Film

Sneak-Review #283: Barbaren in der Bretagne

By Niklas Günther

July 25, 2025

Bild: Ina Rohwer

Mit Die Barbaren – Willkommen in der Bretagne bringt Regisseurin Julie Delpy eine Culture-Clash-Comedy mit feinem Esprit auf die große Leinwand, die ihren Witz aus gesellschaftlichen Vorurteilen, moralischer Selbstüberschätzung und kulturellen Missverständnissen zieht. Die französische Produktion nimmt sich dabei nicht nur des Bildes der Barbaren an, sondern hält auch dem bürgerlichen Westen den Spiegel vor.

Integration mit Imagepflege

In einem kleinen bretonischen Dorf wird im Zuge des russischen Angriffskriegs beschlossen, ein Zeichen der Solidarität zu setzen: Man möchte Geflüchtete aufnehmen. Die Solidarität wirkt dabei weniger aufrichtig als vielmehr wie eine Image-Kampagne: Bereits der Beschluss des Gemeinderats wird von einem Kamerateam begleitet. Eigentlich soll eine ukrainische Familie aufgenommen werden, doch stattdessen trifft eine syrische Familie ein – und schleichend brechen rassistische Ressentiments los. Hilft Westeuropa nur den Geflüchteten, die nicht zu fremd sind?

Wer ist hier eigentlich fremd?

Schon früh spielt der Film mit dem europäischen Bild des „Wilden Syrers“: ungebildet, rückständig, vielleicht sogar gefährlich. Auch bei dem progressiven Teil der Gemeinschaft herrscht große Unsicherheit darüber, wie man sich überhaupt verständigen wird. Diese Erwartungen treffen bei Ankunft der Familie auf eine völlig andere Realität: kontaktfreudige, gebildete Menschen mit ersten Französischkenntnissen und einem besseren Englisch als viele der Dorfbewohner*innen. Dennoch sind sie Anfeindungen und Vandalismus ausgesetzt. Wer sind hier eigentlich die Barbaren?

Schrullige Vielfalt trifft echte Emotion

Wie so oft im französischen Kino lebt der Film von seinen Figuren – überzeichnet, aber nie eindimensional. Die Dorfbewohner*innen sind ein Potpourri aus aufrichtigem Engagement, rassistischen Ressentiments und kultureller Unsicherheit. Dennoch gibt ihnen das Drehbuch Raum: Niemand ist nur Karikatur, selbst die borniertesten Stimmen zeigen irgendwann Risse. Besonders sticht dabei die Rolle des Bürgermeisters hervor, der zwischen Selbstinszenierung, Meinung der Wahlberechtigten und echtem Engagement schwankt – ein Sinnbild für westliche Flüchtlingspolitik im Kleinformat.

Die syrische Familie wiederum trägt ihre eigene Geschichte mit sich: Schuldgefühle um zurückgelassene Familienmitglieder, während man selbst in einem fremden Haus auf Kosten anderer lebt. Der Wunsch auf ein Leben auf eigenen Beinen ist so groß, dass die frühere Mediendesignerin als günstige Hilfskraft im Bio-Betrieb anfängt.

Zwischen Vorurteil und Verständigung

Was dem Film besonders gut gelingt, ist der Spagat zwischen Witz und Wahrheit. Die Barbaren lacht nicht über Flüchtlinge, sondern über die Bilder, die sich westliche Gesellschaften über sie machen. Wenn die Kamera liebevoll auf die unberechtigten, aus Unkenntnis entstehenden Sorgen der Breton*innen blickt, dann wirkt das nicht wie ein erhobener Zeigefinger, sondern wie ein einladendes Augenzwinkern. Der Film persifliert dabei nicht nur Vorurteile, sondern zerlegt sie mit Genuss: Der ausgerechnet von den selbsternannten Nachfahren der Gallier, die von den Römern ebenfalls so genannt wurden, verwendete Begriff Barbaren wird zitiert und dekonstruiert.

Eine besonders herzliche Note bekommt der Film durch eine Annäherungen der Parteien. Wenn ähnliche Lieblingsmusik, das gemeinsame Kochen oder die zwischenmenschliche Nähe stärker sind als Sprache oder Herkunft, entsteht ein neues Zusammenleben, welches nicht von Zwang, sondern von Einvernehmlichkeit und Verständnis geprägt ist.

Komödie mit Haltung

Am Ende der Sneak Preview fällen 88 Prozent des Publikums ein positives Fazit– viele mit einem Lächeln, einige mit nachdenklichem Blick. Der Film bleibt auch nach dem Abspann im Kopf, gerade weil er die leichte Verpackung nutzt, um schwere Themen zugänglich zu machen. Er zeigt Widersprüche, Unsicherheiten und peinliche Momente – und macht daraus eine intelligente, warmherzige Komödie über das, was uns trotz allem verbindet. In einer Zeit, in der öffentliche Debatten über Flucht, Migration und Integration oft schrill geführt werden, ist dieser Film eine wohltuende Einladung zum Dialog – subtil, charmant und voller esprit français.

(Lektoriert von jap und jub.)