Kultur

Marburger Kamerapreis 2024 – Review Vorreihe: Shelley

By Joannis Kiritsis

May 07, 2024

Bild: J. Kiritsis

Der diesjährige Marburger Kamerapreis geht an den skandinavischen Bildgestalter Sturla Brandth Grøvlen. Zur Vorbereitung dieser ausschließlich an Bildgestalter*innen verliehenen Ehrung, zeigt das Capitol ausgewählte Filme des Preisträgers. Der dritte Film dieser Reihe ist der subtil brodelnde Horrorfilm Shelley (2016). Das Spielfilmdebüt von Ali Abbasi erzählt die Geschichte einer Leihmutterschaft als dämonische Körperverlusterfahrung. 

Die Atmosphäre ist bereits durch die Titelsequenz gesetzt: Der Name Shelley erscheint in schwungvoller, verzierter Schrift, während der Hintergrund, ein Zoom auf sich blattlos in den Himmel kratzende Äste, einem tiefer werdenden Rot weicht. Es fühlt sich nach Schauermärchen an, nach langsam unter die Haut fahrenden Schreckerlebnissen mit Geistern und dunklen Hausfluren. Dagegen ist der Einstieg in die Realität des Filmes fast schon einladend nachvollziehbar. Louise (Ellen Dorrit Petersen) und Kasper (Peter Christoffersen), ein einsam und abgelegen in der Natur lebendes Ehepaar, heuern Elena (Cosmina Stratan) als neue Haushilfskraft an.

Elena möchte durch diese Arbeit genug Geld sammeln, um von der Natur Dänemarks zu ihrem Sohn und ihrer Familie nach Bukarest ziehen zu können. Louise und Kasper wirken, entgegen des Stereotyps von selbstisolierenden Einsiedlern in Horrorfilmen, nahbar und durchgängig offen und zuvorkommend, ohne doppelten Boden. Nachdem sich die drei akklimatisiert haben, erfährt Elena, dass Louise, obwohl sie einen Kinderwunsch hegt, keine Kinder gebären kann. Darauf wird Elena ein Angebot gemacht: Sie trägt das Kind für Louise aus, im Austausch für die Finanzierung ihres Umzugs. Neben diesem Beweggrund nimmt Elena das Angebot auch aus Sympathie an. 

Wohin mit der Lücke?

Diese Sympathie zwischen den Figuren entwickelt Shelley in einem eigenen Rhythmus aus Nähe und unterschwelligen Störfaktoren. Das Fundament dafür liefert das überzeugende Schauspiel der drei Hauptdarsteller*innen, die die Szenenfolgen aus zögerlichem Kennenlernen und entstehender Freundschaft organisch wirken lassen. Der Horror-Bariton wird hingegen durch die Struktur und die Bilder eingespielt. Die Szenen zwischen den Figuren fühlen sich bewusst verkürzt an, ein sich immer plötzlich anfühlender Schnitt reißt die Aufmerksamkeit aus der Gewohnheit der jeweiligen Szene und schmeißt die Zuschauenden in die nächste. Selbst in Momenten, in denen eine Wärme zwischen den Figuren aufkommt, wird so ein Gefühl der Enge kreiert. Es breitet sich eine erdrückende, präzise eingesetzte Hektik aus, die ein potentielles Wohlgefühl unterwandert, ohne dass dafür eine konkrete Ursache ausfindig gemacht werden kann. So arbeitet Shelley vorzugsweise in Andeutungen und Kippmomenten, die sich aus der Grundidee ergeben: die Leihmutterschaft als Körperinvasion. Das heranwachsende Baby als Fremdling, als Manifestation des Bösen, die sich von Elenas Körper ernähren und ihn beeinflussen kann. 

Shelley ist jedoch in der Ambivalenz seines Leihmutterschaftsmotivs nicht wirklich an dessen konkreter gesellschaftlicher Rolle interessiert. Das von Regisseur Ali Abbasi und Maren Louise Käehne geschriebene Drehbuch verwendet es vielmehr als Katalysator einer Machtverschiebung der Figurenbeziehungen und als Startpunkt einer Genre-Erzählung. Wo Louise und Kasper Elena vorher für ihren sich in haushälterischen Aufgaben verausgabenden Körper bezahlten, geht es danach darum, diesen so gut es geht zu schonen und auf ihn zu achten. Elena wird dabei mehr als physisches Gefäß für ihr Kind denn als eigenständige Person behandelt, wodurch sich die Motivation hinter der ungebrochenen Höflichkeit von Louise und Kasper verändert. Ihre Gesundheit ist nur insofern relevant, als dass sie in direktem Verhältnis zum Zustand des Kindes steht, das in ihr heranwächst. Dass es sich bei Elena um eine Migrantin handelt, die im Auftrag des dänischen Paares handelt, schwingt als einzige analytischere Komponente des Filmes unter den Interaktionen der Figuren gekonnt mit, ohne zu einer aufdringlichen Offensichtlichkeit zu werden. 

Abstrakter Horror

Shelley ist in seiner Feinjustierung ein subkutan agierender Horrorfilm. Er reiht sich dadurch in eine bestimmte und primär von Männern dominierte Horrortradition ein. Allen voran erinnert er an Roman Polańskis Rosemary’s Baby (1968), dem Urdruck von unterirdisch spannungsgeladenen Horrorfilmen über Schwangerschaften als Dämonenübernahmen. Shelleys dicht aneinander geschnittene Szenen ähneln der klaustrophobischen Szenenstruktur und dem Vorwärtsdrall von Rosemary’s Baby. 

Seine unerklärlicheren Momente erinnern dagegen vielmehr an David Lynchs ersten Film Eraserhead (1977), der, wenn auch beiläufiger, ebenfalls von einer Geburt erzählt. Lynch driftet dann aber dort in breitflächige surrealistische Bereiche, wo Shelley eher an zurückhaltenden Realitätsverwirrungen interessiert ist. Solche Momente – die unerklärte Präsenz eines schwarzen Hundes, die zahlreichen Narben, die plötzlich auf Elenas Körper erscheinen – fügen sich zwar nicht in eine völlig eigene Gesamtsymbolik, verharren aber in einer reizvollen Schwebe, gerade weil sie in ihrer Kürze und Plötzlichkeit so abstrakt und irritierend bleiben. 

Für den visuellen Zusammenhalt des Filmes sorgt dagegen Grøvlens Kamera. Zur Unterstützung der strukturellen Enge der Szenenfolgen arbeitet er mit vielen Nahaufnahmen. Einstellungen, die an Elenas Gesicht bleiben und ihre Entwicklung von einem gesunden Menschen in eine fast durchsichtige, halbtote Version ihrer selbst dokumentieren. Grøvlens geliebte, intuitiv eingesetzte Handkamera wird hier zu einem Beispiel für seine variable Bildgestaltung. Wo sie in Der Rausch noch die Dynamik einer jugendlichen Selbstvergessenheit vermittelte, wird ihr leichtes Wackeln in Shelley zur ominösen Präsenz einer unbekannten Instanz. Immer wieder werden zwischen den Szenen Einstellungen des Hauses oder der Natur eingewoben, die länger anhalten, als zu erwarten wäre. Lang genug, um die Frage aufzuwerfen, aus welcher Perspektive sie eigentlich stammen könnten. Grøvlens Vorliebe für sparsam eingesetztes, natürlich wirkendes Licht und demnach umso präsentere Schatten verstärkt zudem das schleichende Unwohlsein, dass sich mit fortschreitender Laufzeit einstellt. 

(Lektoriert von nir und hab.)