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Ein Herz für Erstis

By Daniel Zimmermann

October 22, 2014

Daniel ist Ersti und irgendwie sind die Leute nicht nett zu ihm. Warum das so ist und was er dagegen tun will? Das erzählt er dir hier. 

Als Ersti hat man es nicht leicht. Jeder Studierende war einmal Ersti und musste dieses Prädikat als tonnenschweres Joch ein Semester lang mit sich rumschleppen. Das einzig Positive, das ich dem Begriff „Ersti“ deshalb abgewinnen könnte, wäre, dass man ihn nicht gendern kann (Erst*innen, WTF?). Die Ablehnung, die mir als Ersti seitens der „richtigen“ Studierendenschaft entgegenschlägt, ist unglaublich. Das jähe Ende eines derbe heißen Partyflirts: „Ach, du bist Ersti? Ja du hier… ich muss dann mal. Ich hab noch Wurst im Auto!“ Ende der Unterhaltung. Die Mutter meiner Kinder wird, nun ja, nie die Mutter meiner Kinder werden. Und das nur, weil sie mich als Ersti getroffen hat. „Du hast mich in einer seltsamen Phase meines Lebens kennen gelernt“, werde ich ihr später einmal sagen können

Vom Glumanda zum Glurak

Doch jetzt muss ich mich mit den Gegebenheiten arrangieren. Wie mache ich das? Eben bin ich noch Schüler gewesen und jetzt soll ich Student sein? Das ist als würde ich mich vom Glumanda zum Glurak entwickeln. Die Pokémon-Kenner unter euch werden schnell bemerken: „Der cheatet doch! Der Boy muss erstmal Glutexo werden!“. Vermutlich entspricht diese Pokémon-Entwicklungsstufe dem Erstisein. Nichts Halbes und nichts Ganzes. Zu Schulzeiten ist die Drehzahlanzeige meines „Swaggometers“ in den roten Bereich geschossen, wenn ich mal eine Stunde geschwänzt habe*. Sich die eine oder andere Vorlesung zu schenken gehört unter Studierenden zum guten Ton. Damit beeindrucke ich niemanden. Hausaufgaben nicht machen? LOL, in meinem Studiengang gibt es nicht einmal Hausaufgaben. Auch das Rauchen ist nichts mehr nur für City-Roller-fahrende Outlaws. So so, du rauchst also… na und?

“Was ich gleich mache? Erst mal mit ein paar Kommis in der Bib chillen.”

Ich habe einen Plan. Mit diesem Plan werde ich in kürzester Zeit in der homogenen Masse an Studierenden untergehen. Noch versuchen sie mich als Ersti-Fremdkörper abzustoßen. Doch bald werde ich einer von ihnen sein. Ihr Habitus und Kleidungsstil wird meine Camouflage. Der studentische Jargon meine neue Sprache. „Was ich gleich mache? Erstmal mit ein paar Kommis in der Bib chillen.“ – „Und dann?“ – „Prosemi in der Philfuck. Kein Bock.“ Ich schwinge mich auf mein Fixie-Bike und versuche mit meinen Aladin Pants nicht hängen zu bleiben. Fair Trade hat schließlich seinen Preis. „Und wusstest du eigentlich, dass Auto fahren voll schlecht für die Umwelt ist?“ Ich werde öfter mal im Trauma abhängen und mich einem politisch linken Kollektiv anschließen. Irgendwas Soziales werde ich noch machen. Mit Burschis und politisch anders Gesinnten werde ich nicht reden. Zu groß die Gefahr, dass sie doch einmal Recht haben könnten und mein Weltbild in Gefahr bringen. Toleranz? Ja bitte, aber nur in Maßen. Im Sommer wird man mich Hacky-Sack-spielend an der Lahn finden. Direkt neben der Slackline. Ob ich das überhaupt kann? Zweitrangig. Ist voll mein Ding und ich kann so echt gut zu mir finden. Vegan bin ich ja auch schon seit drei Wochen.

Irgendwie ein bisschen süß

Wenn ich meine Verwandlung zum Studenten vollzogen habe wird alles an mir Überlegenheit und heitere Hippness ausstrahlen. Ich werde als Vollblutstudent Erstis treffen. Vielleicht helfe ich ihnen dann auch endlich cool zu werden. Vielleicht werde ich sie aber auch einfach nur auslachen. Für ihre Unwissenheit. Dafür, dass sie noch nicht im zehnten Semester Sozialwissenschaften studieren. Dafür, dass sie genauso sind wie ich damals gewesen bin: unwissend, hoffnungslos überfordert und irgendwie ein bisschen süß.

*Nein, Frau Schmidt! In rhythmischer Sportgymnastik war ich wirklich immer voll krank. Ich hab das hier nur so geschrieben, um cool zu wirken.

FOTO: Butte Digital Image Project at Montana Memory Project, CC-Lizenz.