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Ist unsere Demokratie am Ende? – Ein Vortrag

By Elena Cardarella

February 15, 2025

Bild: L. Schiller

Man muss auch den Mut zur Intoleranz denen gegenüber aufbringen, die die Demokratie gebrauchen wollen, um sie umzubringen. Carlo Schmid, ehemaliger Vizepräsident des Deutschen Bundestages

Als Prof. Dr. Christoph Safferling seinen Vortrag plante, konnte noch niemand ahnen, dass die Regierung zusammenbrechen und dieser nun unmittelbar vor der Bundestagswahl stattfinden würde. Sein Vortrag ist damit aber wohl aktueller denn je.

Als Teil der Ringvorlesung „Konflikte in Gegenwart und Zukunft” des Zentrums für Konfliktforschung im Wintersemester 2024/25 trägt der Vortrag den Titel „Ist unsere Demokratie am Ende?“.

Safferling lud am 27. Januar von 18:30 bis 20 Uhr im historischen Rathaussaal am Markt dazu ein, dieser Frage auf den Grund zu gehen. Er ist Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht, Strafprozessrecht, Internationales Strafrecht und Völkerrecht an der Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen. Bis 2015 war er Professor in Marburg und leitete das Forschungs- und Dokumentationszentrum für Kriegsverbrecherprozesse (ICWC).

Letztes Jahr veröffentlichte er mit dem Historiker Friedrich Kießling das Buch „Der Streitfall – Wie die Demokratie nach Deutschland kam und wie wir sie neu beleben müssen”.

Sein Buch ist eine Bestandsaufnahme des Zustands der Demokratie in Deutschland, führt Leser*innen aber auch durch die wichtigsten Stationen der deutschen Demokratiegeschichte. Sein Vortrag folgt einem ähnlichen Aufbau und gestaltet sich als Mischung aus Lesung und Kommentar zu seinem Buch.

Anlässe für den Vortrag gibt es viele: Wirtschaftskrise, Populismus, neue Medien und natürlich das Erstarken autoritärer Regierungsformen – all das fordert die Demokratie in Deutschland heraus. Angesichts der Tatsache, dass die AfD in Umfragen mit rund 20 Prozent zweitstärkste Kraft ist, stellt sich die Frage umso dringender.

Geschichte der Demokratie in Deutschland

Er beginnt mit einer Passage aus seinem Buch. Ein Bericht über die Grundsteinlegung des deutschen Reichstagsgebäudes 1884. Der eindrucksvolle Bau des Reichstags als Symbol für die Bedeutung des Parlaments. Eine Kuppel thront auf dem Dach, ein Element, das sonst Kirchen vorbehalten sei. Ist es die erste Demokratie auf deutschem Boden? Sicherlich nicht, aber der erste Schritt auf dem langen Weg in unsere heutige Demokratie – die Implementierung eines Parlaments.

Safferling nimmt uns an die Hand und führt uns durch die wichtigsten Errungenschaften in der Geschichte Deutschlands, die die Grundlage für die Demokratie legten, die wir heute kennen.

Die freie Presse fand ihren Anfang im 1874 verabschiedeten Reichspressegesetz, das erstmals die Pressefreiheit in Deutschland gesetzlich verankerte. Im Jahr 1919 wurde das Frauenwahlrecht eingeführt. Der Rechtsstaat fand 1878 seinen Anfang mit der Grundsteinlegung des Reichsgerichts in Leipzig. Ein prunkvoller Justizpalast als Symbol für die Beschneidung der Macht des Monarchen. Auch die Verwaltung habe eine große Bedeutung für eine funktionierende Demokratie. Im 19. Jahrhundert galt die Verwaltung noch als Teil der Obrigkeit und bestand aus unpolitischen, neutralen Beamten, die jeder Anweisung blind Folge leisteten. Ein Umstand, der im Nationalsozialismus zur Katastrophe wurde.

Heute sind Wahlen, Pressefreiheit, Rechtsstaat und Verwaltung Errungenschaften, die für uns selbstverständlich sind. Doch Safferling möchte ganz klar verdeutlichen, dass Demokratie eben nicht selbstverständlich ist, sondern hart erkämpft wurde. Auf dem Weg habe es immer wieder Rückschläge gegeben. Der Schrecklichste von allen: der Nationalsozialismus. Er nennt diesen eine zivilisatorische Krise. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs stellte sich also die Frage, wie man Deutschland in den Kreis zivilisierter Staaten zurückbringt.

Das Narrativ, die Demokratie sei den Deutschen nach Ende des Zweiten Weltkriegs von den Alliierten „übergestülpt” worden, weist er klar zurück. Er verweist dabei auf den langen Weg, den Deutschland davor schon zurückgelegt hatte. Die Mütter und Väter des Grundgesetzes hätten bereits vor dem sogenannten Dritten Reich ihre eigenen Demokratieerfahrungen gesammelt. In die Empfehlungen der Alliierten für die Ausarbeitung einer demokratischen Verfassung sei wohl nicht ein einziges Mal hineingeschaut worden.

Der Rechtsstaat

Der nächste Schritt auf dem Weg in unsere heutige Demokratie war der Aufbau eines Rechtsstaates und rechtsstaatlicher Justiz. Das Bundesverfassungsgericht verkörpere mit seinem gläsernen Bau das „Nie wieder” und stehe als Symbol für „Transparenz und Würde” bewusst im Kontrast zu den früher prunkvollen Justizpalästen.

Das Bundesverfassungsgericht habe die Grundrechte, die sehr knapp und abstrakt formuliert sind, ausgeschmückt und modernisiert.

Die Stellung des Gerichts sei neu und besonders. Es ist unabhängig und stellt sich als Hüter der Verfassung auch gegen Entscheidungen des Parlaments.

Ein Paradebeispiel dafür sei die Abschaffung des Stichentscheids des Vaters in der Familie. Hinter diese Regelung stellte sich das Parlament ganz klar, mit der Begründung, es gebe schließlich eine „naturgegebene funktionale Unterschiedlichkeit von Mann und Frau in der Familie”. Das Bundesverfassungsgericht sah es in Anbetracht von Art. 3 Abs. 2 GG, der Gleichberechtigung von Mann und Frau, anders und erklärte das Gesetz für verfassungswidrig und somit nichtig.

Das Wertvolle an unserem Rechtsstaat: Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts werden akzeptiert. Das Bundesverfassungsgericht hat eine kompromisslose Autorität.

Erinnerungskultur und der Umgang mit der AfD

Safferling betont, dass es für den Erhalt der Demokratie und des Friedens unabdingbar sei, Verfassungsfeinde auch als solche zu benennen. Wenn die AfD wieder einen sogenannten „Volkswillen” beschwört, den es in einer pluralistischen Gesellschaft und einer repräsentativen Demokratie sowieso nicht geben könne, müsse das ganz klar als verfassungsfeindlich benannt werden. Wenn Björn Höcke eine Rede hält und sich dabei am Duktus und Vokabular des Nationalsozialismus bedient, müsse das klar benannt werden.

Dabei nimmt Safferling auch die neuen Medien in die Kritik. Die Kommunikation habe sich grundlegend verändert und einen verantwortungsvollen Umgang damit müsse man erst lernen. Früher hatten Medien und Presse eine vermittelnde Aufgabe zwischen Politik und Bevölkerung, haben Politisches eingeordnet. Heute sprechen Politiker durch ihr Handy direkt zu den Menschen.

Daran anknüpfend betont er auch die Bedeutung der Erinnerungskultur und Deutschlands besondere Verantwortung im Hinblick auf seine Geschichte. Die Schrecken des Nationalsozialismus dürften nicht in Vergessenheit geraten. Es müsse sich immer wieder vergegenwärtigt werden, welche Unterdrückung dieses antidemokratische und faschistische System mit sich brachte. Die Vergangenheit Deutschlands sollte einen großen Einfluss darauf haben, wie wir heute mit Verfassungsfeinden umgehen – auch das sei Erinnerungskultur.

Die große Frage, die natürlich im Raum steht: Braucht es ein Parteiverbotsverfahren gegen die AfD? Safferling spricht sich entschieden dafür aus, zudem stünden die Chancen juristisch nicht schlecht. Man müsse dem Grundgesetz die Möglichkeit geben, sich zu verteidigen. Es gibt Möglichkeiten, mit Verfassungsfeinden umzugehen, die im Grundgesetz festgeschrieben sind. Die wehrhafte Demokratie ist fest in unserer Verfassung verankert. Es gibt die Möglichkeit des Parteiverbotsverfahrens – Wieso Karlsruhe nicht anrufen, wenn man die Möglichkeit hat? Sich der wehrhaften Demokratie bedienen, wenn es notwendig wird?

Fazit

Ist die Demokratie am Ende? – Safferling beantwortet diese Frage mit einem ganz klaren Nein!

Streit war schon immer die Grundlage der Demokratie. Aktuelle Debatten und der Umgang mit der AfD verunsichern Viele. Allerdings gerate das Bewusstsein, dass Vieles im Streit erst bitter erkämpft werden musste, immer mehr in den Hintergrund. Diskussionen und Streitfälle seien kein Grund zur Sorge, sondern einer der wichtigsten Bestandteile der Demokratie.

Safferling fasst dies in einem abschließenden Satz treffend zusammen: „Demokratie fordert nach Streit, nach Diskussion und Auseinandersetzung, verlangt Respekt. Sie ist unbequem, aber sie lohnt sich.” Nicht umsonst trägt der Titel seines Buchs den Namen „Der Streitfall”.

Guckt man auf vergangene Krisen zurück, sei die Demokratie stabiler als Viele befürchten. Aber nur durch entschiedenes politisches Handeln, könne Deutschland das bleiben, was es ist: eine freiheitliche Demokratie.

(Lektoriert von ans und jub.)