Sneak-Review #273: Kinderwunsch in einer Sci-Fi-Dystopie

Sneak-Review #273: Kinderwunsch in einer Sci-Fi-Dystopie

Bild: Laura Schiller

Mit The Assessment liefert Regisseurin Fleur Fortuné eine dystopische Vision, die so stilvoll inszeniert ist, dass sie sich tief ins Gedächtnis brennt – eine Mischung aus philosophischem Kammerspiel und psychologischem Thriller, in der Emotionen und Ethik aufeinanderprallen.

Wer darf ein Kind bekommen?

In einer vom Klimawandel gezeichneten Zukunft wurden alle Menschen zwecks Populationskontrolle durch Medikamente sterilisiert. Jedes Paar mit Kinderwunsch muss einen behördlichen Assessment-Prozess durchlaufen, um die Genehmigung zur Elternschaft zu erhalten. Der Film begleitet das Paar Mia (Elizabeth Olsen) und Aaryan (Himesh Patel), das sich diesem unbarmherzigen Test ihrer rätselhaften Prüferin Virginia (Alicia Vikander) unterzieht. Was als nüchterne Bewertung beginnt, entwickelt sich schnell zu einem psychologischen Höllentrip, in dem nicht nur die Beziehung der beiden, sondern auch ihre tiefsten Überzeugungen auf die Probe gestellt werden.

Explosive Beziehungen

Auf beeindruckende Weise trägt die Chemie zwischen Olsen, Patel und Vikander diesen Film. Besonders Alicia Vikander brilliert als emotionslose Prüferin Virginia, die sich immer wieder mit unheimlicher Präzision in das Leben des Paares Mia und Aaryan einfügt. Nach einem anfänglich kalten Prozess schlüpft sie als Teil des Assessments in die Rolle eines Kleinkindes – eine Darbietung, die gleichzeitig urkomisch und zutiefst verstörend wirkt. Ihr Wechselspiel aus kindlicher Unschuld und kalter Berechnung sowie der starke Kontrast zwischen Machtposition und Schutzbedürftigkeit verleihen dem Film eine spürbare, unangenehme Spannung.

Die vor allem als Marvels „Scarlet Witch“ bekannte Olsen beeindruckt als naturverbundene Mia, deren Leben zwischen Botanik und Selbstbestimmung schwebt. Ihre Erdverbundenheit steht im Kontrast zur klinischen Sterilität des Assessments. Wie eine Pflanze ist sie sowohl verletzlich als auch über sich hinauswachsend. Obwohl sie noch keine Mutter ist, fühlt sie bereits so intensiv wie eine und lässt das Publikum daran teilhaben.

Auch der aus Tenet bekannte Patel überzeugt als Aaryan, dessen stille, aber tief verwurzelte Verzweiflung nach und nach ans Licht tritt. Im Gegensatz zu seiner Frau ist seine Berufung sehr technischer Natur: So arbeitet er an haptischen Hologrammen. Auch zwischenmenschlich hält er gewisse Illusionen aufrecht, die nach und nach brechen.

Traum und Horror zugleich: Die Kindeserziehung

Der Film stellt die Frage nach der Belastbarkeit der Hauptfiguren. Kindererziehung ist anstrengend: Auch beste Vorbereitung kann einen nicht vor der Weigerung des Kindes zu essen, lautes Schreien, schlaflosen Nächten und dem Verlust jeglicher Zweisamkeit bewahren. Trotz aller Aufopferung ist nicht garantiert, dass man das Lieblingselternteil des Kindes wird. Vielleicht mag es einen gar nicht? Mias und Aaryans Geduld und Zusammenhalt wird dauerhaft herausgefordert.

Am Ende bleibt die Frage: Sind wir unseres eigenen Glückes Schmied, oder wird unser Schicksal für uns entschieden? Die Antworten, die der Film liefert, sind ebenso beunruhigend wie konsequent. Die Charaktere scheinen unaufhaltsam auf ihre jeweiligen Schicksale zuzusteuern – und gerade das macht die Auflösung so eindrucksvoll. The Assessment regt zum Nachdenken an und bleibt lange nach dem Abspann im Kopf.

Schicksal oder Entscheidung?

Eine große Stärke von The Assessment ist die Inszenierung. Die sterile, futuristische Umgebung unterstreicht die Kälte des Systems, während Regisseurin Fortuné mit Licht und Farben arbeitet, um Hoffnung und Bedrohung zugleich spürbar zu machen. Besonders beeindruckend ist die Art und Weise, wie sich die Gruppendynamik zwischen den drei Figuren verändert – mal subtil, mal erschütternd offensichtlich. Jede Entscheidung, jeder Blick hat Gewicht. Für einige kann die sehr künstlerische Gestaltung etwas zu sehr von den Gefühlen der Charaktere ablenken. Gerade das Ende wirkt etwas gehetzt, beinahe plötzlich und benötigt etwas Rück- und Weitsicht, um nicht völlig aus dem Nichts zu wirken.  

Eine Sneak, die spaltet

Die Meinungen im Kinosaal waren gespalten. Manche wirkten gebannt, andere sichtlich – und hörbar – verstört. Wer eine klassische Dystopie erwartet, wird womöglich enttäuscht sein – The Assessment setzt weniger auf spektakuläre Twists, als auf eine konsequente, schleichende Intensität. Wer sich darauf einlässt, wird mit einem eindrucksvollem Science-Fiction-Film belohnt. 70 Prozent der Sneak-Besucher waren schließlich zufrieden mit dem Ausflug in eine mögliche Zukunft.

Die US-amerikanisch-englisch-deutsche Co-Produktion startete am 3. April 2025 in den deutschen Kinos.

Zuletzt noch ein Content Warning: Der Film behandelt grafische sexualisierte Gewalt.

(Lektoriert von jap und ans.)

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