Bild: Laura Schiller

Hochschulpolitik

Zwischen einstürzenden Hörsälen und steigenden Semesterbeiträgen – Ein Kommentar

By Matilda Bretschneider

February 12, 2024

Bild: Laura Schiller

Mit Beginn des Jahres ist es wieder soweit: Die Erinnerungsmail zur Zahlung des Semesterbeitrags landet in tausenden Postfächern. Routiniert klicke ich auf den Link, der mir die Höhe des Beitrags und Kontodaten übermitteln soll, aber was ist das? 408 €? Verwunderung macht sich in mir breit, immerhin stand die letzten Semester doch recht eisern die Zahl drei an erster Stelle. Eine kurze Rechnung zeigt: Im Vergleich zum Wintersemester gab es eine Preissteigerung von 66,60 €. Warum gehören wir zu den teuersten Universitäten in Deutschland? Zum Vergleich: Im Wintersemester 23/24 war die Leibniz Uni in Hannover mit 395,89 € noch an der Spitze. Wer soll sich das noch leisten können?

Informationen müssen her, die Aktion „Details anzeigen“ auf Marvin verrät mir mehr. Der Semesterbeitrag setzt sich aus „Semesterticket“, „Studentenwerk“, „Studentenschaft“ (wann wird hier eigentlich endlich gegendert?!) und „Verwaltungskostenbeitrag“ zusammen. So weit, so gut, aber wie viel ist das jeweils im Detail?

Das Semesterticket

Den größten Anteil macht das Semesterticket aus. Geschlagene 245,70€ kostet das die Marburger Studierenden. Im Vergleich zum vorherigen Sommersemester ist es ohne Erweiterung des Streckennetzes 36,88€ teurer geworden. Das Deutschlandticket würde für sechs Monate 294,00€ kosten – für knapp 50€ mehr könnte ich also in ganz Deutschland den Nahverkehr nutzen. Aber nein, die Rechnung stimmt doch nicht ganz, immerhin dürfen wir ja auch eine ICE-Strecke nutzen. Gut, dass diese ja nie ausfällt und auch für die nächsten Monate nicht im Fahrplan vorgesehen ist – wie die letzten Jahre schon so oft.

In einer Mail vom Verkehrsreferat (die nicht vor dem 22.12. veröffentlicht werden sollte, aber irgendwie doch schon am 21.12. ankam?) sollten wir ja schon mit vielen Worten, aber ohne genaue Zahlen, auf die Schwierigkeiten zwischen Deutschlandticket und Semesterticket vorbereitet werden. Der RMV scheint hier nicht kooperieren zu wollen und das Deutschlandticket soll finanziell nicht gesichert und preislich nicht gedeckelt sein. Die Lage scheint schwierig und chaotisch und ich kann mir vorstellen, dass hier seitens des Verkehrsreferats einiges versucht wurde. Trotzdem finde ich es fraglich, mir ein Semesterticket aufzuzwingen, mit welchem ich durch Hessen reisen kann, wenn es für knapp 50,00€ mehr die Möglichkeit gäbe, für das gleiche Geld durch ganz Deutschland zu fahren. Möchte ich das trotzdem, muss ich ein Upgrade für 26,46 €/Monat zusätzlich buchen. Mit Semesterticket wären das für die sechs Monate 404,46 € im Vergleich zu sechs Monaten Deutschlandticket, welches mit 294,00€ deutlich günstiger wäre, stehen Studierende, die ein Semesterticket zahlen müssen, ganz schön blöd da.

Aber was wenn vielleicht doch..?

Das Argument, dass das Deutschlandticket finanziell und politisch nicht gesichert ist, finde ich an dieser Stelle zu kurz gedacht. Mit höherer Nutzungszahl des Deutschlandtickets gewinnt es an politischer Sicherheit. Im Jahr 2023 lag die Nutzungszahl bei ca. zehn Millionen Menschen. Die Zahl der Studierenden in Deutschland liegt bei ca. 3 Millionen – mal angenommen all diese Menschen würden auf das Deutschlandticket umsteigen, würden sie etwa 20 %  der Nutzer*innen ausmachen – ein nicht zu verkennender Anteil.

Wirklich solidarisch wäre es, gesamtgesellschaftlich auf die Zukunft des Deutschlandtickets hinzuwirken und sich nicht weiter auf Semestertickets zu fokussieren. Dieses gilt nur für Studierende und belastet uns mit der aktuellen Lösung sogar finanziell mehr, da das Deutschlandticket mit einem Aufpreis dazu gebucht werden muss. Die Verkehrsreferate haben meiner Einschätzung nach hier die Möglichkeit, das Deutschlandticket zu stärken und die Dringlichkeit eines bezahlbaren ÖPNVs für alle zu unterstreichen. Die Angst vor dem Scheitern des Deutschlandtickets und die daraus resultierenden Sorge, nicht mehr zu den jetzigen bestehenden Verträgen zurückkehren zu können, beinhaltet mir zu viele Konjunktive und mögliche Szenarien, als dass sie den jetzigen Deal rechtfertigen. Es schwächt die Bemühungen anderer Studierendenschaften, welche das Deutschlandticket unterstützen, und verkennt das Interesse, welches Nahverkehrsunternehmen, wie der RMV an Festeinnahmen durch ein Semesterticket an Studierenden haben.

Mit der aktuellen Situation ist für mich nichts gewonnen: ich zahle 245,70 € für ein Semesterticket, mit dem ich schon unzählige Male ohne Fahrgastrechte mit dem ICE in Frankfurt oder sonst wo stecken geblieben bin und mir für sehr viel mehr Geld kurzfristig ein Umleitungsticket kaufen musste. Möchte ich in einem anderen Bundesland den Nahverkehr nutzen, muss ich evaluieren: Lohnt es sich für diesen Monat ein Deutschlandticket zu kaufen oder zahle ich die 3,00 € für die fünf Minuten Fahrt?

Hier muss dringend eine faire Lösung für die Studierenden her! Andere Unis und Bundesländer machen es vor und stärken das Deutschlandticket. Dass Hessen nicht voranschreitet und das Verkehrsreferat in Marburg sich von RMV etc. einschüchtern lässt und die Studierenden mit im Vergleich zum Deutschlandticket schlechten Konditionen zurücklässt, halte ich für fatal.

Knapp 100 € fürs Studierendenwerk – trotzdem hohe Mensapreise

Zweitgrößter Anteil ist das Studierendenwerk mit 95,50€. Das ist im Vergleich zum letzten Sommersemester nicht teurer geworden und deckt die Kosten von Wohnheimen, der Mensa (so viel Geld fließt da bei den Preisen wohl aber nicht hin) und sonstigen Angelegenheiten ab. Scheint mir zwar recht viel, vor allem, für alle die nicht im Studierendenwohnheim wohnen und hohe Mensapreise bezahlen müssen, liegt aber im bundesweiten Vergleich im Normbereich.

Der Anteil für die „Studentenschaft“ scheint mir mit 16,80€ in Ordnung, diese fließen in den AStA, Härtefallberatung und das Kulturticket. Hier gibt es zwar auch günstigere Anteile (siehe bspw. KIT Karlsruhe), aber ansonsten bewegen sich die meisten Studierendenvertretungen in diesem Bereich.

1,1 Mio. € pro Semester für Verwaltungskosten

Wofür aber dann diese 50 € des ominösen „Verwaltungskostenbeitrags“ sein sollen, ist mir gänzlich unklar. Bei ca. 22.000 Studierenden ergibt das eine Summe von 1,1 Mio. €, die die Uni pro Semester von den Studierenden für Verwaltungsausgaben bekommt, eine meiner Meinung nach nicht zu verachtende Summe. Ich rufe beim Studitelefon an. „… wofür der Verwaltungskostenbeitrag genau erhoben wird, kann ich Ihnen jetzt nicht sagen, da müssen Sie vielleicht mal eine Mail ans Studierendensekretariat schreiben“, sagt mir die Person am Telefon. Zwei Tage später folgt von dort die Antwort, dass „… [d]ie hessischen Hochschulen […] für die Verwaltungsleistungen bei der Immatrikulation, Beurlaubung, Rückmeldung und Exmatrikulation, bei der allgemeinen Studienberatung sowie für die Leistungen der Auslandsämter und bei der Vermittlung von Praktika einen Verwaltungskostenbeitrag in Höhe von insgesamt 50 Euro für jedes Semester [erheben]. Dabei folgt die Philipps-Universität den rechtlichen Vorgaben, die Hessischen Hochschulgesetz festgelegt sind.“ Aha. 50 € für ein ausgedrucktes Stammdatenblatt jedes Semester scheinen mir persönlich recht viel. Von einer Praktika-Vermittlung habe ich auch noch nichts mitbekommen. Wohin diese 1,1 Mio. € also jedes Semester fließen, ist nicht klarer geworden.

All dies ändert nichts daran, dass ich immer noch vor der offenen Zahlung sitze und die 408 € wohl oder übel überweisen muss. Fair finde ich die Preissteigerung nicht und frage mich, wie es anderen Studierenden geht und wie das weiter gehen soll. Müssen wir zum Wintersemester dann wieder mehr überweisen, und wenn ja, wo soll das enden? Wie steht das im Verhältnis zu einer Lohnsteigerung von 18 Cent für SHK-Stellen? Und wo bleibt eigentlich der Aufschrei?

Update im Februar: 30 € erst zum Wintersemester gutgeschrieben

Anfang Februar öffne ich Marvin noch einmal, um den Semesterbeitrag endlich zu überweisen. Dabei zeigt sich, dass er sich auf 386,09 € gesenkt hat. Grund hierfür ist die Senkung des Semestertickets auf 223,79 €, also um 21,91 €. Auf meine Anfrage an das Verkehrsreferat, wie sich die Preissenkung erklärt, heißt es, dass eine finanzielle Nacherhebung für Studierende verhindert werden wollte und die Vertragsgespräche zum Veröffentlichungstermin noch nicht abgeschlossen gewesen sein. Der evtl. zu viel gezahlte Betrag wird dann für das nächste Semester gutgeschrieben. Gut, dass man diese Information nur durch Zufall herausbekommt und viele die 30 € zum Ende des Monats wahrscheinlich gut hätten gebrauchen können.

Ich gehe davon aus, dass die meisten Studierenden sich an der Universität einschreiben, um tatsächlich zu studieren und nicht, um fröhlich in Hessen mit dem Zug herum zu fahren. Es ist deshalb unverständlich, wieso allen Studierenden mit der Immatrikulation ein Semesterticket aufgezwungen wird, welches dann sogar den mit Abstand größten Teil des Semesterbeitrags ausmacht. Vor Einführung des Deutschlandtickets war dieses Modell mangels Alternativen noch günstig und vor allem einfach (Tarif- und Verbundsgebiete bilden in Hessen einen Nahverkehrsdschungel), was die Existenz gerechtfertigt hat, doch die Situation hat sich geändert. Das Deutschlandticket vergünstigt und vereinfacht den ÖPNV in ganz Deutschland, deshalb erwarte ich einen angepassten und zukunftsorientierten Umgang mit den Möglichkeiten, die Studierendenwerke haben, dieses Ticket zu fördern, zu gestalten und abzusichern. Die aktuelle Lösung, Studierende mehr für das Deutschlandticket zahlen zu lassen, geht in die völlig falsche Richtung.

(Lektoriert von lurs, let und hab.)