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Was machen eigentlich … die Pharmazeut*innen?

By Leonie Ruhland

July 30, 2014

Schon mal damit geliebäugelt das Fach zu wechseln oder einfach mal in ’ne Vorlesung zu setzen, damit man versteht, was der*die Mitbewohner*in da immer so faselt? In unserer Reihe „Was machen eigentlich …“ geben Fachfremde Einblicke in die Studiengänge unserer Uni. Dieses mal ist Germanistin und Kulturwissenschaftlerin Leonie zu Gast bei den Pharmazeut*innen.

Mein erstes Ziel war ganz schön hoch gesetzt. Pharmazie sollte es sein, angeregt durch das lautstarke Fachchinesisch meiner lernenden Mitbewohnerin und ihren Kommilitonen, das sich öfter mal in unserer Küche abspielt. Wenn ich sage „chinesisch“, mache ich übrigens keine Witze oder meine das despektierlich. Es klingt für mich einfach wirklich so, als würden sie eine Sprache sprechen, bei der sich mein Gehirn schon beim ersten Laut abschaltet.

„…und dann einfach ortho/para-dirigierend…“, erklärt Konstantin gerade meiner Mitbewohnerin. „…ortho/para aktivierend also ortho/para-dirigierend, bei der SN Ar ist jetzt ortho/para-desaktivierend und dadurch haben wir dann wieder eine Meta-Dirigierung. Eigentlich geht’s nur um orthos und paras…“ Ja. Paras hab ich auch, wenn ich das höre und daran denke, die Gruppe demnächst in eine ihrer Vorlesungen zu begleiten. OC, wird es sein. Nein, schade, ein bisschen stupide Hollywood-Dröhnung fände ich jetzt auch nicht schlecht, aber OC heißt hier leider Organische Chemie und nicht O.C. California.

Die Schlitzer-Schleuse

Im Vorlesungssaal ist es dann doch ziemlich angenehm. Wir befinden uns im Pharmaziegebäude im Marbacher Weg. Nicht so schön das Teil von außen, von innen aber völlig okay. Außerdem hängen auf dem Hof überall weiße Kittel von den Gebäuden, das ist irgendwie witzig. Besonders begeistert bin ich von den automatischen Tafeln, die der Professor mit leichtem Druck gegen einer der drei schwarzen, horizontal vor der Tafel angebrachten Stangen ab- und aufwärts bewegen kann. Wir müssen die in der Linguistik mit komischen Bändern runterziehen und mit Druck wieder hoch schieben. Ganz oldschool.

OC wird geleitet von Professor Schlitzer. Dank ihm erhielt das dritte Semester der Pharmazeut*innen den Beinamen „die Schlitzer Schleuse“, erklärt mir Darja, weil in seiner Abschlussprüfung die Durchfallquote unfassbar hoch sei. „Wer OC nicht besteht, schafft es auch nicht ins nächste Semester.“ Und dann legt er los: „Den Effekt der Intramolekularen Wasserstoffrückbindung sehen wir sehr schön, wenn wir die zweite Reihe anschauen. Da haben wir eine Metoxygruppe, die hat genauso wie die Hydroxigruppe ein (-) i (+) m Effekt, da, hier hinten, eine Abschwellung der Azidität durch den (+) m Effekt, der hier vor allen Dingen wirkt mit dem (-) i-Effekt…“

Also ich sehe absolut gar nichts, außer schöne Bildchen, die ich vermutlich eher als Kunst verkaufen würde, anstatt irgendwelcher Mechanismen, die uns alltägliche Dinge in der lebendigen Welt erklären. „…den wirksamen (-) i-Effekt und wir hätten einen (+) m Effekt, der aber wegen der gehinderten Rotation nicht so sehr zu tragen kommt und deswegen…“ Meine Rotation ist jetzt leider auch ein bisschen gehindert. Mein Kopf schaltet ab. Was redet der denn da? Wer macht denn sowas, wer lernt denn sowas? Ich glaube, ich habe es keine zehn Minuten ausgehalten, bis ich in meinen Gedanken irgendwo in einer rhetorisch formellosen Traumwelt verloren gegangen bin.

Immer am lernen und trotzdem motiviert

Die Pharmazeuten tun mir richtig leid! Nicht nur, weil sie so einen Blödsinn (sorry, ja, subjektiv!) lernen, sondern weil sie das auch so richtig perfekt drauf haben müssen. Wer eine Klausur nicht besteht, muss meist das komplette Semester wiederholen – ohne Garantie dann damit wenigstens durch zu sein. Tage- und Nächtelang musste ich zusehen, wie meine Mitbewohnerin die letzten Monate über ihren Unterlagen verbracht hat. Und dennoch – ihre Begeisterung für das Fach ist ungebremst.

„…Alkalische Hydrolyse – nennt man auch Verseifung, weil da Seife bei rauskommt.“ Oh. Seife! Das Wort verstehe ich und erwache aus dem Gummibärchenschlaraffenland. Und doch verstehe ich wieder nicht: Warum nennen die das denn dann nicht einfach nur Verseifung? Wer braucht schon „Alkalische Hydrolyse“? Was soll der Mist? „…hat man dann ausgedehnt. Es ist immer alkalisch, in manchen Büchern steht es ist sauer-verseift. Da drehn‘ sich einem die Fußnägel auf. Das ist Quatsch, Blödsinn! Verseifung ist per Definition immer alkalisch, ‘ne saure Verseifung gibbet nit! Da heißt das nämlich säure-katalysierte Hydrolyse… aber das kriegen wa noch…“ Okay, alles klar, Mister. Würd‘ mich auch aufregen, wenn ich tagtäglich so ein Chinesisch von mir geben müsste. 90 Minuten redet er in dieser Sprache, bis wir schließlich entlassen werden. Draußen, in der strahlenden Sonne, bin ich immer noch völlig überfordert. „Na, wie fandstes?“, werde ich gefragt. „Naja…“, kann ich nur antworten, „lassen wir das…“

Es ist wirklich faszinierend, der Motivation der Pharmazeut*innen beizuwohnen und ihrem Fachjargon dabei zuzuhören. Ich hatte einen interessanten Ausflug in ein – mir vermutlich nicht fremder sein könnendes – Fach. Meine Resonanz ist: Ich verstehe es einfach nicht.

Das hier ist übrigens Konstantins Erklärung des obig zitierten ortho/para Monologs:

FOTOS: ilovebutter auf flickr.com, CC-Lizenz und Konstantin