Kultur

Till Reiners‘ „Mein Italien“: Zwei Meinungen

By Leonie Theiding and Joannis Kiritsis

January 26, 2024

Fotos: Daniel Dittus

Mein Italien: Till Reiners ‚Bromance‘ mit Christian Lindner

Die Meinung von Leonie Theiding

Während ich diesen Text schreibe, frage ich mich, was ich von Stand-Up-Comedians wie Till Reiners erwarte: Schlagfertigkeit, Unsinn und eine ganze Menge kreativen Witz zum Beispiel. Politisches Kabarett nicht zwingend. Trotzdem findet sich Politisches in Reiners Programmen wieder, wenn auch nur oberflächlich und entlang der Mainstream-Grenzen – so auch in Mein Italien. Das Programm führte er Ende letzten Jahres im Rahmen des Kabarettherbstes im KFZ in Marburg auf.

Reiners Humor zielt auf ein linkes Publikum ab. Das zeigt sich auch daran, dass und wie er 2022 als Vertretung die heute-show moderiert hat, aber auch daran, dass er seinen Freundeskreis auf der Bühne als sehr links bezeichnet. Und was haben alle Linken gemeinsam? Ziemlich sicher eine Abneigung gegen Christian Lindner als Personifizierung der FDP. Wahrscheinlich wählte Till Reiners deshalb, Lindner als Protagonisten von Mein Italien, um krampfhaft anzuecken. Vielleicht dachte er, es wäre noch aufsehenerregender, davon zu erzählen, wie eine Freundschaft zwischen Lindner und ihm (als mainstream-linken Comedian) entsteht. Laut seiner Erzählung verbrachten die beiden gemeinsam Zeit im idyllischen Italien, wo so etwas wie eine ‚Bromance‘ entstand. Lindner folgte sogar Reiners’ Einladung auf seinen Geburtstag, auf dem sein linker Freundeskreis sehr unzufrieden auf die Anwesenheit des FDP-Politikers reagierte.

Eine unwahrscheinliche Freundschaft

Von der Freundschaft zwischen Lindner und ihm selbst berichtet der Comedian so ausführlich und langwierig, dass man sich bis zum Schluss nicht hundertprozentig sicher ist, ob diese je existiert hat – Reiners schließt die Existenz der Bromance bis zum Ende nicht eindeutig aus. Ein gelungenes offenes Ende und eine anregende Überlegung, diese ungewöhnliche und unwahrscheinliche Freundschaft darzustellen, die die Frage aufwirft, ob Freundschaft unabhängig von politischen Positionierungen funktionieren kann. 

Hinlängliche Unterhaltung also, die das Marburger Publikum mit lautem Lachen und häufigem Applaus belohnt. Ob Lindner und Reiners am Ende noch Freunde sind? Ob Reiners sich traut, eine gelungene Freundschaft zu Lindner zu inszenieren? So weit reicht der Humor dann wohl doch nicht.

(Lektoriert von nir, hab, jok und Gast.)

Mein Italien: Till Reiners’ neues Programm zwischen Leichtfüßigkeit und FDP-Fiktion

Die Meinung von Joannis Kiritsis

Mit Mein Italien liefert der vielseitige Humorist und Kabarettist Till Reiners sein sechstes Stand-Up-Programm, das teils überzeugende Pointenparade im Reiners typischen Duktus, teils unausgegorene Gesellschaftskritik ist.

Auf mich, einer Person, die sich im deutschen Comedy-Bereich nicht auskennt, wirkt Till Reiners wie ein zelebrierter Underdog, der längst im Mainstream angekommen ist, sich aber immer noch als subversiver Geheimtipp verstehen möchte. Das meine ich gar nicht despektierlich, sondern zögerlich beobachtend. Reiners begann seine Bühnenkarriere als Poetry-Slammer. Bereits dort schrieb er seine Texte auf die Spannung zwischen Performer und Zuschauerschaft hin, feilte an seiner Delivery und passenden Pointen. Von da an lässt sich eine beachtliche Tätigkeitsliste erstellen: Hier ein erfolgreicher Podcast mit Comedy-Kollegen Moritz Neumeier (Talk ohne Gast) neben dem inzwischen eingestellten Podcast mit Moderatorin Ariana Barborie (Endlich normale Leute), da noch die Arbeit als gelegentlich mitwirkender Schreiber und Performer für die heute-show und der Kabarettsendung Die Anstalt. Seit 2022 dann sogar die Übernahme der 3sat-Comedy-Show von Sebastian Pufpaff, die dann in Till Reiner’s Happy Hour umbenannt wurde. Dazwischen natürlich noch die traditionelleren Stand-Up-Programme, darunter besonders Auktion Mensch (2015), Bescheidenheit (2019) und das 2021 performte Programm Flamingos am Kotti. Das alles mit dem Anspruch, Politisches und Nahbares zu vermischen, Gesellschaftskritik mit einer Aura von Geselligkeit zu kombinieren. Sei es, dass diese breitgefächerte Dauerbeschäftigung Zeugnis der notwendigen Rollen ist, die ein Humorist/Kabarettkünstler einnehmen muss, um sich über Wasser zu halten oder schlicht Beispiel der beträchtlichen Produktivität von Till Reiners. Letztendlich sollte sich vielleicht doch jedes Programm allein behaupten können. Das Neueste trägt den Titel Mein Italien und ist eine eigenartige Mischung aus Reiners’ inzwischen perfektioniert leichtfüßigen Pointen und überraschend scheuer Gesellschaftskritik.

Vom ‚Zurückgemögt’-werden

Reiners betritt die Bühne und das Publikum ist direkt auf seiner Seite. Ich weiß nicht, ob das daran liegt, dass alle im Raum bereits begeisterte ‚Reinis’ (meine Erfindung) sind oder er einfach die Art Ausstrahlung besitzt, die alle in den Bann schlägt. Vermutlich eine Kombination beider Ansätze, wobei sie sich in unterschiedlichen Schleifen gegenseitig verstärken. Klar wird jedoch sofort: Reiners ist in seinem Element und arbeitet sich unverkrampft und souverän durch seine ersten Minuten, in denen er auf vorgeschriebenes Material verzichtet und sich auf das Publikum einlässt. Er stellt Kennenlernfragen nach Wohnort und Anreise und zieht mühelos witzige (a.k.a. das Publikum zum Lachen bringende) Beobachtungen aus den Antworten. Natürlich ist es dabei unvermeidlich und für Marburg seit langem obligatorisch, dass auch kurz Gießen zur Sprache kommt. Originell ist dieser Teil nicht, möchte er auch nicht sein, in Marburg zündet er aber immer. 

Nach dieser Aufwärmrunde steigt Reiners in sein eigentliches Programm, ohne sein lockeres Auftreten zu verlieren. Die Punchlines werden dadurch verstärkt, dass seine Vortragsweise und die Struktur der Witze so natürlich wirken, dass sie im Moment des Erlebens überhaupt nicht als vorbereitete Witze wahrgenommen werden. Es liegt jedoch auch daran, dass Reiners’ Witze nie auf eine einzelne Pointe hinauslaufen. Ein größeres Segment befasst sich mit dem sozialen Geben und Nehmen von Anerkennung, dass in einer Reiners’schen Neuschöpfung „an- und zurückmögen” heißt. Jede präzise platzierte Nennung dieser Formulierung führt zu Lachen, während das Vokabular selbst eine schnell verständliche Verhaltensweise bloßstellt, die viele Menschen kennen: das Verlangen, gemocht zu werden, andere aber auch zu mögen. Reiners treibt diese simple Prämisse auf die Spitze, indem er sie als Transaktion präsentiert. Wenn jemand mich „anmögt”, muss ich die Person „zurückmögen”, um mich nicht schlecht zu fühlen. Dieses Segment des Programms ist wie fast alles bei Reiners: Gut performt, durchdacht und zugänglich, aber ohne wirkliche Überraschungen. 

Männer des Westens

Es geht in Mein Italien aber zu großen Teilen und überraschenderweise auch um das zugänglichste aller Geschöpfe: Christian Lindner. Lindner kommt so häufig in diesem Programm vor, dass er die Wirkung des restlichen Materials beeinträchtigt, weil er dadurch zur strukturbildenden Komponente wird. Interessant ist dabei, dass Reiners seine Lindner-Geschichten, vom ersten Treffen beim „Tinder-Strich in Berlin” bis hin zum zufälligen Wiedersehen auf einer Italienreise, so performt, als ob sie ihm wirklich passiert wären. Das wiederholte Betonen der Realität dieser Begegnungen stellt genau das in Frage. Abseits dieses interessanten Spiels mit der Form des Stand-Up-Programms und der implizierten Fiktionalität desselben, leidet dieser Teil des Programms an geläufigen FDP-Witzen, die zwar gekonnt eingefädelt werden, inhaltlich aber in die immer gleiche Kerbe der oberflächlichen Kritik der Wohlhabenden hauen. Um da möglichen Missverständnissen vorzubeugen: Ich habe nichts dagegen, wenn in diese Kerbe geschlagen wird, finde aber, dass es nicht ausreicht, es mit den immergleichen Beobachtungen zu tun. Dass Till Reiners’ Lindner-Figur teure Autos besitzt und Personal für die Lieferung ihrer Anzüge ist im ersten Moment amüsant, besitzt aber keinerlei politischen Tiefgang. Was schade ist, da der Rest von Mein Italien zeigt, dass Till Reiners wesentlich mehr könnte. Aber wie gesagt, ich kenne mich im Comedy-Bereich nicht aus. 

(Lektoriert von nir und let.)