Was bedeutet der Chemie-Nobelpreis 2015 für die Wissenschaft, Prof. Hartmann?

Was bedeutet der Chemie-Nobelpreis 2015 für die Wissenschaft, Prof. Hartmann?

Medizin, Physik, Chemie, Literatur, Frieden, Wirtschaft – für besondere Erkentnisse auf diesen wichtigen Gebieten werden alljährlich die Nobelpreise verliehen. Für Fachfremde ist es aber oftmals schwierig, zu verstehen, wofür die Preisträger*innen eigentlich ausgezeichnet werden. Welche Bedeutung die Arbeit der drei DNA-Forscher Tomas Lindahl, Paul Modrich und Aziz Sancar hat, die in diesem Jahr den Chemie-Nobelpreis erhalten, hat Prof. Dr. Roland K. Hartmann vom Institut für Pharmazeutische Chemie für PHILIPP erklärt.

PHILIPP: Herr Hartmann, wofür wurde der Nobelpreis in Chemie in diesem Jahr verliehen?

Prof. Dr. Roland K. Hartmann: Der Chemie-Nobelpreis prämiert in diesem Jahr drei Arbeiten, die sich unabhängig voneinander mit der körpereigenen Reparatur von DNA-Schäden befassen. Die Forschungsergebnisse der Preisträger haben wichtige Grunderkenntnisse auf dem Weg zum heutigen Wissensstand gebracht, sodass auf ihnen nun ganze Forschungszweige aufbauen. Zum Vergleich: Würde ein Nobelpreis für Autos verliehen, wäre die Erfindung des Rades ein ähnlicher Meilenstein. Tomas Lindahl, einer der drei Preisträger, hat festgestellt, dass die DNA an sich instabil ist, also in der Zelle verändert oder kaputt gemacht werden kann. Die DNA ist unsere Erbinformation, das heißt, dort ist der Bauplan eines Menschen codiert. Sie besteht aus vier verschiedenen Bausteinen, von denen jeweils zwei wie Puzzleteile zueinander passen. In einer Zelle kann es nun passieren, dass ein Baustein aus der DNA-Kette herausgelöst oder in einen anderen Baustein bzw. chemisch so verändert wird, dass er bei der nächsten Kopierung der DNA im Rahmen der Zellteilung nicht mehr als der ursprüngliche Baustein erkannt und die DNA daher nicht korrekt kopiert werden kann. Die DNA wird also verändert.

Solche Veränderungen sind schlecht, nehme ich an?

Genau, diese Schäden der DNA kann man sich als „tickende Zeitbombe“ vorstellen: Grundlage für die Entstehung von Krebs ist nämlich eine Veränderung in der DNA-Sequenz, also in der Abfolge der vier Bausteine. Die beschriebenen Veränderungen der DNA passieren spontan und daher bei jedem Menschen, auch wenn er oder sie nicht raucht und lange Sonnenbäder vermeidet. In den 45 Minuten einer Vorlesung etwa werden schätzungsweise 300 glykosidische Bindungen pro Körperzelle spontan hydrolisiert. Das bedeutet, dass 300 Bausteine ihre Bindung zur DNA-Kette verlieren. Geht man von 10¹³ Körperzellen pro Mensch aus, heißt das, dass bei jedem*r Studierenden 3×1015 dieser Bindungen pro Vorlesungsstunde kaputt gehen. Durch UV-Licht oder bestimmte Substanzen in Pökel- oder Grillfleisch kann der Prozess noch verstärkt werden. Dies alles illustriert die Notwendigkeit von DNA-Reparatursystemen, die permanent an der DNA patrouillieren und Schäden reparieren. Nach dem heutigen Stand der Forschung gibt es mehrere solcher Systeme, die gleichzeitig in unserem Körper aktiv sind.

Das ist es, was die Preisträger untersucht haben?

Richtig, Tomas Lindahl hat erstmals herausgefunden, dass unsere DNA Zerfallsprozessen unterworfen ist. Er hat daraufhin die Existenz von DNA-Reparaturmechanismen postuliert und tatsächlich eines dieser Systeme entdeckt. Zwei weitere wurden von den beiden anderen Preisträgern Paul Modrich und Aziz Sancar untersucht.

Und wie konnten ihre Forschungsergebnisse nun konkret verwendet werden?

Ausgewirkt hat sich die Forschung der Preisträger hauptsächlich im Bereich des Verständnisses von Krebs. Es handelt sich aber natürlich – wie oft in der Wissenschaft – nur um einen indirekten Effekt, da bei der Beurteilung von Forschungsergebnissen nie plötzliche „Hammer-Erkenntnisse“ erwartet werden dürfen. Die Arbeit der Preisträger stellt vielmehr solide wissenschaftliche Forschung über einen langen Zeitraum dar. Es sind kleine Puzzleteile, die aber alle notwendig sind, um zum heutigen Kenntnisstand zu gelangen.

ZUR PERSON Prof. Dr. Roland K. Hartmann leitet eine Arbeitsgruppe am Institut für Pharmazeutische Chemie, deren Forschungsschwerpunkt im Bereich nicht-kodierender RNA-Moleküle, unter anderem im Kontext von Krebs, liegt. In Kooperation mit der AG Stephan Becker arbeitet er zudem an der Transkription des Ebola-Virus. An der Philipps-Universität lehrt Prof. Hartmann seit 2003.

FOTO: Stuart Caie auf flickr.com, CC-Lizenz

Stellvertretende Chefredakteurin und Ressortleiterin Politik. Hat seit neustem ein abgeschlossenes Hochschulstudium - yeah! - und ist ein Fan von Katzen, dem Internet und Katzen im Internet.

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