Abstimmung und Debatte über das Jugendwort des Jahres

Abstimmung und Debatte über das Jugendwort des Jahres

Bild: H. Benner

Aura, Talahon oder Schere – Welches davon wird Jugendwort des Jahres? Darüber kann noch bis zum 8. Oktober online abgestimmt werden. Schon vor Monaten hat der Langenscheidt-Verlag, der die Wahl organisiert, Vorschläge gesammelt und eine Top 10 gebildet. Daraus haben es die drei genannten Begriffe durch ein erstes Voting in die Endauswahl geschafft. Die Bekanntgabe des Jugendwortes 2024 erfolgt wie im vergangenen Jahr vor einem Publikum auf der Frankfurter Buchmesse am 19. Oktober.

Debatte um „Talahon“

Schere kommt aus der Gaming-Szene und drückt ein Schuldeingeständnis aus. Aura bezieht sich auf die Ausstrahlung oder das Charisma einer Person und wird oft scherzhaft verwendet. Doch am meisten wird wohl über den Begriff „Talahon“ diskutiert. Er kommt aus dem Arabischen und bedeutet dort so viel wie „Komm her!“ In seiner neuen Form beschreibt er dem Klischee zufolge migrantisch gelesene, junge Männer, die mit (gefälschten) Luxusklamotten, Bauchtasche und Goldkette durch Großstädte laufen und sich wichtig machen. Sie seien frauenfeindlich, patriarchisch und gewaltverherrlichend. Befeuert durch TikTok und den Song „Verknallt in einen Talahon“, der es als erster KI-generierter Song in die deutschen Single-Charts geschafft hat, steht der umstrittene Begriff nun in der Endauswahl.

Die Bezeichnung wird als abwertend, rassistisch und klassistisch kritisiert und bediene das Narrativ des gefährlichen, muslimischen Mannes. Rechtsextreme springen auf den Trend auf, nutzen „Talahon“ als Kampfbegriff und schaffen ein neues Feindbild. Die Nominierung zum Jugendwort des Jahres kritisiert etwa Silke Müller, Digitalbeauftragte Niedersachsens und Schulleiterin. In ihren Augen ist der Begriff demütigend, demokratiegefährdend und damit kein geeignetes Jugendwort: „Ich will das nicht überbewerten, aber das zum Jugendwort zu machen und damit noch mehr eine Gesellschaftsfähigkeit zu geben, halte ich für ganz fatal.“

Ein Produkt seiner Zeit

Die Wahl eines Jugendworts des Jahres gibt es seit 2008. Im Jahr 2019 fiel die sie wegen der Übernahme des Verlags aus, seit dem darauffolgenden Jahr kann sich jede*r an der Wahl beteiligen. Das Jugendwort des Jahres erhält eine zuvor nicht gekannte Aufmerksamkeit, seitdem tagesschau-Sprecherin Susanne Daubner erstmals die zur Wahl stehenden Wörter vorgetragen hat und damit viral ging.

Der tatsächliche Gebrauch der Jugendwörter war besonders in den ersten Jahren mitunter fraglich. Doch einige der jüngeren Begriffe sind im heutigen Sprachgebrauch – teilweise über Generationen hinweg – sehr etabliert oder waren es zumindest zu der jeweiligen Zeit. Wie so vieles sind sie Produkte ihrer Zeit, was sich etwa an ‚Babo‘, dem Jugendwort 2013 zeigt. Es wurde durch einen Song von Haftbefehl aus demselben Jahr populär.

Würdigung der sprachlichen Kreativität

Die Jugendwort-Wahl solle die sprachliche Kreativität der jungen Generation würdigen und ein authentisches Bild der aktuellen Jugendsprache vermitteln, erklärt Langenscheidt. Um sicherzustellen, dass die Abbildung der Jugendsprache tatsächlich der Realität entspricht, würden Vorschläge aus der Online-Community und sozialen Medien einbezogen. Bei der Wahl werden nur Stimmen und Vorschläge berücksichtigt, die von Jugendlichen im Alter von 11 bis 20 Jahren kommen – basierend auf einer freiwilligen Selbstangabe. Wie der Verlag auf Anfrage mitteilt, habe die Beteiligung in den vergangenen Jahren stetig zugenommen. Die Einreichungen lägen 2024 im sechsstelligen Bereich. Die häufigsten Vorschläge werden von einem anonymen Gremium geprüft. Nicht zugelassen werden dem Verlag zufolge diskriminierende, beleidigende und sexistische Begriffe. Auch Wörter, die nur in spezifischen Gruppen vorkommen, schaffen es nicht in die Auswahl.

Die Jugendworte des Jahres

  • 2023: goofy (tollpatschige, alberne Person oder Verhaltensweise)
  • 2022: smash (mit jemandem etwas anfangen)
  • 2021: cringe (peinlich, zum Fremdschämen)
  • 2020: lost (ahnungslos, verwirrt)
  • 2019: kein Jugendwort
  • 2018: Ehrenmann/Ehrenfrau (guter Mensch)
  • 2017: I bims (Ich bin’s)
  • 2016: fly sein (besonders abgehen)
  • 2015: Smombie (Person, die beim Gehen immer aufs Handy schaut und nichts mitbekommt)
  • 2014: Läuft bei dir (Gut gemacht! Cool!)
  • 2013: Babo (Boss)
  • 2012: YOLO (Aufforderung, Chancen zu nutzen oder Risiken einzugehen)
  • 2011: Swag (lässig-coole Ausstrahlung)
  • 2010: Niveaulimbo (sinnlose Gespräche, bei denen das Niveau stetig sinkt)
  • 2009: hartzen (sinnlos herumhängen)
  • 2008: Gammelfleischparty (Ü30-Party)

(Lektoriert von hab und lurs.)

Macht es wie Felix Lobrecht: studiert Politikwissenschaften in Marburg.
22 Jahre alt, seit Anfang 2024 bei PHILIPP und seit November Teil der Chefredaktion

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