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Kultur

Männer sind besser im Poetry-Slam, Frauen aber auch

By Patrick Robinson

February 01, 2016

Unter dem Motto „Männer gegen Frauen“ lockten Profi-Poeten Marvin Ruppert und Felix Lobrecht zahlreiche Menschen in das Audimax der Philipps-Universität Marburg. Vier Wettkämpfer:innen buhlten in Teams um die Anerkennung des Publikums über den Krieg der Geschlechter für sich zu entscheiden.

In der kalten Abendluft des 28. Novembers 2015 drängelten hunderte junge und alte Menschen für eine Vorlesung der etwas anderen Art in das Audimax der Uni Marburg. Lokale Szene-Größen Marvin Ruppert und Felix Lobrecht luden zu einem Dichterwettkampf. Die Poetry-Veteranen Mona Harry aus Frankfurt  und Kaleb Erdmann für das Team Frauen und Tanasgol Sabbagh und Nektarios Vlachopolous für das Team Männer warben mit ihren literarischen Kreationen um die Gunst der Zuschauer:innen beziehungsweise um deren Punkte, die für das jeweilige Team gemäß der traditionellen Marburger Poetry-Slam-Regeln gesammelt werden sollten.

Für alte Publikumshasen vielleicht Schnee von Gestern, aber wer noch nie einen Poetry-Slam in Marburg besucht hat, dem sei an dieser Stelle noch mal kurz die Regeln erklärt. Jede:r Künstler:in versucht mit einem selbstverfassten Text die Zuschauer:innen von sich zu überzeugen. Dabei ist zu beachten, das Requisiten jeglicher Art strengstens verboten, Gesangseinlagen nur in Ausnahmefällen zugelassen sind und ein vorher vereinbartes Zeitlimit nicht überschritten werden darf. Sofern der:die Künstler:in einen regelkonformen Text vorgetragen hat, kann das Publikum diesen mit den vorher ausgehändigten Punktetafeln bewerten. Eine Null steht für eine unterirdisch schlechte Darbietung die bei den Zuhörer:innen zu Brechdurfall und anderen unappetitlichen Erscheinungen führen kann, eine Zehn ist dabei das komplette Gegenteil, sie wird vergeben, wenn die Darbietung sämtliche Erwartungen übertrifft und Tränen der Freude und Glückseligkeit bei den Zuschauer:innen hervorruft. Oder so.

Die Eröffnung

An dieser Stelle sei erwähnt, dass sowohl Marvin Ruppert und Felix Lobrecht mit ihrer Poetry-Slam-Lesebühne „Hund im Gelände“ als auch Poetry-Promi Lars Ruppel mit „Mein erster Poetry Slam“-Einsteigern und Interessierten die Möglichkeit geben, selbst auf einer Bühne in Marburg zu stehen oder als Zuschauer:innen zu Jury-Mitgliedern zu werden. Als angehende:r Künstler:in muss man dafür einfach nur die Augen auf Facebook nach einem geeigneten Event offenhalten und gegebenfalls die Veranstaltenden kontaktieren. Oder den Jungs eben einfach mal so schreiben.

Doch zurück zum Thema, denn das Motto des Slams „Männer gegen Frauen – Im gemischten Doppel“ nimmt die Geschlechterteilung, wie sie beispielsweise in diversen TV-Formaten gang und gäbe ist, herrlich auf die Schippe. Die Künstler:innen treten dabei im Reißverschlussverfahren auf. Erst Ein:e Teilnehmer:in aus dem Team Männer, dann aus dem Team Frauen und so weiter. Doch zunächst eröffnete Marvin Ruppert mit seinem Opferlamm-Text, der von seinem vielen Geld handelte, das er mit seinen Auftritten verdient hatte. Das Publikum zeigte sich begeistert und die Messlatte hing hoch. Doch die Vorträge, die dann folgen, erinnerten nicht an Stabhochsprung, sondern eher an einen literarischen Hürdenlauf. Ein:e Künstler:in stellte eine Hürde mit seinem:ihrem brillanten Text auf, der:die nächste versuchte sie zu übertrumpfen.

Männer vs. Frauen – Round 1

Und welche Hürden die Wortakrobaten sich selbst stellten. Nektarios Vlachopolous überzeugte in der ersten Runde mit einem humorvollen Gedankenspiel zum Thema Entscheidungen, im Zweifel zwischen Ja und Nein greift man nämlich zum Jein. Mona Harry unterhielt die Zuschauer:innen mit einem interessanten Gedicht, das von den großen und kleinen Eindrücken eines Menschen in der Großstadt handelte. Tanasgol Sabbagh dann erzählte die Geschichte von dem fiktivem Mädchen Aishka, das unter dem Patriarchat ihres Vaters zu leiden hat und stellte somit die Wichtigkeit der Emanzipation der Frau ins Rampenlicht. Schließlich beendete Kaleb Erdmann die Hinrunde des Slams mit seiner Lobrede auf den Small Talk, schließlich muss nicht alles immer tiefgründig sein. Nach einer kurzen Verschnaufpause trat Kaleb in der Rückrunde als Erster an. Er philosophierte unter dem Oberbegriff des Buttermilchkaufs im Supermarkt über Konsum und Verzicht.

Mit der Frage, warum der Mensch ist, folgte Tanasgol und antwortete sich selbst gleich mit der Feststellung, dass im Inneren alle Menschen gleich sind. Mona Harry kombinierte als dritte Kandidatin der Rückrunde geschickt originelle Wortspiele rund um Showformate wie „Frauentausch“ und „Bauer sucht Frau“ mit der wichtigen Thematik der ständig über uns hereinbrechenden Datenflut. Nektarios schließlich erzählte vom Gefühl, als Lehrer auf einer Party von einem seiner Schüler angesprochen zu werden und verglich sein jetziges Dasein mit seinen Studentenjahren. Zum Schluss  waren beide Teams gleich auf und es folgte das Grande Finale.

Das Beste kommt zum Schluss

Kaleb Erdmann, angetreten für sein Team, sorgte mit seinem Aufruf, das Leben möglichst langweilig zu leben für anhaltende Lachanfälle im Publikum. Tanasgol und Nektarios, von Letzterem augenzwinkernd als Team Migrantenmäuschen bezeichnet, trugen zusammen ein Gedicht von Nektarios Gedicht vor, dass vom Sagen und Denken handelt. Dabei ging Nektarios gesprochener Part in den ständigen Wiederholungen einzelner Wörter aus Tanas Gedankenteil des Textes fast vollständig unter, was der Verständlichkeit des Inhalts allerdings keinen Abbruch tat.

Die Spannung, die den ganzen Abend während der Vergabe der Punkte im Raum stand, erreichte am Ende des Finales ihren dramatischen Höhepunkt. Mit nur wenigen Pünktchen konnte sich das Team Migrantenmäuschen/Männer gegen das Team Frauen durchsetzen und gewann eine Flasche qualitativ hochwertigen Scotch. Für die Zweitplatzierten gab es zum Trostpreis eine Flasche Spirituosen aus der niedrigeren Preisklasse. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sowohl Location als auch das selbst für Marburger Poetry Slam Standarts hohe Niveau der Texte und Vorträge den Abend zu einem einmaligen Erlebnis gemacht haben und das Audimax seine wohl poetischste Veranstaltung erlebt hat.

FOTOS: Anna Smyrek