Wir sollten uns von Nachrichten berühren lassen. Ja, auch runterziehen lassen, solange man merkt, dass es um Umstände geht, die einem wichtig sind.

Den Frust sollte man sich zu Nutze machen, in den man ihn wahrnimmt und überlegt, was man genau dagegen tun kann. Mal wieder richtig wütend sein und keinen Witz darüber machen, sondern Taten daraus sprechen lassen. Ich meine damit nicht, Nazis zu verprügeln. Auf die Frage, was man denn tun kann, gibt es viele Antworten. NGOs, Vereine, Foren aber auch bei der nächsten Demo nicht nur da zu sein, sondern die Diskussion mit der „anderen Seite“ suchen. Es wird dabei zwar Kritik hageln und das nicht nur aus dem eigenen Umfeld. Aber diese Kritik sollte man genauso zulassen und an sich heranlassen. Es gibt kein richtig oder falsch, aber nur wenn man kritischen Stimmen genau zuhört, kann man sich orientieren, wo man steht. So findet man nicht die richtige Antwort, auf die Frage, was man tun kann. Aber man findet heraus, was man selber gerne dagegen tun will und kann.

Politisch sein ist nichts, was man ablegen kann. Es ist eine individuelle Lebenseinstellung, die man selber gestalten kann und sollte.

Foto: PixelAnarchy

studiert Politikwissenschaften, verbringt zu viel Zeit um sich über die BILD aufzuregen und isst süßes und salziges Popcorn gemischt.

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