Kultur

Poetry Slam: Profs schlagen Profis

By Susanna Roßbach

July 16, 2015

Die Zeiten, in denen Professor*innen außerhalb des Hörsaals ausschließlich vor Expertenkommissionen oder in öffentlich-rechtlichen Talkrunden auftraten, sind vorbei.  Heute arbeiten Professor*innen an ihrem Image, legen auch schon mal auf Partys auf – „Prof. Dr. DJ“, kein Witz! – oder unterhalten ihren eigenen Blog. Und mal ehrlich: Selten sah ein Wirtschaftswissenschaftler auf einem Motorrad so gut aus wie Yanis Varoufakis. Auch vier Marburger Professor*innen trauten sich nun schon zum zweiten Mal auf fremdes Terrain: Beim Poetry Slam „Profs vs. Profis“!

Es ist 19.11 Uhr am Dienstagabend im vollbesetzten Audimax und die meisten Zuhörer*innen freuen sich schon riesig, bevor auf der Bühne auch nur ein einziges Wort gesprochen wurde. Eröffnen darf den Poetry Slam nämlich Martine Jauernick, die wohl bekannteste Mensa-Mitarbeiterin Marburgs. „Heute sage ich nicht ‚Mensa-Service bitte zur Info‘, sondern ‚Poetry-Slam‘!“, ruft sie, gewohnt enthusiastisch. Das Publikum tobt. Einen besseren Warm-Upper hätte sich niemand wünschen können. Der Stimmung tut es auch keinen Abbruch, dass für den als Moderator angekündigten – zugegebenermaßen ziemlich bekannten – Marc Oliver Schuster Dominik Bartels einspringt. Ohnehin sind die meisten Student*innen wohl nicht der Moderation wegen gekommen.

Wen sich die Veranstalter*innen so alles eingeladen haben, lässt sich aber wirklich sehen: Lasse Samström, Frank Klötgen und Sebastian Hahn können durchaus zu den bekannteren Slammern Deutschlands gezählt werden und bringen an Titeln, Veröffentlichungen und Auftritten einiges an Erfahrung mit. Insgesamt ist auch das Geschlechterverhältnis in beiden Teams – drei von acht Slammer*innen sind weiblich – recht ausgewogen. Schade ist allerdings, dass Tabea Reinelt als einzige Marburger Slammerin im Team der Profis antritt. Auch unsere Lokalgrößen müssen sich nämlich im bundesweiten Vergleich nicht verstecken. Meine Wunschkandidat*innen für das Line-Up 2016? Tanasgol Sabbagh, Marvin Ruppert, Bo Wimmer und – er darf wohl auch nicht fehlen – Lars Ruppel.

Stars des Abends: eindeutig die Profs

Anyway, die wirklichen Stars des Abends sind eindeutig die Profs, die nach Aussage des Moderators „sehr, sehr cool und unglaublich motiviert“ erschienen. Tatsächlich wirkten die vier Akademiker*innen bei ihrem Einzug in den Audimax nicht besonders aufgeregt. „Es ist schön in einen Hörsaal zu kommen, in dem einem der Enthusiasmus richtig entgegenbrodelt“, scherzte auch Prof. Dr. Hubert Zimmermann vor seinem Auftritt. Der Politikwissenschaftler, der in seinem sonstigen Leben mit süddeutschem Akzent Fragen zur Griechenland-Krise beantwortet – hier zu sehen –, versuchte sich beim Slam an einem neuen Genre: Im „Bleibt-Abzuwarten-Rap“ spannte Zimmermann den Bogen zwischen Weltpolitik, Hochschulalltag und eigener Arbeitsmoral. Wie es mit uns allen weitergeht? Bleibt abzuwarten!

,,Ob der Grexit wirklich kommt, ja das bleibt abzuwarten. Ob der Putin wirklich schwul ist, das bleibt abzuwarten. Ob die Angie nochmal antritt, ob der Gabriel verkackt, ob der Lindner 5 Prozent schafft, ob die Hillary es packt, ob die Briten sich verpissen, das bleibt abzuwarten.“ (Prof. Dr. Hubert Zimmermann)

„Etwas Episches und etwas Lustiges“ bot dagegen Prof. Dr. Johann Heider, der für den Fachbereich Biologie antrat. Am einfachsten sei es, ein Gedicht nachzudichten, das man schon kenne, meinte der Mikrobiologe und entschied sich ambitioniert für die „Aeneis“ von Vergil. Statt des Gründungsmythos des römischen Reiches trug er aber die „Mikrobeis“ vor, die epische Geschichte von Mikroben und Menschen bis zur Gründung der Mikrobiologie. Einen fachlichen Bezug zu ihrem Text konnte man auch Dr. Gaby Bleichhardt nicht absprechen. Die Psychologin durchlebte ihre letzten drei Wochen vor dem Slam und diagnostizierte dabei diverse psychische Störungen an sich selbst. „Nie hat jemand die Poetry–Slam–Szene besser seziert“, kommentierte Moderator Dominik Bartels ihren Auftritt.

Für das Team der Professoren traten an (von links nach rechts): Prof. Dr. Johann Heider, Dr. Gaby Bleichhardt und Prof. Dr. Kati Hannken-Illjes.

Auch aus dem Publikum erntete Bleichhardt viel Gelächter und Applaus und wurde schließlich auch Teamsiegerin unter den Professor*innen – und das ganz ohne Professoren-Titel. Prof. Dr. Kati Hannken-Illjes schließlich wirkte bei ihrem Auftritt so routiniert, als stünde sie jede Woche auf den Poetry-Slam-Bühnen der Republik. Mit ihrem Text über die „Bundesdiskurspolizei“, die schlechte Argumentation streng verfolgt, stand die Sprechwissenschaftlerin den Profis in nichts nach. Auch insgesamt kann gemutmaßt werden, dass viele der Zuhörer*innen sicherlich schon schlechtere Texte gehört haben als an diesem Abend.

„Gut“ und „schlecht“ sind aber ohnehin keine Kategorien, in die Texte beim Poetry Slam eingeordnet werden können. Erlaubt ist nämlich grundsätzlich alles, solange der Text selbst geschrieben ist, keine Requisiten verwendet werden und eine bestimmte Zeitvorgabe eingehalten wird. Wie vielseitig die Ergebnisse unter diesen knappen Regeln werden können, zeigten auch die Texte von Profs und Profis: Von nachdenklicher Dichtung, über an Stand-up-Comedy erinnernde Erzählungen bis zu Lasse Samströms Spezialität, den Schüttelreimen, war beim Marburger Slam alles vertreten. Es wurde gelacht und geklatscht, aber auch nachgedacht und (nach Aufforderung) gebuht. Große Gefühle also und für jeden was dabei!

Lasse Samström dichtet in Schüttelreimen. Ganz wichtig dabei: Nicht mitdenken!

Einen Poetry Slam „Profs vs. Profis“ gibt es nicht nur in Marburg, sondern deutschlandweit als Teil einer Veranstaltungsreihe der Organisation „Go Ahead!“. Eintrittsgelder, Flaschenpfand und ein Teil der Verkaufserlöse der Profi-Bücher fließen in Bildungsprojekte im südlichen und östlichen Afrika und kommen dort insbesondere sozial benachteiligten Kindern zugute. Besonders an der Hilfsorganisation „Go Ahead!“ ist, dass alle Mitglieder bis hin zum Vorstand Student*innen oder junge Erwachsene sind. „Um sich bei uns zu engagieren, muss man vorher nicht zwingend etwas Besonderes können“, erklärt Martin Scharl von der Marburger „Go Ahead!“-Hochschulgruppe. Jeder könne sich mit seinen Talenten einbringen und alles, was man aus eigenem Antrieb machen wolle, könne auch umgesetzt werden.

And the winner are the Profs

Den Poetry Slam gewonnen haben übrigens die Profs: Mit einem Vorsprung von 0,1 Punkten konnten sie an ihren Vorjahressieg anknüpfen. Wenn dann im nächsten Jahr mehr Marburger Slammer*innen antreten, haben die Profis aber vielleicht auch mal eine Chance.

FOTOS: Luis Penner