Was bedeutet der Chemie-Nobelpreis 2016 für die Wissenschaft, Prof. Gottfried?

Was bedeutet der Chemie-Nobelpreis 2016 für die Wissenschaft, Prof. Gottfried?


Medizin, Physik, Chemie, Literatur, Frieden, Wirtschaft – für besondere Erkenntnisse auf diesen wichtigen Gebieten werden alljährlich die Nobelpreise verliehen. Für Fachfremde ist es aber oftmals schwierig, zu verstehen, wofür die Preisträger:innen eigentlich ausgezeichnet werden. In Chemie hat PHILIPP Nachhilfe von Prof. Dr. Michael Gottfried bekommen.

PHILIPP: Wofür wurde der Chemie-Nobelpreis in diesem Jahr verliehen?
Prof. Gottfried: Der Nobelpreis in Chemie wird in diesem Jahr an drei Forscher verliehen, die die kleinsten bekannten Maschinen gebaut haben – sie bestehen meist nur aus einem einzigen Molekül. Die drei Wissenschaftler – Jean-Pierre Sauvage, James Fraser Stoddart und Ben Feringa – haben damit eines der Ziele realisiert, die bereits 1959 von dem Physiker Richard Feynman in seinem berühmten Vortrag ,,Plenty of room at the bottom“ skizziert wurden.

Das hört sich interessant an. Worum ging es in diesem Vortrag?
Mit dem Titel meinte Feynman, dass es keinen Grund gibt, Maschinen und Rechner so groß zu bauen, wie es 1959 üblich war, sondern dass es auch viel, viel kleiner geht. Nanotechnologie und Mikroelektronik haben ja schon eindrucksvolle Beispiele für die Richtigkeit dieser Vorhersagen geliefert. Und nun kommen auch die molekularen Maschinen hinzu.

Wie funktionieren denn diese molekularen Maschinen?
Es handelt sich um Moleküle, die meist durch Wärme, Licht oder Elektronen in gerichtete Bewegung versetzt werden. Nehmen Sie das sog. NanoCar, ein molekulares Auto, das von Ben Feringa hergestellt wurde. Es wurde auf eine Kupferoberfläche gesetzt und dann mit Elektronen angetrieben, die aus der Spitze eines Rastertunnelmikroskops kamen. Daran sieht man, wie technisch aufwendig viele dieser Arbeiten sind – unter anderem sind höchstauflösende Mikroskope wichtig.

In welcher Größenordnung bewegen wir uns denn da?
Etwa das NanoCar von Feringa ist etwas größer als ein Nanometer, was einem Millionstel Millimeter entspricht. Man müsste also fast eine Million dieser Fahrzeug-Moleküle hintereinander aufreihen, um einen „Stau“ von einem Millimeter Länge zu erzeugen. Mit bloßem Auge oder auch mit einem normalen Lichtmikroskop kann man die molekularen Maschinen also nicht erkennen.

Und welche Arten solcher kleinen Maschinen aus Molekülen gibt es nun?
Wir alle kennen molekulare Maschinen: Unsere Muskeln werden von Motorproteinen angetrieben. Diese biologischen Systeme sind jedoch zu kompliziert, um direkt nachgebaut zu werden. Die Chemiker haben daher einfachere Systeme synthetisiert. Bei Jean-Pierre Sauvage waren es zunächst mechanisch verschränkte Moleküle wie die sog. Catentane, bei James Fraser Stoddart die Rotaxane, so etwas wie molekulare Aufzüge.

Und der dritte Preisträger?
Ben Feringa hat zunächst photoschaltbare Moleküle auf Oberflächen fixiert. Bei Lichteinfall dreht sich obere Teil des Moleküls, und zwar immer in die gleiche Richtung – wie bei einem Motor. Feringa hat nun vier solcher Motor-Moleküle so zusammenmontiert, dass sie wie die vier Räder eines Autos funktionieren. Damit kann das Gesamtmolekül auf einer Oberfläche „fahren“, wenn es Treibstoff bekommt. Eine besondere Herausforderung war dabei, dass sich alle vier Motoren in dieselbe Richtung drehen müssen. Andernfalls bleibt das Auto auf der Stelle oder dreht sich im Kreis.

Hier könnt ihr euch das ersten Rennen zwischen Nanocars ansehen:

Wie muss man sich denn die Forschung der drei Wissenschaftler vorstellen: Haben sie gemeinsam geforscht oder jeder für sich?
Weder noch. Jeder der drei leitet eine große Arbeitsgruppe an einer anderen Forschungseinrichtung mit wechselnder Besetzung. Hinzu kommen noch Kooperationspartner. Es sind also sehr viele Leute direkt oder indirekt beteiligt, und nur so können solche Projekte überhaupt realisiert werden. Nehmen Sie das schon erwähnte NanoCar: Synthetisiert wurde es in Feringas Labor in Groningen, aber die Fahrversuche wurde bei Karl-Heinz Ernst in Zürich durchgeführt.

Und warum wurde dann Ben Feringa ausgezeichnet, Karl-Heinz Ernst aber nicht?
Das ist eine sehr berechtigte Frage. Einerseits ist es so, dass der Nobelpreis besonders herausragende Forscher:innen auszeichnet, andererseits wird aber auch die Arbeit des gesamten Forschungsgebiets gewürdigt, zu dem viele beigetragen haben. Die Akteure sehen das sicherlich genauso. Ich werde Herrn Ernst, der übrigens am 7. Dezember bei uns in Marburg einen Vortrag halten wird, also herzlich gratulieren.

Was ist denn eigentlich der Vorteil an molekularen Maschinen – außer, dass sie klein sind?
Kleine Maschinen, die beispielsweise nur aus 100 oder 1000 Atomen bestehen, können zum einen völlig gleichartig nachgebaut werden, was bei großen Maschinen unmöglich ist. Zum anderen funktionieren molekulare Maschinen auch auf Basis ganz anderer Prinzipien als große Maschinen. So spielen etwa Gravitationskräfte keine Rolle mehr. Auf beide Punkte hat übrigens schon Feynman hingewiesen. Ob und wie diese besonderen Eigenschaften zu praktischen Vorteilen führen, wird sich zeigen.

Und was könnte dann mit der ausgezeichneten Technik möglich sein?
In den letzten 100 Jahren wurde die Mechanik vielfach durch die Elektronik abgelöst. Ein Grund dafür ist, dass sich die Elektronik leichter miniaturisieren ließ. Die molekularen Maschinen könnten nun aber ein Comeback der Mechanik auslösen, vielleicht kombiniert mit der Mikroelektronik. Die Möglichkeiten sind vielfältig, allerdings lassen sich solche Dinge kaum seriös vorhersagen.

Kann man überhaupt abschätzen, wie sich die Forschung auf diesem Gebiet weiterentwickeln wird?
(lacht) Das Spannende an der Wissenschaft ist doch gerade, dass man zu dieser Frage überhaupt nichts sagen kann – jedenfalls nichts Sinnvolles.

ZUR PERSON Prof. Dr. Michael Gottfried leitet eine Arbeitsgruppe auf dem Gebiet der Physikalischen Chemie und forscht an Nanostrukturen, Oberflächen und Grenzflächen. Er ist Mitglied im Sonderforschungsbereich 1083 ,,Struktur und Dynamik innerer Grenzflächen“ . An der Philipps-Universität lehrt er seit 2011.

FOTO: CC Edumol Molecular Visualizations auf flickr.com, unverändert

Stellvertretende Chefredakteurin und Ressortleiterin Politik. Hat seit neustem ein abgeschlossenes Hochschulstudium - yeah! - und ist ein Fan von Katzen, dem Internet und Katzen im Internet.

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