‚‚Wir sind politisch, aber nicht parteipolitisch!‘‘

‚‚Wir sind politisch, aber nicht parteipolitisch!‘‘

Am Freitag geht es in Marburg weiter mit den Klimastreiks. Unter dem Motto: „Kapitalismus – Krieg – Klima“ wollen sich zahlreiche Demonstrant:innen versammeln und ihre Meinung kundtun. Wir haben uns vorher mit zwei Menschen des Orga-Teams der Fridays for Future – Marburg getroffen. Valentina Haas (21) studiert in Marburg Politikwissenschaften und hat die lokale Bewegung mitgegründet, nachdem sie sich beim ersten Klimastreik (am 14.12.18) mit einer Gruppe Interessierter zusammengefunden hatte. Anne Mertens (20) kam über Freund:innen zu Fridays for Future und ist mittlerweile neben ihrem Psychologiestudium ein aktives Mitglied bei den Klimaaktivist:innen.

PHILIPP: Hey; danke dass ihr euch die Zeit nehmt! Zu Anfang wollten wir fragen, wie ihr euch als Teil der großen Fridays for Future Bewegung seht?

Anne: Hier in Marburg sind wir eine Ortsgruppe. Und als Mitglieder dieser Ortsgruppe sehen wir uns alle als gleichgestellte Bestandteile. Jede:r kann überall mitmachen, wo er oder sie möchte und wir versuchen immer, uns gegenseitig zu helfen.

Valentina: Genau! Wir sehen uns schon als Teil von Fridays for Future global, aber trotzdem als unabhängige Ortsgruppe. Es gibt ja auch keine starren Verbands- oder Vereinsstrukturen. Es wurde am Anfang mal überlegt, die Bewegung ein wenig mehr zu institutionalisieren, aber das hätte nicht so viel Sinn gemacht.

Gibt es denn eine Hierarchie innerhalb eurer Ortsgruppe und der Bewegung deutschlandweit ?

Valentina: Ne, gar nicht.

Anne: Es ist so aufgeteilt, dass jede Ortsgruppe genau das gleiche Stimmrecht hat, um abzustimmen. Unter anderem, um welche Themen der nächste globale Klimastreik aufgestellt werden soll. Da ist man in der Ortsgruppe wieder super frei. Wir können hier vor Ort komplett entscheiden, wie wir uns einsetzen wollen.

Trotzdem gibt es administrative Aufgaben, in der Ortsgruppe und auf Bundesebene. Wie ist das dort geregelt?

Valentina: Also, jede Arbeitsgruppe hat immer Bundesdelegierte aus zwei Repräsentant*innen, die wir als Ortsgruppe bestimmen. Die Städte und Ortsgruppen vernetzen sich über diese Delegierten. Über Telefonkonferenzen wird dann beispielsweise das Thema von einem globalen Klimastreik bestimmt. Genauso läuft das bei den bundesweiten AGs, wie zum Beispiel bei der Social Media-AG. Die Ortsgruppen können in diesen bundesweiten AGs mitmachen, wenn sie wollen. Hier in Marburg haben wir einmal in der Woche ein Plenum. Das ist ziemlich wichtig, weil wir uns dort regelmäßig treffen und uns intensiv mit uns als Bewegung auseinandersetzen. Bei uns gibt es ebenfalls AG’s, die sich verschiedenen Themen widmen. Wir verteilen uns da schon je nach Kompetenzen, aber letztendlich kann jede:r einfach schauen, auf was er:sie Lust hat und wozu er:sie Kapazitäten hat.

Und wie geht ihr dann mit Aufgaben und Organisation um ?

Anne: Jede Woche wird beim Plenum neu entschieden, wer moderiert. Es gibt verschiedene Handzeichen, mit denen wir uns gegenseitig drannehmen. Es ist alles so hierarchiefrei wie möglich. Und die Delegierten wechseln auch. Also wenn ich jetzt Interesse daran hätte, dann kann ich mich jederzeit dafür melden. Es sind eigentlich immer Leute gewünscht, die mithelfen wollen und können.

Wie ist das mit Ergebnissen der AG’s; zum Beispiel die Forderungen-AG? Gibt es eine Instanz, bei der die AG sich dann rechtfertigen muss oder jemanden, der das alles überblickt?

Valentina: Ja, also bei der Forderungen-AG war es so, dass über ihre Forderungen sogar in mehreren Durchgängen abgestimmt wurde. Diese AG hat erst einmal ein Konzept erstellt, dieses in die Ortsgruppen gegeben und die haben dann jeweils wieder Feedback zurückgegeben. Das Feedback wurde verarbeitet und dann wurde abgestimmt, ob das so angenommen wird. Das kann eine AG nicht alleine bestimmen.

Mit der steigenden Medienpräsenz folgte euch auch ein Personenkult. Wie steht ihr dazu ?

Anne: Wir als Gruppe haben uns definitiv gegen diesen Personenkult ausgesprochen und wollen ihn in dieser Form nicht fördern. Auf der anderen Seite ist es aber auch schwer ohne ein Gesicht eine Bewegung aufrechtzuerhalten und in die Öffentlichkeit und Medien zu tragen.

Valentina: Die Frage ist, wie weit wir der Logik der Medien folgen wollen. Diese reißen sich immerhin um Personen, Gesichter und eine Geschichte. Das bringt Aufmerksamkeit für die Sache. Stellen wir uns dagegen, könnte das aber die Konsequenz nach sich ziehen, weniger mediale Repräsentation zu erfahren. Da muss man einen Mittelweg finden.

Ihr existiert jetzt etwas länger als ein Jahr. Wie hat sich die Bewegung seitdem entwickelt?

Anne: Also auf der Straße ist es am Anfang natürlich erst einmal viel viel mehr geworden. Nach dem Sommer hat es etwas nachgelassen. Die Witterung hatte da bestimmt auch Einfluss. Dafür sind wir viel präsenter in der Politik und den Medien geworden.Wir sind im Moment an einem Punkt, an dem wir überlegen, wie wir damit umgehen. Wir haben uns jetzt erst einmal dazu entschieden, nur noch ein mal, anstatt zwei mal im Monat zu demonstrieren.Wir wollen lokalpolitisch aktiver werden. Dort wollen wir mehr Druck machen, ohne ‚‚die Straße‘‘ zu sehr zu vernachlässigen. Um politisch etwas zu bewegen brauchen wir auch die Unterstützung von dort. Wir haben jetzt ein Jahr auf den Putz gehauen und jetzt kommt der Schritt, wo wir diesen Druck etwas zielgerichteter einsetzen wollen.

Bei eurem Plädoyer zum Degrowth Umdenken auf Facebook benennt ihr etwas genauere Forderungen. Woher nehmt ihr da die Expertise für genauere und effektivere Forderungen ?

Valentina: Ich denke, dass es absolut nicht unsere Aufgabe ist WissenschaftlerInnen zu spielen oder wissenschaftliche Berichte zu schreiben! Da gibt es Menschen, die das gelernt haben und das auch deswegen tun. Wir beziehen uns darauf, dass der Wissenschaft mehr Aufmerksamkeit von Politiker:innen gegeben werden muss bei solchen Themen. Das setzt natürlich auch voraus, dass die wissenschaftlichen Arbeiten wissenschaftlich gut fundiert sind. Zudem sind Oberbegriffe, wie Degrowth und Antikapitalismus krass große Wörter. Das sind für uns eher Prinzipien als Forderungen, an denen wir uns entwickeln wollen.

Anne: Wir setzen uns auch als Individuen damit auseinander, wobei wir da natürlich nicht dieselbe Expertise, wie die forschenden Wissenschaftler haben. Wir versuchen uns als Gruppe zu informieren und zu diskutieren. Da stehen wir mit den Science for Future viel in Kontakt, von denen wir detaillierte Informationen bekommen. Dabei handelt es sich um fundiertes Wissen und auch um Informationen, die uns thematische Ansatzpunkte geben. Das ist ja das schöne daran, dass wir uns gegenseitig zuarbeiten als Bewegungsgruppen und bewegungsübergreifend.

Valentina: Zudem ist es auch nicht unsere Aufgabe einen Plan für die Stadt Marburg zu entwickeln, der sie klimaneutral macht. Wir geben Ideen und das ist auch gut so, dass jeder da bestimmte Kapazitäten und seinen Aufgabenteil hat. So ist das auch bei den Bundesforderungen, die mit einer bestimmten Gruppe an WissenschaftlerInnen, die Fridays for Future ständig beraten, zusammen erarbeitet wurden

Sind diese Wissenschaftler Einzelpersonen oder gehören die einer Institution an?

Valentina: Das waren zum großen Teil die Scientist for Future, aber da waren auch ein, zwei Einzelpersonen dabei. Falls euch Meier Göppels was sagt oder Eckhart von Hirschhausen, die etwas prominenter sind oder auch Volker Quaschning. Die sind meistens auch bei der Pressekonferenz dabei, damit es öffentlichkeitswirksamer ist, obwohl da auch viele andere beteiligt waren.

Inwieweit stellt ihr euch vor, die Forderungen von FfF in die Politik zu tragen?

Valentina: Unser Hauptadressaten sind definitiv die Stadt und unser Bürgermeister. Als Ortsgruppe wollen wir uns erst einmal auf die Stadtpolitik konzentrieren. Das ist die Ebene, auf der wir uns hier am meisten Zugang erhoffen.

Anne: Die Leute vor Ort hier sehen dann auch, dass wir etwas bewirken! Dass soll was zum In-die-Hand-Nehmen sein und nichts Abstraktes, was in der Politik vielleicht mal besprochen wird und dann aus der Öffentlichkeit verschwindet.

Was schwebt euch da genau vor?

Valentina: ÖPNV, Energiequellen,… . Hauptsächlich, was den Verkehr angeht. Zum Beispiel die Fahrradinfrastruktur ausbauen, weniger Platz für Autos, mehr Platz für Wohnen und für’s Fahrrad. Sowas und vor allem die Anbindung zu den Dörfern. In Marburg kommt man mit dem ÖPNV gut aus, aber sobald du ein, zwei Dörfer weiter außen wohnst, bist du schon auf ein Auto angewiesen.

Anne: Es gibt auch den Klimaaktionsplan der Stadt, der gerade ausgearbeitet wird. Wir haben mit Herrn Spies darüber geredet. Da können wir als Bewegung auch gut ansetzen. Also es gibt zum Beispiel die Möglichkeit von der Stadt sich bei den Parlamentssitzungen dazuzusetzen. Wie wir uns in die Sitzungen einbringen können steht aber noch nicht fest. Vor allem steht bei uns die Frage noch im Raum, wie weit wir dabei in die Politik wollen. Parteipolitik wollen wir schon mal nicht mittragen. Wir sind politisch aber nicht parteipolitisch! Was die „Zukunftsräte“ aus unserem Facebook-Paper betrifft; das ist jetzt nichts konkretes, was wir fordern. Eher Demokratie wiederbeleben oder Mitspracherecht von Bürger*innen stärken

Ein Aufstellen zur Wahl 2021 der Stadtverordnetenversammlung kommt also nicht in Frage ?

Valentina: Nein, aber es gibt Leute, die das unabhängig von uns machen. Eine Gruppe will eine Klimaliste starten und sich aufstellen lassen. Dort gibt es personelle Überschneidungen, aber das ist nichts, was auf Fridays for Futures Namen läuft. Und die Forderungen auf dem Paper auf Facebook sind keine Forderungen. Das sind eher Ideen und Wünsche. Das ist noch nicht genau auf den Klimaaktionsplan bezogen.

Sprich, der Plan jetzt ist erstmal: Kommunikation stärken.

Valentina: Mit der Stadt allgemein reden zumindest. Wenn auf der Ebene noch nichts konkret steht, wo wir uns einhaken können, ist es erst einmal schwer, uns genauer einzusetzen. Obwohl wir trotzdem immer versuchen im Plenum zu klären, welche Themen wir gerade in die Öffentlichkeit bringen wollen. Was uns generell sehr wichtig ist, ist das ‚‚Selbermachen‘‘ nicht zu verlieren. Wir sind eine Graswurzelbewegung. Das wollen wir auch bleiben und das, ohne uns zu sehr zu verstricken, anzupassen oder instrumentalisieren zu lassen. Autonomie ist da ein wichtiges Wort. Wir wollen zwar den Kontakt zu politischen Kreisen, uns jedoch nicht diesen untergeben.

Anne: Wir wollen da auch bei unseren Forderungen bleiben, um uns nicht in interinstitutionellen Kompromissen aufhalten zu lassen. Aber auch auf der Individualebene wollen wir anregen, dass man klimagerecht handeln und viel verändern kann. Deswegen versuchen wir uns ohne Hierarchien aufzubauen und uns von politischen Institutionen zu differenzieren. 

Anstatt euch aktiv in die Stadtpolitik zu begeben wollt ihr eher zwischen den Institutionen Öffentlichkeitsarbeit betreiben ?

Anne: Das ist Teil unserer Diskussion, in der wir im Moment besprechen, wie weit wir gehen wollen. Wir sind uns nicht sicher, was im Moment genau ausreicht oder am besten ist, um Forderungen wirklich durchzusetzen. Das ist keine Entscheidung, die sich einfach treffen lässt. Wir wollen uns aber weiterentwickeln und deswegen ist der erste Schritt in diesem Jahr auch, dass wir auf jeden Fall weiter streiken, aber auch mehr Transparenz und Aufmerksamkeit schaffen wollen. Dadurch können wir den Leuten konkrete Informationen mitteilen und mehr Anreize und Bezugspunkte zur Stadt- und Klimapolitik allgemein mitgeben. Wir haben da das Gefühl, dass in den Ortsgruppen der Friday for Future Bewegungen gerade Orientierung eine wichtige Rolle spielt.

Könnt ihr denn gut an die Stadtverordnetenversammlung herantreten, so, dass eure Kritik angehört wird und Stellung dazu genommen wird ?

Valentina: Bis jetzt hatten wir nur Gespräche mit dem Oberbürgermeister und einem Stadtreferenten. Beim Klimabündnisplenum des Klimabündnis Marburgs wurde allerdings besprochen, in wie fern wir an die Stadtverordnetenversammlung herantreten können. Das ist uns auch wichtig, aber da gibt es leider noch nichts konkretes.

Wenn ihr im Moment überlegt euch mehr mit der Stadtpolitik auseinanderzusetzen, befürchtet ihr, dass ihr vielleicht Leute verliert, weil ihr euren Fokus etwas verschiebt ? 

Valentina: Ja, natürlich. Das ist eine realistische Überlegung. Gespräche mit der Stadt finden erst einmal in einem geschlossenen Raum statt. Man kann dann zwar eine Pressemitteilung schreiben, aber die OP liest auch nicht jeder. Damit setzen wir uns intensiv auseinander und besprechen das auch nächste Woche in unserem Grundsatzplenum. Aber ich denke, da kann man mit Social Media auch viel erreichen. In dem wir zum Beispiel posten könnten, was an dem Tag mit und innerhalb der Stadt, dem Magistrat oder auch anderen Gruppen oder Vereinen besprochen wurde.

Anne: Wir sehen uns da in der Aufgabe möglichst viel, von dem was dort in der Stadt politisch läuft nach Außen zu bringen. Es ist nicht so, dass Klimapolitik in der Stadt kein Thema wäre oder es nicht schon betrieben würde, aber vieles geht einfach unter oder ist noch nicht fertig. Wenn wir da etwas Transparenz schaffen können ist das für uns schon viel Wert. Das gibt hoffentlich auch Motivation sich mehr mit dem Thema zu beschäftigen und sich den Streiks anzuschließen.

Macht sich euer öffentlicher Zuspruch auch in euren Plenarsitzungen bemerkbar ?

Anne: Da sind echt viele dazu gekommen. Aber es ist auch schön zu sehen, dass viele verschiedene Menschen von SchülerInnen zu Studierenden, Arbeitenden und Leuten in der Ausbildung, also eine vielfältige Gruppe von Menschen, die dazu gekommen ist und natürlich auch willkommen ist.

Valentina: Bei all der Unterstützung gibt es trotzdem etwas, an dem wir arbeiten wollen. Fridays for Future Marburg ist schon homogen in dem Sinne, dass die überwiegende Mehrheit aus Menschen mit Abitur und Hochschulbildung besteht. Da wir eigentlich gesellschaftlich repräsentativ sein möchten, ist das leider nicht so gut. Aber dazu muss man auch sagen, dass einem Schüler oder Studenten andere Konsequenzen erwarten, wenn er streiken geht, als Auszubildende oder Festangestellte.

Anne: Wir haben mitbekommen, dass auf unseren Streiks viele Gymnasiasten kommen und das Thema auf deren Schulen mehr verbreitet ist. Da haben wir das Gefühl, dass es bei anderen Institutionen noch nicht so als Thema etabliert ist. Deswegen bieten wir an Schule auch Workshops an, um daran zu arbeiten.

Habt ihr beim Anwerben oder informieren von Leuten, Gruppen und Institutionen auch schon negative Erfahrungen gemacht?

Valentina: Ablehnung kommt uns nicht entgegen. Ich würde sagen sowas drückt sich eher dadurch aus, dass wir da weniger Kontakt haben, beziehungsweise Menschen, die sich nicht mit uns verbunden fühlen einfach auch weniger präsent sind in unserer Bewegung.

Was sind jetzt die nächsten Schritte bis der Klimaaktionsplan veröffentlicht wird ? 

Anne: Der Plan beinhaltet viele Punkte und wir haben das Glück, dass die Stadt versucht möglichst transparent uns gegenüber zu sein. Deswegen haben wir einen kleinen Einblick in die Arbeit, aber auch noch keine konkreten Schritte geplant.

Valentina: Also wir hab da keinen eigenen ausgearbeiteten Klimaaktionsplan den wir vergleichen. Wir haben da als Fridays for Future ein Mitspracherecht, eine Stimme und Meinung dazu und das sollen andere Menschen auch haben.

Danke für das Gespräch.



Foto: @ Fridays for Future – Marburg

studiert Politikwissenschaften, verbringt zu viel Zeit um sich über die BILD aufzuregen und isst süßes und salziges Popcorn gemischt.

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