Kultur

Felix Lobrecht im Marburger Cineplex

By Elena Weller

March 05, 2023

Das Cineplex hat heute den roten Teppich ausgerollt, die Ticketschlangen sind lang und die Fotowand ist aufgestellt. Am Sonntagabend, den 26. Februar ist viel los im Marburger Kino, Menschen drängen sich schon eine Stunde vor Filmbeginn im Eingangsbereich. Die Verfilmung von Felix Lobrechts Bestseller Sonne und Beton soll heute hier für Marburg prämieren – und das gleich in zwei parallelen Vorstellungen. In beiden waren die Tickets laut Cineplex nach Minuten vergriffen. Kein Wunder, denn heute läuft nicht nur der Film an, Marburgs Lieblings-ex-Student, Felix Lobrecht persönlich, ist vor Ort. Sonne und Beton beruht auf dem gleichnamigen Coming-off-Age-Gesellschaftsroman des Comedian und zeigt den unbeschönigten Alltag von vier Jugendlichen im Berliner Stadtteil Neukölln.

Lobrecht und Luvre47 aus Gropiusstadt

Zuerst wird im Marburger Cineplex der Film gezeigt, der vergangene Woche schon auf der Berlinale und in den Neuköllner Gropius Passagen Premiere gefeiert hat, dann beantwortet der Comedian in beiden Kinosälen jeweils 15 Minuten lang Fragen aus dem Publikum. Mit dabei ist auch Rapper Luvre47, der mit seinem Song Hinterm Block den Soundtrack für den Film liefert, und den großen Bruder des Hauptcharakters, Marko, darstellt. Die Aufführung in den Gropius Passagen hatte sich Felix Lobrecht ausdrücklich gewünscht, nicht nur, weil die Kinovorführung dadurch mitten im Handlungszentrum der Filmgeschichte lag, sondern auch weil die Berliner Gropiusstadt der Ort ist, an dem Lobrecht aufgewachsen ist und er dieses Kino daher mit viel Nostalgie verbindet. Heute, eine Woche später, steht er auf der Bühne des Marburger Cineplex‘, auch ein Ort, über den er ein paar Anekdoten erzählen kann. Vier Jahre hat Lobrecht in Marburg Politikwissenschaften studiert, bevor er zuerst durch Poetry Slam und dann durch Comedy und den Podcast Gemischtes Hack bekannt wurde. Lobrecht ist der derzeit erfolgreichste deutsche Comedian, Gemischtes Hack belegte Platz drei der am meisten gestreamten Podcasts weltweit und 2021 landete Lobrecht auf dem Titelbild der New York Times.

Gesetze in einer solchen Gegend

Angefangen hat alles im Neuköllner Ortsteil Gropiusstadt und um den drehen sich auch sein Buch sowie Film. Obwohl Lobrecht oft betont, dass Sonne und Beton nicht autobiografisch sei, beruhe vieles trotzdem auf seinem Leben und den Erfahrungen seiner Freunde. „Ich wünschte ich hätte mir mehr ausdenken müssen“, steht am Anfang des Romans. Der Film zeigt die alltägliche Gewalt, Kriminalität und Ungerechtigkeit, welche die vier Jungen Lukas (Levy Rico Arcos), Sanchez Aaron (Maldonado-Morales), Gino (Rafael Luis Klein-Heßling) und Julius (Vincent Wiemer) aufgrund ihrer sozialen Herkunft in den frühen 2000ern erfahren müssen. Gropiusstadt ist ein als Sozialbausiedlung errichteter Ortsteil in Berlin-Neukölln, der als sozialer Brennpunkt gilt und die höchste Armutsquote in Berlin hat. Im Film wird klargestellt, welche Gesetze in einer solchen Gegend gelten: Statt „Der Klügere gibt nach“ gilt hier „Der Klügere tritt nach“. Felix Lobrecht erklärt in seiner neusten Podcast-Folge, dass es ihm mit dem Film weniger darum geht, ein großes Statement zu machen, sondern dass er primär unterhalten soll. Ein Statement setzt der Film trotzdem, denn Geschichten wie diese werden eben nicht oft erzählt. Dessen ist sich Lobrecht auch bewusst, der mit jeder Entscheidung, die er über den Film getroffen hat, verdeutlicht, wie wichtig auch ihm diese mitschwingende Botschaft ist. In seinem Podcast erwähnt er öfter, dass er möchte, dass mehr Menschen über die Konsequenzen von Klassenunterschieden und über das Leben in Gropiusstadt informiert werden. Daher ist nicht klar, warum er behauptet, Sonne und Beton sei „nur“ zur Unterhaltung.

Tommi Schmidt hätte hier nicht reingepasst

Der Film ist vorbei, aber keiner verlässt den Saal und die Lichter bleiben dunkel. Nach dem Film betritt Felix Lobrecht die Kinobühne und erzählt, dass er zum dritten Mal im Cineplex ist, aber noch nie Eintritt bezahlt hat: Einmal hat ihn ein Freund reingeschleust, dann für einen seiner Auftritte und jetzt für die Vorstellung seines eigenen Films. Die Fragen aus dem Publikum variieren von „Wie geht’s?“ zu „Hier ist Grusula, meine Gans, die hätte auch gerne ein Autogramm“. Lobrecht antwortet, er freue sich wieder in Marburg zu sein, aber dass er wünschte, es wäre ein anderer Wochentag, weil hier sonntags nichts los sei, und auf die Gans-Frage (lachend): „Bitte keine Fragen mehr mit ausgestopften Tieren.“ Lobrecht und Luvre47 antworten auf Publikumsfragen und machen Witze. Eine Frage, die in beiden Kinosälen in Marburg gestellt wurde, bezieht sich auf die Abwesenheit von Tommi Schmidt im Film, der mit Felix Lobrecht den Podcast Gemischtes Hack führt. Felix lacht und beantwortet das scherzend mit: „Bei Tommi wäre es zu offensichtlich gewesen, dass er nicht in das Setting von Gropiusstadt Neukölln reinpasst.“

Netflix wollte eine lesbische Mädchengang

Die Sprache im Film ist sehr rau, unbeschönigt und an einer Stelle wird das N-Wort gesagt. Darüber äußert sich Lobrecht und erzählt, dass er sich bei einigen Szenen länger Gedanken gemacht habe, ob die so im Film bleiben sollten. Stereotype wiederzugeben, könne auch bedeuten, zu deren Reproduktion beizutragen. Dennoch fand er es wichtig, die Realität und die Sprache der frühen 2000er in dem Viertel wiederzugeben. Der Film habe auch eine Anfrage von Netflix bekommen, die das Ganze aber weiter weg von der Realität und dafür politisch korrekter haben wollten: „Ohne Spaß, Netflix hätte den Film genommen, aber die wollten statt drogentickenden Arabern eine lesbische Mädchengang“, erzählt Lobrecht.

Nachdem die Fragerunde beendet ist, bildet sich eine lange Schlange durchs Kino: Im Foyer machen Luvre47 und Felix Lobrecht noch Fotos mit den Kinobesucher:innen. Für die nächsten Tage fahren Lobrecht und sein Team von Stadt zu Stadt und besuchen die Premieren von Sonne und Beton. Offiziell startete der Film am 02.03 in den Kinos.

Bild mit freundlicher Genehmigung von Klara Kratzsch.

(Lektoriert von hab und let.)