Zwischen Flunkyball und Philosophie

Zwischen Flunkyball und Philosophie

Bild: Luma Klein Spindola

Ein Liebesbrief an die märchenhafte Mini-Stadt, in der alles begann – und irgendwie auch alles wieder zu Ende ging.

„Marburg ist schön – aber drei Jahre reichen dann auch.“ Diesen Satz hört man oft. Ich habe ihn nie verstanden. Bis ich drei Jahre da war.

Marburg ist eine Stadt mit Grenzen. Nicht nur geografisch – sondern auch emotional. Selbstverwirklichung? Schwierig. Vielleicht beim Flunkyball. Das kann ich wirklich gut nach drei Jahren. Vielleicht in der Küche nach der Vorlesung, wenn man stundenlang über Utopien redet, die man dann aber nie ganz zu Ende denkt. Vielleicht auch einfach nur beim Streichen des WG-Flurs. In lila mit Glitzer und Rihanna.

Ich habe Medien studiert. Theoretisch. Praktisch war ich vor allem damit beschäftigt, mich selbst zu finden und dann direkt wieder zu verlieren. Und dann wieder zu suchen. Die Suche endete dann immer in der PhilFak – dem schönsten Quartier aller, die sich selbst (noch) nicht zu ernst nehmen. Oder einfach nicht wissen, wie. Hier sitzen sie: die Denkenden und die „Ich-wechsel-doch-nochmal-den-Studiengang“-Typen. Hier kann man sich verlieren zwischen Feminismus, Kapitalismuskritik und Langeweile. Und auch wenn man das erst im Nachhinein spürt: Hier fühlt man sich zum ersten Mal ernst genommen – obwohl man eigentlich gar nichts weiß.

„Marburg ist immer so grau“, haben alle immer gesagt. Ich habe darüber gelacht. Bis alles grau war. Innen wie außen. Marburg spiegelt einen. Wenn du happy bist, funkelt es. Wenn du lost bist, verschluckt es dich. Es stellt dir keine tausend Optionen zur Verfügung wie Berlin oder Köln. Und genau deshalb ist es manchmal gnadenlos ehrlich. Denn Marburg zeigt dir nicht, wer du sein kannst. Es sagt eher: „Du bist einfach du“. Und plötzlich stehst du da – zwischen all den anderen, die auch nicht wissen, wer sie eigentlich sind.

Wir wollen dazugehören. Aber nicht zu sehr.

Wir wollen Freiheit. Aber nicht zu viele Möglichkeiten.

Wir wollen erwachsen werden. Aber nicht endgültig.

Marburg lässt uns einfach mit den Widersprüchen zurück. Es drängt nicht, enttäuscht nicht. Es ist einfach da. Mit der Lahn, mit dem Schloss. Mit dem grauen Himmel, der manchmal doch rosa wurde. Und mit dem Typ, der dir jetzt schon zum dritten Mal auf der Straße entgegenkommt.

Zuerst habe ich am Ortenberg gewohnt. Viel zu weit weg – ganze zehn Minuten zur Uni. Dann in der Biegenstraße: feuchte Wände, offene Türen, offene Gespräch. Bloß nicht zu allein fühlen, so wie ich das liebe. Wie ich es brauche. Jetzt wohne ich in einer Großstadt, habe unendlich viele Möglichkeiten – eigentlich. Ich habe jetzt Kioske, die auch noch nach 0 Uhr geöffnet sind. Clubs, die nicht jeden kennen. Ich sehe nicht mehr ständig die gleichen Leute und bin nicht mehr auf WG-Partys angewiesen, um endlich dazuzugehören. Es ist anonym, es ist aufregend. Und trotzdem denke ich oft an Marburg. An meine kleine Märchenstadt, die mich aufgefangen hat, als ich zu nichts gepasst habe. Und dann wünsche ich mir, dass ich im Rewe einfach mal wieder jemanden aus dem Seminar treffe. Nur um kurz zu nicken, vielleicht zu lächeln. Nur um zu wissen: Ich war da.

Marburg ist keine Stadt, in der man bleibt. Aber eine, die einem bleibt.

(Lektoriert von jub und jap.)

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