Kultur

Die Nerven: „Wir sind die Anti-These zum Mainstream“

By Jule Seibel

April 12, 2016

Die Nerven waren wieder auf Tour mit dem neuen Bandsupport Zonk. Das plüschrote Kuscheltier begleitete die drei Jungs aus Stuttgart unter anderem am 16. Februar zum Konzert im KFZ Marburg. PHILIPP plauderte mit dem Sänger und Gitarristen Max und dem Sänger und Bassisten Julian über Freaks, den Mainstream und das Erwachsenwerden, das kein Stückchen von ihrer jugendlichen Energie genommen hat.

PHILIPP: Das ist euer zweites Mal in Marburg. Das erste Mal wart ihr im Trauma.

Max: Vorletztes Jahr, ist schon ne Weile her tatsächlich.

Julian: Das war im November 2014.

Max: Wo sind wir eigentlich geographisch? Sind wir in Mitteldeutschland?

PHILIPP: Ja.

Max: Also Fulda und Kassel, ist das hier in der Nähe?

PHILIPP: Ja.

Max: Tut mir Leid, in Hessen kenne ich mich sehr schlecht aus. Ich dachte lange, dass Frankfurt die Hauptstadt von Hessen ist.

Julian: Hat das der Herr Jacksche (ihr Erdkundelehrer, den Namen wissen wir nicht genau, Anm. d. Red.) dir nicht beigebracht?

Max: Nein.

PHILIPP: Wart ihr auf der gleichen Schule?

Max und Julian: Ja. Aber Kevin war nicht auf derselben Schule.

PHILIPP: Und habt ihr schon auf der Schule zusammen gespielt?

Max: Wir haben in der Schule noch nicht einmal miteinander gesprochen.

Julian: Wir sind ja drei Jahre auseinander. Wir waren beide die Freaks – wir wussten beide, dass wir uns gegenseitig cool fanden, aber das wär wahrscheinlich so eine nukleare Katastrophe geworden, wenn wir in der Schule miteinander gesprochen hätten, weil alle anderen das nicht gemocht hätten.

PHILIPP: Wenn die Freaks sich vereinen oder wie?

Max: Ja wahrscheinlich.

PHILIPP: Oder wenn man dann seinen Außenseiter-Status aufgeben würde?

Julian: Ich war ja kein Außenseiter.

PHILIPP: Anerkannter Freak?

Julian: Anerkannter Freak.

PHILIPP: Studiert ihr noch?

Julian: Ja leider, immer noch nicht fertig geworden. Ich habe meine Bachelor-Arbeit schon geschrieben. Ne, ich mache nicht weiter (Max lacht). Ich hoffe, ich werde fertig. Ich muss nur noch eine Kunst-Prüfung machen, da bin ich einmal durchgeflogen. Das ist aber so ein Wischi-Waschi-Bachelor-Studiengang. (Kultur- und Medienbildung, Anm. d. Red.)

Julian: Ok, wir können ja dann anfangen mit dem Interview.

Max: Wir sind schon mittendrin.

Julian: Das ist ja wie bei dem Thomas Vorreyer, dem SPEX-Redakteur, wo man sich so freundschaftlich unterhält und plötzlich ist man mittendrin im Interview und redet über Trash-TV.

PHILIPP: Die SPEX ist auch eher dem politisch linken Spektrum zuzuordnen…

Julian: Ja klar, wir müssen auch immer wieder die gleiche Frage beantworten, ob wir eine politische Band sind.

PHILIPP: Mhm, wir hätten gefragt: Ihr habt eine Haltung, aber seid ihr auch politisch?

Beide: Ja, schlechte Körperhaltung.

Max: Eine gesunde Haltung gibt es sowieso nicht, es gibt bloß das Geheimnis, dass man sich immer umsetzen sollte. Das ist irgendwie ein Problem. Im Tourbus gibt es nur drei Sitzmöglichkeiten und man muss sich immer abwechseln.

PHILIPP: Wie lange seit ihr jetzt auf Tour?

Julian: Zwei Wochen noch, wir waren am Wochenende für zwei Tage in Österreich, so als Test. Und jetzt geht’s eigentlich erst richtig los.

PHILIPP: Und, hat es funktioniert?

Max: Auf jeden Fall, ich war auf Österreich noch nicht vorbereitet, aber jetzt bin ich es.

PHILIPP: Waren ganz viele Wanda- und Bilderbuch-Fans im Publikum?

Julian: Die dann Tomaten auf uns geworfen haben? (lacht)

Max: Nee gegenteilig!

Julian: Die Österreicher mögen alle Wanda und Bilderbuch überhaupt nicht, die sind froh, dass es uns gibt, also so bekomme ich das oft mit. Die freuen sich auch, wenn wir sagen, dass wir die nicht gut finden. Und die verstehen es auch nicht, was die Deutschen an denen haben.

PHILIPP: Wie findet ihr das, dass ihr gerade so ein bisschen in den Mainstream reinrutscht?

Max: Ich glaube nicht, dass es so ist.

Julian: Wir sind ja eigentlich eine Anti-These zum Mainstream, aber man kann ja auch als Opposition groß werden.

Max: Vielleicht kommen auch wieder nur 10 Leute, wer weiß. Da muss man mit allem rechnen, das ist auch wurscht.

PHILIPP: Und zur Unterstützung, habt ihr da eigentlich euern Panda dabei?

Max: Ne, wir haben jetzt eine neues Masskottchen, der Panda ist schon lange nicht mehr dabei. Der ist jetzt bei mir. Wir haben den Zonk, das ist ein seltsames Plüschtier.

Julian: Der ist cooler, aus der Fernsehsendung „Geh aufs Ganze“, kann man sich auf YouTube angucken, ist ganz komisch. Da kommt jemand aus dem Publikum und wählt zwischen einem Tor oder dem Geldkoffer. Es geht immer darum, mehr zu bieten – 10.000 Euro oder die Tür. Dann sagt der Zuschauer „Ja, ich nehme die Tür“ und dann geht die Tür auf und dahinter steckt der rote Zonk und macht so ein komisches Geräusch. Danach hat man verloren.

Max: Und dann hat man nur den Zonk gewonnen und wir haben den Zonk dabei.

Julian: Wir haben den Zonk, seit wir mit Tocotronic das Video (zu „Angst“, Anm. d. Red.) gedreht haben. Den hat der Kevin von der Jugendtreffleiterin in Rangsdorf geschenkt bekommen.

Max, Kevin und Julian mit dem neuen Maskottchen Zonk

PHILIPP: Wie sind Tocotronic auf euch aufmerksam geworden?

Julian: Die sind halt Fans.

Max: Jemand hatte Dirk eine Promo-CD geschickt und dem hat es offensichtlich gefallen und deswegen haben sie uns zugesagt.

PHILIPP: Aber es dürfte ja auch nicht die erste Promo-CD gewesen sein, die sie bekommen haben, also muss es ja schon Eindruck gemacht haben.

Julian: Ja das ist ganz komisch, es hieß auch so: „Dem Dirk von Lowtzow gefällt normalerweise gar nichts, schon gar nichts Deutschsprachiges“, aber der hat uns Grüße ausgerichtet, weil wir damals noch den gleichen Booker hatten. Ich glaube das war auch der Grund, dass sie uns damit für ihre Agentur ködern wollten. Nein, das stimmt nicht. Er ist wirklich Fan. Ich glaube die fanden es einfach genauso lustig, wie wir.

PHILIPP: Und welcher Film könnte eure Musik als Soundtrack haben?

Julian: Es wäre auf jeden Fall ein Arthouse-Film. Wenn’s deutsch ist, dann auf jeden Fall einer von Fassbinder oder Werner Herzog. Weil alle neueren Sachen, die aus Deutschland kommen, sind meistens Mist.

Max: Ich glaube, es wäre auf jeden Fall ein ziemlich fieser Film.

Julian: Wenn man so an die ersten Sachen denkt, die wir tatsächlich musikalisch gemacht haben, dann wäre es auf jeden Fall „Antichrist“, weil da wurden ja teilweise Textzeilen aus dem Film verwendet. Aber so fies wie früher sind wir auch nicht mehr.

PHILIPP: Woran liegt`s?

Julian: Wir sind ja jetzt eine relativ erfolgreiche Band, uns geht’s gut. Wir haben uns zur Ruhe gesetzt und machen gediegene Musik. (beide lachen)

PHILIPP: Gibt es denn jetzt nichts mehr, was euch aufregt?

Max: Doch, aber es sind andere Sachen, es verschiebt sich einfach alles.

Julian: Man macht jetzt einfach nicht mehr die Musik, die man mit Anfang 20 gemacht hat, man hat andere Themen, man ist von zu Hause ausgezogen. Mittlerweile beschäftigt man sich mit anderen Sachen, hat andere Probleme und andere Interessen. Ich würde auch keine Musik mehr machen wollen, wie mit Anfang 20.

Max ist Anfang 20 und hat mit 17 in der Band angefangen, Julian ist nun Ende 20.

PHILIPP: Nochmal zurück zum Anfang, wie kam es denn überhaupt zur Bandgründung?

Julian: Als Max aus der Schule draußen war.

Max: Ich habe die Schule gewechselt und wir haben uns getroffen. Das erste Mal, als wir zusammen gespielt haben, waren wir sozusagen schon „Die Nerven“ und das war dann erst mal zu zweit so „Rumgebolze“. Und dann hatten wir Julians Bruder als Schlagzeuger eine Weile dabei. So eine richtige Band wurden wir, als Kevin als fester Schlagzeuger mit eingestiegen ist.

Julian: Das war eher so eine Art Projekt zum Spaß haben und Lärm machen. Und irgendwann musste dann auch mal eine Veränderung sein und mit Kevin hat es dann einfach perfekt gepasst.

PHILIPP: Wo war dann der Punkt für euch, zu sagen: jetzt aber richtig?

Max: Den Punkt gab es für uns nie.

Julian: Wir dachten, wir fangen langsam an und dann war es schon zu spät.

Max: Dann hatten wir gar keine Wahl mehr.

PHILIPP: Habt ihr euer erstes Konzert selber organisiert oder ist da jemand auf euch zugekommen?

Max: Wir haben unsere ersten Konzerte selber organisiert. Die erste richtige Tour haben wir auch selbst gebucht.

PHILIPP: War das eine Erfahrung, die man gemacht haben muss?

Max: Es schadet auf jeden Fall nicht, wenn man auch seine eigenen Konzerte gebucht hat, dass man merkt, was für ein frustrierender Scheiß das ist, um es dann nicht mehr machen zu müssen.

Julian: Ich find das wichtig und ich finde, das merkt man auch bei Bands, die von Anfang an alles schon hatten, Management und so weiter, da fehlt die Substanz, da fehlt die Demut, das Wissen davon, was es bedeutet, sich so hochzuarbeiten.

Max: Schadet nicht, das gemacht zu haben.

Julian: Es schadet auch nicht, mal so richtig beschissen auf Tour gewesen zu sein, mit schlechten Schlafplätzen.

Max: Ohne Gagen und ohne Essen.

Julian: Aber trotzdem mit dem Flash halt irgendwie. Da war dann ein Stammpublikum, die haben sich einfach über alles gefreut.

PHILIPP: Und wer sucht eure Vorbands aus?

Max: Wir selbst. Wir sind jetzt hier auch mit der „JFR-Moon-Band“ auf Tour. Weil wir sehr viele sehr schlechte Erfahrungen mit Vorbands gemacht haben. Es ist immer ein Problem, wenn der Veranstalter denkt „ah da spielt jetzt hier irgendwie so ne Rockband, dann suchen wir halt noch ne Rockband als Support“, aber kein Mensch hat Bock, sich am Abend zwei Rockbands hintereinander reinzuziehen. Und um dem eben aus dem Weg zu gehen, dass man jeden Abend mit einem neuen seltsamen Ding konfrontiert ist, nehmen wir unsere Vorbands mit auf Tour.

Julian: Wir zahlen die dann auch aus eigener Tasche quasi, da wird dann halt von unserer Gage was abgezwackt.

Julian: Der Abend soll einfach rund sein und rund ist es für mich nicht, wenn da zwei Punkbands oder laute Bands spielen. Das fanden wir auch bei Tocotronic cool, dass die ihren eigenen Support aussuchen und ihrem eigenen Konzert etwas entgegensetzen, auch oft etwas, was dem Publikum vielleicht nicht unbedingt gefällt, aber was halt für sie Sinn macht. Wir wollen eben den ganzen Konzertabend an einem Stück sehen und es möglichst in unserer Hand haben, wie es dann läuft. Und nicht, die Hälfte an dem Abend an den Veranstalter abgeben, weil er irgendeinen local Supporter hervorruft und nicht weiß, was er am Ende kochen muss.

PHILIPP: Mal zum Thema Social-Media: In einem Video auf eurer Facebook-Seite vom Dezember 2015 sieht man Kevin nackt auf der Bühne. Habt ihr da gedacht – ist lustig, posten wir?

Max: Das Video ist eigentlich nicht so lustig.

Julian: Das war furchtbar. Wir sind ja alle miteinander befreundet und eine dynamische Gruppe. Manchmal kommt es vor, dass der Eine den einen Post nicht so toll findet…

Max: Wir haben eine unausgesprochene Corporate Identity.

PHILIPP: Was wir auch auf Facebook gelesen haben, dass ihr bei einer Koproduktion mit dem Schauspiel Stuttgart und der Berliner Schaubühne Berlin mitmacht. Wie kam es dazu?

Julian: Wir wurden gefragt. Es war so, dass wir bei einem Jugend- und Stadtteilprojekt in Stuttgart-Nord, was über das Schauspielhaus ging, an einem Abend an der Waldorfschule gespielt haben, und da hat uns der Intendant gesehen. In dem Buch [Anm. d. Red.: „Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969“ von Frank Witzel], was in die Theaterfassung kommt, geht es sehr viel um Musik. Er wollte diese jugendliche Energie oder die Musik von jungen Menschen gemacht, wissen. Und irgendwie hat es ihm mit uns gepasst. Er hat wörtlich zu mir gesagt, auch wenn im Buch die ganze Zeit Beatles und Rolling Stones genannt werden, dann geht es ihm nicht um die Musik, sondern um die Energie, deswegen wollte er uns dafür haben. Wir finden auch, dass es ziemlich gut passt. Das Buch ist toll.

PHILIPP: Das Buch ist auch Buch des Jahres.

Julian: Wir sind die Indie-Band des Jahres. Das passt wie die Faust auf’s Auge. Das weiß fast niemand (lacht). Wir haben so einen Preis gewonnen.

Max: Das wurde uns attestiert.

PHILIPP: Spielt ihr in dem Theaterstück eure Songs?

Julian: Wir sind gerade dabei, die zu machen. Wir haben heute auch ein bisschen gejamt. Wir schreiben Songs dafür.

PHILIPP: Also seid ihr da frei, könnt ihr selbst wählen?

Julian: Ja genau, er hat gesagt, er will uns die Freiheit auch lassen. Für die Stellen und für die Sachen im Stück, wo wir denken, dass wir Musik machen wollen, sollen wir Musik machen. Er will uns zu nichts zwingen. Er arbeitet, glaube ich, sehr offen. Er lässt auch lange offen, wie es dann im Stück letztendlich wird, wahrscheinlich wird dann noch am Tag vor der Premiere was hin und her …

Max: … alles umgeworfen.

Julian: Ja, ja, das kann ich mir gut vorstellen.

PHILIPP: Da könnte es passieren, dass ihr die Hauptrolle übernehmt.

Julian: Vielleicht schmeißt er alle Schauspieler raus und lässt uns alles alleine machen, man weiß es nicht (schmunzelt).

Max: Vielleicht schmeißt er auch uns raus.

Julian: Ne.

Max: Wer weiß?

Julian lacht.

PHILIPP: Nach der Tour ist dann erst mal das Theaterstück. Ist schon weiter geplant?

Max: Irgendwann kommt ein neues Album, aber es ist bisher nur so Gedankenschloss und dann kommt der Festivalsommer.

Max: Rock am Ring nicht!

PHILIPP: Da habt ihr noch nicht gespielt?

Max: Nein.

Julian: Auch noch kein Southside.

Kevin stößt dazu.

Kevin: Aber könnten wir schon mal machen!

Da lacht die Anti-Thesen-Band zum Mainstream.

Julian: Maifeld-Derby spielen wir. (ernsthaft)

PHILIPP: Danke für das tolle Gespräch!

FOTOS: Luis Penner