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Was’n los Italien ?

By Sebastian Ridder

June 25, 2018

Der Vorschlag, die Roma in Italien zu zählen, empört Italien und Europa. Die neue euroskeptische Regierung der separatistischen Lega Nord und der Protestpartei Movimento 5 Stelle (M5S) bringt Verunsicherung und Angst mit sich. Das Bindemittel spielt der parteilose Ministerpräsident Guiseppe Conte zwischen den Parteivorsitzenden Luigi di Maio (M5S) und Matteo Salvini (Lega Nord). Der Vorschlag wurde von Conte abgelehnt, aber woher kommt der Aufwind der umstrittenen Parteien und die Verunsicherung, die die Koalition mit sich bringt ?  Wir haben einen Blick auf den Status Quo und die Umstände geworfen, die ihn ermöglichten.

Nach Ende des Faschismus schaffte die sogenannte Erste Republik (1948 bis 1993) die Grundlagen für die schlechten Verhältnisse zwischen der italienischen Gesellschaft und der Politik. Die Erste Republik  wurde von der democratia cristana (DC) und der Anti-Kommunismus-Einstellung des Landes bestimmt. Unter dem Ausschluss der kommunistischen Parteien kam es fast nie zu einer Regierung, die nicht von der DC gebildet wurde. Man spricht hier von der Zeit der blockierten Demokratie. Zu einer Rotation der Eliten in den höchsten Stellen des Staates kam es deswegen nie: Ein perfekter Nährboden für Vetternwirtschaft und Korruption.

In den neunziger Jahren wurde das festgefahrene System erschüttert. Der größte Korruptionsskandal Italiens (Mani pulite) betraf vor allem die DC und die politischen Eliten des Landes. Es handelte sich dabei um die Aufdeckung eines Systems von Korruption, Amtsmissbrauch und illegaler Parteienfinanzierung. Das Vertrauen in die Politiker und die Parteien war am Boden. Fast alle Parteien der ersten Republik lösten sich unter dem Druck des Skandals auf. Daraufhin zersplitterte die Parteienlandschaft, woraus eine Anti-Parteien-Einstellung und Politikverdrossenheit hervorging. Es kam zu vielen Neugründungen von Parteien, die größtenteils die Bezeichnung „Partei“ aufgrund des schlechten Rufes ablehnten. Während die politischen Skandale aufgearbeitet wurden, wurden die gesellschaftlichen Umstände, wie unter anderem die Aktivitäten der Mafia und die Vetternwirtschaft, bis auf wenige Ausnahmen nicht reflektiert.

Neue und alte Steine im Getriebe der Republik

Die Skandale der ersten Republik ermöglichten den von Linken neu gebildeten Parteien und Silvio Berlusconis Firmenpartei Forza Italia (FI) den Aufstieg. Während erstere zerstrittene Bündnisse aus einem inhaltlich zu weiten linken Spektrum hervorbrachten, erschien mit Silvio Berlusconi ein Egomane und Populist auf der politischen Bühne. Auf allen Seiten blieb die erhoffte Verbesserung unter neuen Parteien und Bewegungen langfristig aus. Die linken Regierungen gingen meistens an ihren instabilen Bündnissen, der Uneinigkeit, der destruktiven Opposition Berlusconis und der daraus folgenden Handlungsunfähigkeit zugrunde. Berlusconi versuchte sich an einer korrupten Politik zu Gunsten seiner Medienunternehmen, getarnt hinter seiner medialen Inszenierung als großer Politiker. Das nicht vorhandene Parteigesetz und die mediale Inszenierung als neuer Politiker der zweiten Republik ermöglichten Berlusconis antidemokratischer FI Zuspruch in der Gesellschaft zu erlangen.

Die Mobilisierung gegen etablierte Parteien und Eliten der ersten Republik und die Politikverdrossenheit ermöglichten es Populisten wie Berlusconi, die parlamentarischen Auseinandersetzungen durch ihre destruktive Vorgehensweise zu instrumentalisieren. Die Konkurrenz des Mitte-Links und des Mitte-Rechts Bündnisses sorgte dafür, dass die Abwertung des anderen wichtiger war als die eigenen Ansätze auch als Opposition einzubringen. Die Folgen waren 14 verschiedene Regierungen von 1993 bis 2018, von denen keine ihre Legislaturperiode überlebte. Zwar demokratisierte der nun einsetzende Wechsel von Opposition und Regierung das politische System, die Kurzlebigkeit der Regierungen und die dementsprechend eingeschränkte Handlungsfähigkeit behinderten die Politik jedoch. Dazu üben die Weltwirtschaftskrise 2007 und die politische Erschütterung in Europa durch die Staatsschuldenkrise 2010 weiteren Druck aus. Unzureichende Maßnahmen und Berlusconis Unbelehrbarkeit in Sachen Finanzpolitik sorgten unter anderem dafür, dass Italien derzeit hinter Griechenland die größten Staatsschulden in der EU hat.

Die Profiteure der Krisen

Das Vertrauen in die Parteien liegt erneut am Boden. Die Finanzkrisen der europäischen Staaten und die Flüchtlingskrise 2015 verleihen der politischen Gesinnung in der EU einen Rechtsruck. Die unerfahrene Anti-Establishment-Bewegung Movimento 5 Stelle des umstrittenen Kabarettisten Beppe Grillo erlangte die Unterstützung der unpolitischen und politikverdrossenen Bevölkerung Italiens. Mit vielen jungen Italienern und unkonventionellen Werbeauftritten will die Bewegung mit den Fehlern der alten politischen Eliten aufräumen. Das Ergebnis waren 33% der Stimmen in diesem Jahr. Trotz vieler linker Anhänger ist das Mittel der M5S der Populismus und weniger Konzepte und klare Vorstellungen. Auch die rasante Mobilisierung, die Unberechenbarkeit und die kompromisslose Führung Beppe Grillos sind besorgniserregend.

Die Lega Nord wiederum nutzt die Verunsicherung und Ängste der Bevölkerung für sich. Die Partei versteht sich als Repräsentant des starken Nordens und stellt sich gegen Flüchtlinge, „linke Spinner“, die EU und Nicht-Italiener (bspw. Roma). Sie holte 17 % der Stimmen. Das schwierige Vertrauensverhältnis zwischen den etablierten Parteien und der Bevölkerung hat Narben hinterlassen. Die gemäßigte linke Partei Partito Democratico und Berlusconis FI verbuchten bei den Wahlen 2018 beide ihr niedrigstes Wahlergebnis seit ihrer Gründung. 27 % der Bürger sind erst gar nicht wählen gegangen.

Wende in eine unbestimmte Richtung

Die neue Regierung kündigt mit der Koalition der M5S und der Lega Nord einen Wandel an, bei dem man noch nicht sagen kann, in welche Richtung er geht. So ist der Austritt aus der EU nicht explizit genannt worden, jedoch ist mit einem strengen Kurs gegenüber der Politik der EU zu rechnen. In Anlehnung daran sollen die diplomatischen Beziehungen zu Russland wieder gestärkt werden. Flüchtlingen soll die Einreise verboten werden. Der Bevölkerung und den Märkten werden Versprechen gegeben, die als nicht haltbar gehandelt werden. Nichtsdestotrotz reichen die Spekulationen vom Anfang vom Ende der EU zu einer neuen Wirtschaftskrise.

Unter dem parteilosen Vermittler Guiseppe Conte sind dabei vermutlich noch nicht alle Konflikte innerhalb der Koalition ausgetragen. Generell ist es bei der geringen Lebenserwartung einer Regierung in Italien schwierig vorauszusagen, ob Maßnahmen der geplanten Wende überhaupt zustande kommen. Bisher sorgten die Justiz und starke Präsidenten für die Mäßigung extremer Reformen. Letztendlich sind es aber die italienischen Bürger, die mit der Reflektion der Wahlen und der Partizipation in strukturierten Parteien diese demokratischen Institutionen wiederbeleben müssen, um der Politik der Angst und Verzweiflung ihre Wirkungskraft zu nehmen.

Foto: CC