Was bedeutet der Medizin-Nobelpreis 2015 für die Wissenschaft, Prof. Lohoff?

Was bedeutet der Medizin-Nobelpreis 2015 für die Wissenschaft, Prof. Lohoff?

Medizin, Physik, Chemie, Literatur, Frieden, Wirtschaft – für besondere Erkentnisse auf diesen wichtigen Gebieten werden alljährlich die Nobelpreise verliehen. Für Fachfremde ist es aber oftmals schwierig, zu verstehen, wofür die Preisträger*innen eigentlich ausgezeichnet werden. Den Nobelpreis der Physiologie oder Medizin erhalten 2015 drei Forscher*innen der Parasitologie. Der in New Jersey lebende William C. Campbell und der japanische Biochemiker Satoshi Ōmura teilen sich eine Hälfte des Nobelpreises, der mit mehr als 850.000 Euro dotiert ist. Die andere Hälfte erhält die chinesische Pharmakologin Youyou Tu für ihre schon Jahrzehnte zurückliegende, grundlegende Entdeckung. Prof. Dr. med. Michael Lohoff, Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie und Krankenhaushygiene erläutert die Bedeutung ihrer Forschung.

PHILIPP: Wofür wurde der Nobelpreis der Medizin dieses Jahr vergeben?

Prof. Lohoff: Der Nobelpreis wurde vergeben für drei Medikamente gegen Erkrankungen, von denen zwei Wurmerkrankungen sind und das andere die Malaria ist, die in den Entwicklungsländern eine ganz große Bedeutung haben.

Wieso wurden die Forschenden erst jetzt ausgezeichnet, obwohl die Entdeckungen schon so weit zurück liegen?

Nun, ich denke, es ist bei vielen Sachen so, dass man erstmal sehen muss, ob das Ganze das hält, was es verspricht. Es ist normalerweise so, dass sie den Durchschlag eines Erfolgs erst einige Jahre später entdecken können. Und gerade in diesem Fall ist es so, wenn Medikamente beschrieben werden, dann ist am Anfang die Hoffnung groß, aber man muss im Regelfall erst einige Jahre Erfahrung obendrauf haben, um sehen zu können, ob es auch wirklich so ist, wie sie es sich am Anfang überlegt haben.

Warum wurde gerade 2015 der Fokus auf diese Erkrankungen gelegt?

Die Bedeutung dieser Erkrankungen ist langfristig und die Anwendung dieser Medikamente ebenfalls. Es ist sogar so, dass man intern, oder ich, mit anderen Dingen gerechnet hätte. Und es war eine Überraschung, die deswegen auch eine schöne Überraschung ist, weil sie auch Forscher respektiert, die Dinge erforschen, die nicht, wie üblicherweise, unsere industrialisierte Welt betreffen. Also nicht ein supertolles neues Krebsmedikament, sondern in diesem Fall wirklich etwas, was jetzt den US-Amerikaner oder den Westeuropäer in der Regel nicht betrifft.

Was  für Medikamente genau sind das?

Avermectin wirkt bei den Fadenwürmern. Diese haben, wenn sie chronisch wirken, zwei ziemlich desaströse Konsequenzen. Der eine verklemmt Lymphknoten und damit den Lymphabfluss. Die Lymphe kann dann nicht mehr aus dem Gewebe abgezogen werden und bleibt dort stehen, sodass es dann potenziell durch Gewebe durchgebaut wird. Es entstehen dann dort, wo der hydrostatische Druck am höchsten ist, also Wasser nach unten drückt, in den unteren Gliedmaßen oder auch bei Männern im Hoden, groteskeste Vergrößerungen, was man dann Elephantiasis nennt. Das Mittel greift diesen Wurm direkt an. Das andere ist ein Wurm, der in der Haut sitzt und subkutane Knoten unter der Haut (Anm. d. Redaktion: Das ist ein Pleonasmus: subkutan bedeutet „unter der Haut“) bildet, die an sich nicht schlimm sind. Aber von dort ausgehend produziert dieser Wurm Kinder, die ins Blutsystem geschleust werden und unter anderem auch ins Auge geraten können und dort die Hornhaut trüben. In der Konsequenz gibt es gegen die Würmer eine Entzündungsreaktion, die für Undurchsichtigkeit sorgt und es entsteht eine Blindheit daraus.

Und das andere Medikament?

Das Artemisinin ist ein Mittel gegen Malaria Tropica, das ist die übelste Form der Malaria, die weltweit jedes Jahr eine Millionen Tote fordert und deswegen immer Anlass für Medikamenten-Neuentwicklungen ist. Der Erreger ist ein Einzeller – Einzeller sind im Gegensatz zu Würmern sehr teilungsaktiv, das heißt man hat sehr schnell sehr viele Malaria-Erreger und daraus entsteht eine gewisse Möglichkeit der Genveränderung, was Resistenzentwicklung gegen Medikamente bedeutet, sodass man immer mit einem neuen Mittel hinter der Resistenzentwicklung hinterherrennt. Dieses neue Produkt ist eins, was wieder Hoffnung erweckt, das spezifisch in Afrika sehr gut wirksam ist und welches auch gegen resistente Keime eingesetzt werden kann. Schön ist dabei auch, dass es nicht am Computer, sondern von einer schlauen Chinesin (Anm. d. Redaktion: Youyou Tu) entwickelt wurde, die chinesische alte Heilmittel ausprobiert und das Mittel aus einer Beifuß-Pflanze gewonnen hat.

Nun zum Fazit: Welche Auswirkungen haben die Medikamente für die Menschheit?

Es hat einen Einfluss auf das Verschwinden zweier Wurmerkrankungen, der Flussblindheit und der Elephantiasis. Und es ist eine weitere Waffe – die momentan auch zu messbaren Reduktionen führt in der Zahl der Toten pro Jahr – gegenüber Malaria Tropica. Wobei es bei Malaria Tropica mit Sicherheit nicht das Ende der Geschichte ist. Wenn das Medikament breit angewendet wird, wird es dagegen auch wieder Resistenzen geben und man wird wieder etwas Neues nehmen müssen.

ZUR PERSON Prof. Dr. med. Michael Lohoff arbeitet seit 1999 am Institut für Medizinische Mikrobiologie und Krankenhaushygiene auf den Lahnbergen. 2006 und 2012 erhielt er den Preis für ausgezeichnete Lehre am Fachbereich Medizin der Philipps Universität Marburg.

FOTO: Ed Uthman auf flickr.com, CC-lizenz

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