Endgegner*in

Endgegner*in: Periode

By Leonie Theiding

April 28, 2024

Illustrationen: Malu Wolter

Wenn dir das Leben Zitronen gibt, gibt dir die wacklige Internetverbindung oder die Drehtür in der Bib vielleicht noch den Rest – in dieser Reihe schreiben wir über die Endgegner*innen des Unialltags, also Dinge, die Studis an den Rand der Verzweiflung bringen. 

Das Nachthemd der Mutter war gelb gefleckt, als sie die Tür öffnete. Geklingelt hatte ihre Tochter mit ihren Mitschülerinnen und der Lehrerin im Rücken. Dreck und Armut waren in den Augen der Mädchen das Gegenteil ihrer Schicht. Doch mithilfe des eigenen Nachthemds trockneten die Frauen der Familie Ernaux ihren Urin ab, wenn sie Mitte des 20. Jahrhunderts in Frankreich auf den Eimer gingen. Sie entleerten sich dort. Fließendes Wasser gab es in diesem Haushalt noch nicht. Die Tochter schämte sich für die Flecken auf dem Hemd der Mutter. Sie waren Aushängeschild ihres gesellschaftlichen Stands, zu dem das Mädchen nicht gehören wollte. 

Diese Szene aus dem autobiographischen Text Die Scham von Annie Ernaux aus dem Jahr 1995 erinnert daran, dass weiblich sozialisierte Menschen sich auch heute noch hüten, mit den körpereigenen Körperflüssigkeiten befleckt zu sein. Blutige, rote, braune Flecken an der eigenen Hose – ein Ausdruck von etwas, das nicht sofort benannt werden kann – vielleicht auch Aushängeschild einer Schicht, aber sicher, ganz sicher Bruch eines klassischen Schönheitsideals. 

Flecken beeinträchtigen Frauen schon lange. Ob Urin, Dreck oder Blut – wir sollen uns darum kümmern, hinter verschlossenen Türen. Nicht nur einfache Studentinnen sind davon betroffen. Selbst wenn Frauen es ins Nationalteam einer Fußballnation wie England oder aber Neuseeland geschafft haben, spielt die Periode wortwörtlich auf dem Feld mit. In weißen Hosen fühlen sich Frauen einmal im Monat beim Kicken nicht sicher, eine neue Studie deutet an, dass das die Leistungen der Spielerinnen beeinflusst – warum nur?

Scham in den Knochen der Mädchen

Niemand will Flecken am Körper tragen. Blut und Urin, beides sehr natürliche Flüssigkeiten, die jeder Mensch, egal welchen gesellschaftlichen Stand er einnimmt oder welchem Geschlecht er sich zuordnet, besitzt, die aber bitte hinter verschlossenen Türen bleiben sollen. Blut und Urin sichtbar am Körper zu tragen, ist verpönt, gar eklig. Wir schämen uns für das, was uns am Leben hält. Annie Ernaux‘ Text über die Scham, den sie 1995 geschrieben hat und der zuvor zitiert wurde, bleibt aktuell.

Auch heute schleicht sich das Gefühl der Scham in unsere Kleider, in unsere Hygiene, unsere Bildung, unsere Freundschaften – und in die hintersten Ecken der Damentoiletten (wie übrigens auch oft in Drogerien), denn genau da gehöre ja die Periode hin. Aber nicht mal hier gehen alle Menschen offen mit der blutigen Phase im Monat um. Erst drei Mal habe ich eine Person gesehen, die sich einen Tampon auf der Toilette im Erdgeschoss der Universitätsbibliothek genommen hat. Jedes Mal war ich wie erstarrt, beobachtete es ganz genau, schaute dabei zu, wie andere mit den Periodenprodukten umgehen. Ich würde mich als feministische und offene Person beschreiben. Trotzdem wurde mir die Scham in die Knochen sozialisiert. Nicht durch offensichtliche Verbote, sondern durch subtile Techniken, Überreste des Patriarchats, die schnell übersehen werden könnten, was ein großer Fehler wäre. Diese kleinen Hinweise auf krankmachende Normvorstellungen sind so versteckt, dass wir sie sichtbar machen müssen, um sie zu verändern. 

Wenn deine erste Periode im Klassenzimmer ausläuft

In der fünften Klasse erklärte unsere Lehrerin mir und meinen Freundinnen, dass sie das Einsetzen der Periode ihrer Tochter damals gefeiert habe. Es sei etwas Schönes, ein Zeichen, dass ihre Tochter Kinder bekommen könnte. Ich weiß nicht mehr, wie wir auf das Thema gekommen sind, aber ich erinnere mich sehr genau an eine andere Geschichte dieser Lehrerin. Ein Mädchen bekam ihre erste Periode in ihrem Unterricht. Sie erzählte, dass das Kind nach Beenden des Unterrichts nicht aufstehen wollte. Horror, dachte ich. Ich imaginierte, wie der rote Stuhl von irgendwem abgewischt werden musste. Das Mädchen musste von ihren Eltern abgeholt werden, weil die Hose durchnässt war – und sich wahrscheinlich erklären. So verschieden kann das Einsetzen der Periode Kinder prägen. Welches der beiden Mädchen wohl mehr Scham gegenüber ihrer Periode verspürt? Diese individuellen Erfahrungen der ersten Blutung können nicht immer beeinflusst werden.

Sehr wohl gesteuert werden kann jedoch die Sexualkunde und der Biologie-Unterricht an Schulen. Sexualkunde in der Mittelstufe meines Gymnasiums wurde hauptsächlich getrennt durchgeführt. Wir Mädchen gingen in einen anderen Raum, um über die Verhütung der Frau und die Periode mit einer Lehrerin zu sprechen, unter uns. Ein Lehrer unterrichtete in der Zwischenzeit die Jungen. Lehrt die Schule den Kindern nicht dadurch, dass Perioden hinter verschlossene Türen gehören? Sollten sich nicht alle Mitglieder unserer Gesellschaft mit dem Schlüssel der Reproduktion auskennen, auch die männlichen? Auch außerhalb des Unterrichts sprachen wir demnach nicht mit den Jungen über das, was uns da einmal im Monat passiert. Unter uns Mädchen wurden zwar solidarisch Periodenprodukte ausgetauscht, wenn es nötig war, aber viele wollten nicht näher darüber sprechen. Macht man nicht.

Dein Tampon kullert den Gang in der Bahn entlang

Heute, sechs Jahre nach meinem Abitur, stehe ich in der Damentoilette meiner Universität und habe meine Tage. Neben mir stehen Menschen am Waschbecken. Den ganzen Tag über fühle ich mich träge, kontrolliere regelmäßig meine Hose. Ich überlege kurz, ob ich mir einen Tampon nehmen soll und lasse es. Praktisch bräuchte ich einen, aber theoretisch kann ich noch eine Stunde warten. Es gruselt mich, dass jemand ahnen könnte, ich hätte aktuell meine Tage. Auch heute gehört der Tampon unterbewusst für mich in die Kabine.

Eine der Erinnerungen, die das verdeutlichen, entstand in der Bahn. Ich fummelte in meinem Schulrucksack herum. Beim Herausziehen meines Buches fiel ein noch verpackter Tampon zu Boden und kullerte den Gang der Bahn entlang. Ich erstarrte. Ein alter Herr hob ihn auf, trat drei wacklige Schritte auf mich zu und überreichte mir vor allen Anwesenden den Tampon. Schnell nuschelte ich „Danke“, hielt kurz die Luft an, setzte mich wieder und dachte die gesamte Fahrt darüber nach, warum ich nun weiterhin wie erstarrt dasaß.

Heute schiebe ich die graue Tür der Damentoilette auf und trete in den grellen Flur. Erst hier bemerke ich die Spannung, die auch jetzt meinen Körper verlässt. Ich bin endlich alleine. Warum habe ich mir keinen Tampon genommen? 

(Lektoriert von jok, nir, hab und bik.)