Marburg auf Standby: Vanessa in Spanien

Marburg auf Standby: Vanessa in Spanien

In unserer Reihe Marburg auf Standby berichten Marburger Studis von ihren Auslandsaufenthalten. Diesmal berichtet Vanessa von ihrem Auslandsemester in Valencia, ihren kulturellen und persönlichen Erfahrungen und den Hürden, denen sie begegnet ist.

Schockiert lese ich die Nachrichten. Über 200 Tote und zahlreiche Vermisste durch eine verheerende Flutkatastrophe in der Provinz Valencia. Ich kann meinen Augen kaum glauben und merke, wie mich die Bilder und Videos der Folgen treffen. Vor genau einem Jahr habe ich in Valencia gewohnt. Ein komisches Gefühl überkommt mich, wenn ich daran denke, dass es auch mir hätte so ergehen können. Trotz der erschreckenden Nachrichten bekomme ich Fernweh. Schon interessant, wie einen fünf Monate so prägen können.

Über Bewerbungen, Abwarten und sehr viel Organisation…

Ein Erasmus-Semester braucht sehr viel Vorlauf. Retrospektiv kommt mir der Prozess zunehmend intensiver vor. Beworben für einen Erasmus-Aufenthalt habe ich mich Anfang Januar 2023, die Zusage kam Ende Februar. Danach folgten sehr viele Fragen, die eine Antwort verlangten und mich erst einmal vor Herausforderungen, wie beispielsweise die WG-Suche,  stellten. Aber man wächst ja bekanntlich mit seinen Aufgaben.

Flüge wurden also gebucht, die Kaution für das bereits gefundene WG-Zimmer hatte ich überwiesen, jetzt konnte es langsam losgehen.

Allein in ein fremdes Land ziehen

Für mich war mein Auslandssemester ein Riesenschritt. Bis dahin hatte ich noch keinerlei Erfahrungen mit anderen Austauschprogrammen oder Solo-Auslandsreisen gemacht. Ich stellte mich mit dieser Entscheidung einer Angst: Allein in eine fremde Kultur eintauchen. Und das mit gebrochenen Sprachkenntnissen. Mit meinem eingerosteten Schulspanisch im Gepäck habe ich daher zwei Wochen vor Semesterbeginn einen Intensiv-Spanischkurs besucht. Allein dafür, dass ich dort eine meiner engsten Freundinnen kennenlernen sollte, hat sich dieser gelohnt!

Stadion, Strand, Trivia Nights, Ausflüge und WG-Abende

Einmal den Herbst ganz anders erleben: Während es in Deutschland immer kälter wurde, habe ich mich im November am Strand wiedergefunden und Beachvolleyball gespielt. Ein paar Tage später haben wir Halloween in kurzen Kleidern in einem Club unter freiem Himmel gefeiert.

In einer Großstadt gibt es immer etwas zu erleben. Im Stadion haben wir den FC Valencia fleißig angefeuert, jeden Dienstag haben wir uns als WG bei der Trivia Night im Irish Pub beweisen müssen und nicht nur einmal habe ich mich in Gemälden in Kunstmuseen verloren.

An den Wochenenden machten meine Mitbewohnerinnen und ich nicht selten Gruppenausflüge. So verschlug es uns zum Beispiel auf den Mirador de Carabiners in Calpe, von dem aus wir eine atemberaubende Aussicht genossen. Aber natürlich erst nach dem anstrengenden Hochklettern der Felsen – denn erst die Arbeit, dann das Vergnügen.

Als sich Weihnachten näherte, platzierten wir in unserer Wohnung einen Adventskalender, den wir uns schwesterlich teilten. Passend dazu, empfand ich es als meine Pflicht, meinen vier Mitbewohnerinnen – die alle aus verschiedenen Regionen Europas stammen – die Kultur des Lebkuchenhaus-Backens näher zu bringen.

Kulturelle Unterschiede zwischen Menschen aus Spanien und Deutschland

Die Herzlichkeit und Offenheit der Spanier*innen ist vermutlich den meisten bekannt. Ich war trotzdem überwältigt! Im Bus wurde man angesprochen, woher man kommen würde, es wurde sich lautstark (mit einer beachtlichen Geschwindigkeit) unterhalten oder telefoniert und der/die Busfahrer*in immer lächelnd mit einem obligatorischen „buenas“begrüßt. Auf mich schien es, als seien die meisten Spanier*innen Frohnaturen. Aber wie könnte man das nicht sein, mit 300 Sonnenstunden pro Jahr und einem Meer vor der Tür?!

Auch der Abend hat eine ganz andere Bedeutung als in der Heimat. In Spanien beginnt das Leben ab 20/21 Uhr. Dann ist es auch total normal, dass Kinder nach Mitternacht noch den Spielplatz auf der Straße unsicher machen, während ihre Eltern und deren Freund*innen tinto de verano schlürfen und sich dabei die unterschiedlichsten tapas genehmigen. Die Uhren ticken einfach gemächlicher. Zu spät kommen wird nicht so streng gewichtet, viermal am Tag gemeinsam essen gehen, ist die Norm und dabei wird immer viel und laut gelacht.

Ich habe Spanier*innen als durch und durch soziale Wesen kennengelernt. Schon früh morgens, als ich in die Uni gefahren bin, saßen mindestens drei ältere Herrschaften auf einer Bank am Straßenrand und haben entweder angeregt miteinander geredet oder es wurde nebeneinander Zeitung gelesen.

So gemütlich, wie sich das jetzt anhören mag, kann ich nicht verleugnen, dass mein deutsches Ich genau damit auch manchmal Probleme hatte. Keine einzige Party oder Abendveranstaltung zum Beispiel hat vor 22 Uhr angefangen, was meine Zugehörigkeit zum Club der Lerchen immer wieder herausgefordert hat. Der ungewohnte Lautstärkepegel der Spanier*innen ging mir manchmal auch auf die Nerven und die sehr soziale Art, die einige Spanier*innen mir gegenüber an den Tag legten, setze mich als introvertierte Person leider öfter unter Druck.

Familienbesuche

Zwischen Freizeit und Uni bekam ich dann Besuch von meiner Familie, die ich stolz in mein spanisches Leben eingeweiht und mit der ich die ein oder andere Paella verdrückt habe. Geht auch nicht anders – die Paella wurde schließlich in Valencia erfunden.

Zufällig lebte meine Schwester zu der Zeit in der Nähe von Madrid und konnte mir wiederum ihre Welt zeigen, sodass wir gemeinsam die Hauptstadt unsicher machten. Turrón, der weiße Nougat, wurde dabei auch ausgiebig verkostet. Ganz nach dem spanischen Motto „Barriga llena, corazón contento.“(zu deutsch: voller Magen, glückliches Herz).

Uni. Da war ja was…

Mein Studienfach, Geographie, gab’s dort leider nur auf Spanisch, weshalb ich noch zwei Nebenfachmodule in Psychologie auf Englisch belegt habe. Diese Entscheidung kam mir sehr zugute, denn mit den spanischen Modulen kam ich leider gar nicht zurecht. In meiner Freizeit habe ich sehr viel Englisch gesprochen, was der Tod für meine Spanischfähigkeiten war, sodass ich dem spanischen Stoff kaum folgen konnte. Zudem sind spanische Unis sehr schulisch aufgebaut. In jedem Modul mussten wir also wöchentliche Abgaben, Tests und Hausarbeiten vorzeigen, was für mich zu viel des Guten war.

Meine Erkenntnisse und Tipps für dich

  • Es ist ratsam einen entsprechenden Sprachkurs vor Beginn deines Auslandssemesters zu absolvieren.
  • In den seltensten Fällen vermischen sich die Gruppen der einheimischen Student*innen und der Erasmus-Student*innen, was manchmal schade war.
  • Du wirst in der Zeit danach sehr oft Fernweh haben, versprochen!
  • Wenn du – wie ich – mit anderen Europäer*innen zusammenlebst, wirst du die Gelegenheit bekommen, auch viel über weitere Kulturen zu lernen (meine Mitbewohneinnen und ich durften in den Genuss ungarischer Spirituosen kommen).
  • Trotz des warmen Wetters wirst du sehr viel frieren (die Häuser sind häufig miserabel gedämmt und es gibt oft keine Heizung im Zimmer; ich war dadurch zwei Monate dauererkältet).
  • Die Zeit im Ausland wird dich nachhaltig prägen.
  • Du wirst sehr über dich hinauswachsen.
  • Es werden Freundschaften fürs Leben entstehen.
  • Valencia ist eine wahnsinnig schöne Stadt!!

Auslandssemester (in Valencia), ja oder nein?

Trotz mancher schlechter Erfahrungen, die ich gemacht habe – definitiv ja! Ich konnte sehr viel über mich lernen und dass ich mich auf mich verlassen kann. Ich habe die unterschiedlichsten Menschen kennengelernt und durfte in eine Kultur eintauchen, die ich davor nur wage kannte.

Ausschließlich auf meine Erfahrungen an der Uni bezogen, muss ich leider sagen, dass ich mein Auslandssemester kein zweites Mal in Valencia machen würde. Das sehr schulische System und die Anwesenheitspflichten haben manchmal den Spaß genommen. Jedem, der ein Auslandssemester plant, kann ich persönlich nur ans Herz legen, die Sprache im Vorfeld zu lernen,  weil man sich dann einfach im täglichen Leben integrierter fühlt.

Valencia hat dennoch mein Herz gewonnen und manchmal sitze ich in der Bib und tagträume davon, wie ich die mit Orangenbäumen gesäumten Straßen entlang schlendere und bilde mir ein, in der Ferne das Meer rauschen zu hören.


Alle bisher erschienen Teile der Marburg auf Standby-Reihe findet ihr hier.

(Lektoriert von jub und jap.)

ist 2001 in München geboren und studiert Geographie im Bachelor.
Seit Oktober 24 ist sie bei PHILIPP dabei.

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