Uncategorized

Das steckt hinter den Marburger Mietpreisen

By Thilo Haverkamp

September 03, 2017

Die Knappheit an bezahlbaren Wohnraum ist immer ein heißes Thema. Die einen müssen Wucherpreise zahlen, andere leben in Wohnungen, die wirklich nur in Marburger Mieter:innen finden können und Dritte finden erst gar keine Wohnung und müssen im worst case scenario aus Gießen herpendeln. PHILIPP hat für euch die Preise und Qualität Marburger Wohnungen gecheckt.

Nachdem Jürgen sein Abitur hinter sich gebracht und ein Jahr freiwillig im Ausland gearbeitet hat, möchte er in Marburg studieren. Genau wie er suchen ca. 6000 Erstsemester:innen jedes Jahr nach einer neuen Bleibe. Dabei stößt er auf folgendes Angebot: „Zweizimmer-Küche-Bad, 23 qm, nicht WG geeignet, zentral gelegen in der Nähe der Oberstadt trotzdem ruhig (Marburg Wehrda), Provision 2,38 Monatskaltmieten, 420,- Euro plus Nebenkosten, zum Wintersemester verfügbar (01.11).“

Des Pudels Kern

Jede:r, der:die sich in der Vergangenheit oder gegenwärtig wie Jürgen auf Wohnungssuche befunden hat, wird auf solche oder ähnliche Anzeigen zu Genüge gestoßen sein. Filtert man wie er versteckte Burschenschaftsinserate, Falschanzeigen, völlig überlaufene Wohnungen mit Massenbesichtigungen und Maklerlaufzetteln heraus, bleibt erfahrungsgemäß nicht viel brauchbares übrig. Dieser Zustand ärgert nicht nur Jürgen, sondern auch andere Studierende wie Politiker:innen gleichermaßen. Kreative Lösungsvorschläge reichen vom Abriss der Oberstadt, ein Projekt in den 60ern, bis hin zur Ausgemeindung der Burschenschaften.

Da Jürgen nicht mehr viel übrig bleibt, lässt er sich hinreißen und meldet sich auf das obige Inserat. Schon bei seinem ersten Anruf spricht er mit einer unfreundlichen Dame, die ihm beinahe widerwillig eine Adresse aushändigt. Allerdings ist diese nicht in Wehrda, sondern in Cappel. Jürgen ahnt schon, dass hier etwas faul ist, aber da ihm sonst nichts übrig bleibt, fährt er hin. Wenigstens hat er keine Probleme die Wohnung zu finden. Vor einem Hochhaus steht eine Traube von Menschen. Da muss es wohl sein. Zur Sicherheit überprüft er die Adresse noch einmal, stellt fest, dass er tatsächlich richtig ist und an seiner ersten Massenbesichtigung teilnehmen darf. Als er schließlich an der Reihe ist und die Wohnung betritt, stechen ihm sofort die alten, schimmligen Holzfenster und ein alter, brauner Teppich ins Auge. Der Makler zeigt ihm leicht gereizt die Wohnung. Als Jürgen nach dem Preis fragt, will der Makler nicht so recht rausrücken. Am Ende kommt heraus, dass die Wohnung kalt 500 € kosten soll. Jürgen fragt nach der anderen Wohnung in Wehrda. Die Assistentin drückt Jürgen beiläufig einen Zettel in die Hand und sagt zu ihm, er solle pünktlich um 16:15 Uhr in Wehrda sein. Als er um 17:00 Uhr mit zehn weiteren Leuten auch diese Wohnung anschauen kann, merkt er, dass das Inserat nichts mit dieser Wohnung zu tun hat. Dass es sich nicht einmal um eine Wohnung handelt, sondern um ein 13m² WG-Zimmer. Zumindest eines aus dem Inserat stimmte trotzdem: der Preis.

Unter dem hessischen Durchschnitt

Nach diesen Besichtigungen hat Jürgen das dumpfe Gefühl, dass die Mietpreise in Marburg viel zu hoch sind. Als er jedoch einen Blick auf den Mietspiegel wirft, stellt er fest, dass Marburg sogar unter dem hessischen Durchschnitt liegt. Das Prinzip von Angebot und Nachfrage, das die Preisbildung maßgeblich beeinflusst, verbunden mit der allgegenwärtigen Wohnungsknappheit, müsste theoretisch deutlich höhere Mietpreise ergeben. Das begrenzte Budget eines durchschnittlichen Studierenden, auf den sich ein Teil der Vermieter:innen ausgerichtet hat, könnte ein Erklärungsansatz sein. Ebenfalls wird häufig bei Qualität und Instandhaltung der Wohnungen gespart. Nicht selten sind solche Wohnungen in Hausverwaltungen organisiert. Oft geht dies einher mit gestaffelten Mietpreiserhöhungen, wie zum Beispiel beim Wechsel des:der Mieter:in. Das führt zu steigenden Preisen bei gleichbleibender bzw. sinkender Wohnqualität. Abhilfe kann hier die kostenlose Rechtsberatung des AStA oder in Härtefällen eine Mitgliedschaft beim Mieterschutzbund sein. Die kostet 48 € im Jahr.

Effektive Mieten sinken dank neuer Maklerregelung

Bedingt durch hohe Maklercourtagen und einer niedrigen durchschnittlichen Wohndauer sind die Effektivmieten noch höher anzusetzen, als sie im Mietvertrag festgeschrieben sind. Geht man von einem Mietpreis von 350 € warm (das wären etwa 275 € kalt) und einer Wohndauer von zwei Semestern aus, beträgt die Effektivmiete bei einer Provision von 2,38 Monatskaltmieten bereits 404,54 €. Dies kommt einem Mietzuschlag von ca. 16 % gleich. Diese Rechnung verliert für Mietverträge, die ab dem 01.06.2015 abgeschlossen wurden jedoch ihre Gültigkeit, da laut Gesetz der:die Auftraggeber:in die Maklerkosten übernehmen muss. Dies ist aus Jürgens Sicht zwar höchst erfreulich, löst das Grundproblem der Wohnungsknappheit jedoch nicht. Trotz angespannter Wohnsituation baut die Universität Marburg ihre Kapazitäten weiter aus, um noch mehr Studierende aufnehmen zu können.

Grundsätzlich betrachtet ist das zwar zu begrüßen, allerdings wird durch dieses Vorgehen die angespannte Situation auf dem Wohnungsmarkt verschärft. Aufgrund der Komplexität und Vielschichtigkeit des Problems ist es schwer, vertretbare Lösungsvorschläge zu finden. Häufig geforderte Maßnahmen wie der Bau von Studierendenwohnheimen würden höchstwahrscheinlich mit steigenden Semesterbeiträgen einhergehen, insofern das Land keine weiteren Zuschüsse leistet. Das würde insbesondere Studierende mit ohnehin stark beschränktem Budget treffen. Eine andere Forderung ist die Erweiterung des Sozialen Wohnungsbaus, der allerdings auf Kosten der Stadt gehen würde. Diese Kosten müssten dann von allen Marburger:innen getragen werden. Die sind vom Wohnungsproblem in Marburg allerdings nicht maßgeblich betroffen, da sie nicht annähernd so oft umziehen. Es wäre unschön, wenn sie dann als Hauptträger:innen der Steuerlast, welche zur Finanzierung anfallen würde, fungieren.

Man kann aus alledem ableiten, dass es sich beim Wohnungsproblem in Marburg vor allem um ein studentisches Problem handelt, da der allergrößte Teil der Wohnungssuchenden wie Jürgen Studierende sind. Wie eine gute Lösung auf lange Sicht aussehen könnte, kann man deshalb nicht sagen. Sicher ist aber, dass die beteiligten Parteien nur gemeinsam und in Kooperation den Zustand des Wohnungsmarktes verbessern können. Jürgen zumindest hat es trotz all dieser Widrigkeiten doch noch geschafft, eine Wohnung in fußläufiger Uninähe zu ergattern und kann sich zu den Sieger:innen des Marburger Wohnungslottos zählen.

FOTO: Luis Penner