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Zwischen Windeln und Referaten

By Katharina Meyer zu Eppendorf

May 22, 2014

Fünfeinhalb Prozent der Studierenden in Deutschland sind das, was die meisten ihrer Kommiliton*innen erst nach dem Studium werden: Eltern. PHILIPP hat mit zwei Marburger Studieltern über den Spagat zwischen Campus und Wickeltisch gesprochen.

Das studentische Leben kann gespickt sein von so allerlei Dingen. Wenn es das Arbeitspensum des Studiums erlaubt, kann auch mal an einem Mittwochnachmittag das Wochenende eingeleitet und für einen Kurztrip in die Ferne gefahren werden. Vom Feiern kehrt man erst nach Sonnenaufgang zurück und von Reis mit Scheiß kann man sich wenn nötig auch fünf Tage am Stück ernähren, weil das letzte Geld für Bier im Hinkelstein investiert worden ist.

Jana* (24) und Alexander* (22), die beide auch in Marburg studieren – sie Europäische Literaturen und er BWL – und in einer Dreizimmerwohnung im Stadtwald wohnen, kennen all diese Sachen. Sie selbst lebten manchmal so. In der Vergangenheit. Denn vor einem Jahr sind die beiden Eltern eines kleinen Mädchens namens Sophie geworden und gehören damit laut Bundesministierium für Familie, Frauen und Soziales zu den insgesamt 94.500 Studierenden mit Kind in Deutschland. Prozentual gesehen sind das etwa fünfeinhalb Prozent aller Studierenden. Zum Vergleich: In Norwegen sind es 21,7, in Schweden 16,6 Prozent.

Erfahren, dass sie schwanger ist, hat Jana damals kurz nach ihrem Sommerurlaub in Portugal. Dass ihre Periode ausblieb und sie sich ständig übergeben musste, schob sie zuerst auf die Hitze. Bis sie zurück nach Deutschland flog und dort einen Schwangerschaftstest machte: mit positivem Ergebnis. „Am Anfang habe ich nur geweint“, erinnert sie sich. „Aber dann hat mir mein Papa auf den Rücken geklopft und gesagt, dass das schon alles werden würde.“ Ob ein Schwangerschaftsabbruch je zur Debatte stand? Jana schüttelt den Kopf, ebenso Alexander. Familie sei ihnen beiden viel zu wichtig und wenn das Kind jetzt schon käme, dann sei das eben so. Auch wenn es natürlich früh sei, dass nach einem Jahr Beziehung schon ein Kind auf dem Weg ist.

„Ich dachte erst mal: Ach du Scheiße.“

Auch für Felix (26) und Monique (30), Studierende der Physik und Philosophie sowie sie der Psychologie und Eltern der viermonatealten Amelie, stand ein Schwangerschafts- oder Studienabbruch nicht zur Debatte. Wie das alles zu finanzieren und bewältigen sei, dafür schon eher. „Felix war unglaublich happy und ich dachte erstmal nur: Ach du Scheiße. Das Finanzielle, das Studium, auf was musst du alles achten, an was musst du denken – das alles ging mir durch den Kopf“, erinnert sich Monique. Die erste Hilfe haben sie sich deswegen erst mal beim Familienservice der Uni gesucht und nach dem dortigen Gespräch Tüten von Informationsmaterial und der Erkenntnis, dass es diverse Stellen gibt, die junge Eltern unterstützen, mit nach Hause getragen. So gibt es von der Katholischen Frauen- und Sozialhilfe beispielsweise Geld für die Erstausstattung sowie ab der Geburt des Kindes das obligatorische Kinder- und Elterngeld und in einigen Fällen kann sich sogar das BaföG erhöhen. Auch wenn die letztere Institution deutlich zeigt, dass sich die Probleme von Studierenden mit und ohne Kind manchmal nicht groß voneinander unterscheiden. Monique wartet wie so viele andere seit Ewigkeiten auf ihren (neuen) BaföG-Bescheid und lebt in der Zwischenzeit von ihren Ersparnissen.

Der Stundenplan ist ein farblogisches Meisterwerk

Für Jana und Alexander war die Entscheidung für Sophie und das Fortführen des Studiums weniger von finanziellen Engpässen als eher von einer Entscheidung für ein Leben im Spagat geprägt. Janas und Alexanders Stundenplan ist durchgetaktet und ein farblogisches Meisterwerk. Wenn Alexander aus der Vorlesung kommt, übergibt Jana ihm die Kleine, damit sie selbst in die Vorlesung kann. Alexander geht dann mit Sophie essen, spazieren oder spielen und wartet bis Janas Seminar fertig ist, damit sie wieder übernehmen kann und er es selbst in seine nächste Vorlesung schafft. „Schlaf ist eine knappe Ressource“, erzählt Jana. Und Alexander ergänzt: „Vor allem die Klausurenphase ist stressig und geht an die Nieren.“

Hilfe bekommen die beiden in solchen Momenten von ihrer großen Familie. „In der Klausurenphase verbringt Sophie dann schon mal ein paar Tage länger bei den Großeltern“, sagt Alexander, und man wird das Gefühl nicht los, dass er sich dabei ein bisschen schuldig fühlt. Doch der Stress lohne sich, vergewissern die beiden. Zielstrebiger und ehrgeiziger seien sie geworden. „Man ist eben kein klassischer Student mehr, aber wir wissen nun auch wofür wir das alles machen“, bilanzieren sie einstimmig. Auch die Vorstellung der späteren Berufswahl sei deutlicher geworden. Dass sie Karriere und Kind unter einen Hut bringen müssen, wüssten sie ja jetzt schon. Vor allem auch, weil sie beide arbeiten möchten. Und Sophie wäre beim Berufseinstieg auch immerhin schon „aus dem Gröbsten raus“.

Eine junge Mutter verdient Bewunderung

Ingrid Hofmann, Chefin einer Zeitarbeitsfirma und Präsidiumsmitglied im Bund der Deutschen Arbeitgeber, erzählte SPIEGEL ONLINE sogar: „Eine Berufsanfängerin, die schon ein Kind hat, zeigt, dass sie taff ist und gut organisieren kann. Ich würde für sie eine gewisse Bewunderung empfinden.“ Inwiefern sich diese Aussage auf den gesamten Arbeitsmarkt übertragen lässt, steht dabei natürlich auf einem anderen Blatt. Dass jedoch die, wie es Felix ausdrückt „durch das Kind vermehrte Strukturiertheit des Lebens“ einen positiven Einfluss auf die spätere Berufsplanung hat, kann sicher nicht ausgeschlossen werden.

Sowieso sind sich die beiden Paare einig, dass sich ihr Leben durch Sophie und Amelie nur bereichert hat. Und im Besonderen die beiden Papas erachten es als unglaublich positiv, dass ihnen das Studium und die dortige freiere Zeiteinteilung sehr viel Zeit mit ihren Kindern schenkt. „Ich habe einfach viel mehr von Sophie, weil ich nicht wie andere Väter von acht bis fünf arbeiten muss“, sagt Alexander und auch Felix erzählt davon, dass er es genießt, das komplette Aufwachsen seiner Tochter im Team mit Monique mitzuerleben. Und nicht nur als Zuschauer. Zufrieden sind sie also beide, mit ihrer Situation und ihrer Entscheidung. Trotz Bolognastress und trotz den Finanzierungssalti, die bewältigt werden müssen. „Kinderkriegen ist und bleibt eben eine individuelle Entscheidung, egal in welchem Alter man ist“, sagt Alexander und Jana ergänzt:„Man muss schon die Zähne zusammenbeißen, aber wenn Sophie so auf meinem Arm einschläft, dann merkt man einfach, dass es ein Wunder ist, ein Kind zu haben. Und Kinderlachen entschuldigt sowieso alles.“

 * Die Namen von Jana und Alexander wurden in diesem Artikel auf ihren Wunsch geändert.

FOTO: Louish Pixel auf flickr.com, CC-Lizenz.