Endgegner*in: Justizprüfungsamt – Panne im zweiten Staatsexamen
Bild: Annabell Sent
Wenn dir das Leben Zitronen gibt, gibt dir die wacklige Internetverbindung oder die Drehtür in der Bib vielleicht noch den Rest – in dieser Reihe schreiben wir über die Endgegner*innen des Unialltags, also Dinge, die Studis an den Rand der Verzweiflung bringen.
Das altbekannte Schreckgespenst zieht wieder seine Runden durch die juristischen Fakultäten – das Justizprüfungsamt (JPA).
Panne bei Staatsexamen-Klausur
Als ich am Freitag vorletzter Woche Instagram öffnete, ereilte mich direkt ein Screenshot eines Instagram-Chats, in dem ein Rechtsreferendar einer Jura-Memepage (@jura.examina) mitteilt, dass die vierte Klausur des zweiten juristischen Staatsexamens in Hessen abgebrochen werden musste. Es wurden versehentlich drei Seiten Musterlösung mit in die Klausur gedruckt.
Die Konsequenz: Die Klausur musste wiederholt werden. Angesetzt hatte das JPA dafür den Mittwoch der darauffolgenden Woche. Dabei handelt es sich jedoch um einen sogenannten Ruhetag, an dem keine Prüfungen geschrieben werden sollen. Diese existieren explizit, um zu viele Prüfungen hintereinander zu vermeiden. Die Prüflinge sollten nun aber fünf fünfstündige Klausuren in fünf Tagen schreiben.
Gegen den Beschluss legten knapp 150 der 172 Referendare einzeln per Mail und Brief Beschwerde ein. Erfolglos. Als Kompromiss wurde an den Klausurtagen von Mittwoch bis Freitag die Schreibzeit um 30 Minuten verlängert.
Mit Ruhetagen nehmen es die Justizprüfungsämter generell nicht so genau. In Bayern gibt es im ersten Examen sowieso keine und Baden-Württemberg hat bereits einen von insgesamt zwei Ruhetagen gestrichen, der verbleibende soll in Zukunft auch wegfallen. Es steht im Raum, sie bundesweit zu streichen.
Kein Wunder, dass Sehnenscheidenentzündungen als Juristenkrankheit gelten. Armschienen und Paracetamol sind in den Prüfungsräumen wohl eher die Regel als die Ausnahme.
Halbgare Entschuldigung
Wer denkt, an dieser Stelle wäre eine Entschuldigung angebracht, liegt falsch. Öffentlich äußert das JPA Hessen lediglich ein “großes Bedauern”. In der Ladung für den neuen Prüfungstag ist der Satz, man wisse, dass es sich beim Examen um eine “belastende und stressreiche Situation” handelt, das höchste der Gefühle.
Zumindest am Prüfungsstandort Frankfurt hat sich am Montagmorgen ein Mitarbeiter des JPA I direkt bei den Prüflingen entschuldigt. Das JPA I ist allerdings nur für das erste Staatsexamen verantwortlich. Vom JPA II, das für das zweite Examen zuständig ist, hörte man nichts. Ob man das jetzt als offizielle Entschuldigung durchgehen lässt, ist wohl den Betroffenen selbst überlassen.
Die Noten der beiden Staatsexamina haben erhebliche Auswirkungen auf den weiteren Berufsweg. Das Qualitätsmerkmal “Prädikat” (Examensnote ab 9 Punkten) ist in vielen Berufen ein festes Einstellungskriterium. Ob einem das Bedauern des JPA noch viel bedeutet, wenn man verständlicherweise schlechter abschneidet? Die minimale Schreibzeitverlängerung, die den Vorfall ausgleichen soll, ist ein trauriger Brotkrümel, wenn man bedenkt, was das Examen schon unter normalen Umständen eine enorme körperliche und psychische Belastung darstellt.
Prüft man in diesem Format wirklich noch eine juristische Leistung oder doch nur reine Leidensfähigkeit?
Nicht der erste Vorfall
Mit dieser apathischen Haltung wurden schon einige Pannen in Examensdurchgängen abmoderiert und von diesen gibt es bundesweit einige. Sie reichen von falsch angegeben Prüfungsorten bis zum Fortsetzen einer Klausur, obwohl ein Prüfling kollabierte. Jurios.de hat netterweise einige Fälle auf ihrer Website aufgelistet. Erschreckend ist, wie viele es sind.
Ironisch ist zudem, dass sich das JPA Hessen erst wenige Wochen zuvor beschwerte, Prüflinge verursachten zu viel Verwaltungsaufwand durch zurückgezogene Anmeldungen. Offensichtlich ist an der Überforderung des JPA wirklich etwas Wahres dran. Ob das jedoch an den Prüflingen liegt? Fraglich.
Betroffene klagen deshalb vor allem an, dass von ihnen unmenschliche Perfektion erwartet wird, während sich die Prüfungsämter ohne Konsequenzen einen Fehler nach dem nächsten leisten dürfen. Gerade das JPA Hessen hat sich in den vergangenen Jahren nicht gerade mit Ruhm bekleckert.
Kritik kommt auch aus der Politik
Die Ironie dahinter sieht auch Marion Schardt-Sauer, die rechtspolitische Sprecherin der FDP im Hessischen Landtag: “Während von den Prüflingen Höchstleistungen erwartet werden, unterlief dem Justizprüfungsamt Hessen ein schwerwiegender Fehler.”
Ein Betroffener äußert sich in der Kommentarspalte eines Jurios-Beitrags auf Instagram. Er nennt das JPA Hessen den “bundesweit größten Luftpumpenverein”. Der Kommentar hat zurecht 136 Likes.
Fragwürdiger Umgang mit dem Nachwuchs
Die grundlegende Einstellung, die die Justizprüfungsämter gegenüber Studierenden haben, sollte wohl bereits im Juli dieses Jahres klar geworden sein, als eine interne Liste des JPA Hamm veröffentlicht wurde. Die Liste der Prüflinge, die durch den schriftlichen Teil des ersten Staatsexamens durchgefallen sind, wurde unter dem Titel “Blockversager” geführt.
Gleichzeitig klagen die Justizministerien lauthals über Personalmangel in der Justiz. Ist das wirklich überraschend, wenn man so mit seinem Nachwuchs umgeht?
Das Problem ist hausgemacht und wird nicht dadurch gelöst, die Notenanforderungen für Richter*innen und Staatsanwält*innen herunterzusetzen. Wenn man als Student*in und Referendar*in so drangsaliert wird, wer möchte dann noch für die Justiz arbeiten?
Möchte man neue Jurist*innen in den Staatsdienst locken, sollte man sich als Teil des Justizwesens eigene Fehler eingestehen und sich allgemein etwas menschenfreundlicher zeigen.
Es wird immer offensichtlicher, dass das Problem der Juristenausbildung nicht allein in den formellen Ausbildungsstrukturen liegt, sondern viel tiefer geht. Das neueste Versagen des JPA in diesem Examensdurchgang ist dabei nur ein Symptom, aber nicht das Problem selbst.
Allein, dass sich Professor*innen wohl fühlen, in der Öffentlichkeit Studierende, die den Bachelor of Laws anstreben, weil sie aus irgendeinem Grund das Examen nicht bestanden haben, als “Loser” mit einem “Loser-Abschluss” zu bezeichnen, spricht Bände über das Menschenbild der juristischen Fakultäten und Prüfungsämter.
Vielleicht sollte die gesamte juristische Welt endlich von dem Bild der “Gewinner” und “Verlierer” wegkommen.
Kleine Anzeichen der Besserung?
Bereitschaft zur Veränderung zeigt zumindest das Justizministerium Baden-Württemberg. In einer Umfrage können Jurastudierende in einem freien Text ausführen, welche Kritik sie am Ausbildungssystem haben und welche Verbesserungen sie einbringen würden. Zumindest ein erster Schritt in die richtige Richtung; vielleicht auch ein kleines Schuldeingeständnis?
Ob die Kritik auf Gehör trifft oder doch wieder als studentisches “Mimimi” abgetan wird, wird sich zeigen.