Credibil: „Gutes zieht Gutes an“

Credibil: „Gutes zieht Gutes an“

Nur wenige haben mit 21 einen Plan fürs Leben – noch weniger leben schon diesen Plan. Einer der das tut, ist Rapper Credibil. Und über dieses Leben, das einst in Marburg begann, hat er mit PHILIPP gesprochen.

Es ist kalt geworden. Und nass. Die Tage werden kürzer, die Nächte werden länger. Die sonntägliche Alkoholintoxikation mit genügend Elektrolyte bekämpft, trete ich die Heimreise aus Frankfurt an, wo ich bis in den frühen Morgen monogamstes Barhopping mit einer ebenfalls frisch erreichten dreier Dekade, die Marburg berufs- und lebensbejahend vor einiger Zeit verlassen hat, betrieben habe. Zug nach Marburg erwischt, Burger in den Schlund geschmissen, Musik an: Es ist nicht das erste Mal, dass mich mein Player mit Credibil tapfer beschallt und meine stummen Lippenbewegungen, die den Takt mittlerweile prätentiös treffen, werden sicherlich nicht final mit einer Mischung aus Fremdscham und Belustigung der Umsitzenden beobachtet. Ist mir egal, ich komme aus Marburg, das ist ja quasi ein Freifahrtschein dafür, als gestandene Verrückte durch die Gegend zu schippern.

Erste Schritte

Als das Laub vor kurzem begonnen hat, sich in tiefrote und senfgelbe Blätter zu transformieren, als wir alle einsehen mussten, dass sich jetzt die regenresistente Klamotte wieder einen Platz an vorderster Front im Schrank zurückerkämpft hat, ja da schmeißt Credibil Renæssance auf den Markt. Es ist das Album-Debüt des Rappers, der in unserer beschaulichen Stadt das Licht der Welt erblickte. Und am Abend sind wir verabredet, um ein bisschen über das zu plaudern, was passiert ist in den letzten 21 Jahren seines Lebens. Der geplante Auftritt als rekonstruierte Concealer-Perfektion vor der Webcam fällt flach – Video-Telefonie ist auch Mitte November 2015 noch ein Zufallsprodukt, das sich in diesem Moment als Mythos der grenzenlosen Möglichkeiten in Sachen digitaler Kommunikation erweist. Meine Augenringe sagen heimlich Dankeschön. Egal, dann telefonieren wir eben. Erol erweist sich als empathischer Gegenüber, „Ich war auch gestern in Frankfurt feiern, bisschen mit den Jungs los“. Die Augenhöhe ist geklärt, „du kannst mich alles fragen, was du willst, schieß los“.

Credibil wurde als Erol Peker im Diakonie-Krankenhaus in Wehrda geboren. „Kennst du dich ein bisschen aus in Marburg?“, fragt er mich und ich muss gestehen, dass ich nach bisher siebenjährigem Aufenthalt besser funktioniere als google-Streetview. „Was machst du denn in Marburg? Studierst du da? Was denn?“. Nach Klärung der harten Fakten und der Betonung, dass ich gewillt bin, mit der baldigen Abgabe meiner BA-Arbeit wirklich den Absprung aus PhilFak und Hülsenhaus zu schaffen, ist das nötige Vertrauen aufgebaut, das Gespräch knapp 60 Minuten fortzusetzen. Wer Renæssance schon kennt, muss keine Stalking-Skills beweisen, um zu wissen, wo Credibil aufgewachsen ist: „Vergesse nie die Parkbank, Rollwiesenweg, An der Schanze die 7…“ Der erste Teil des Albums ist Kindheit und Jugend gewidmet. Mit neun Jahren erklärt Erol seiner Mutter auf dem Beifahrersitz, dass er Rapper werden will. Andere Eltern hätten vermutlich genauso bejahend gelächelt, wie bei der klassischen Verkündung ins monarchische Business einsteigen zu wollen, aber Erol erinnert sich an den Mut, den seine Mutter ihm gemacht hat: „Mach doch“. Sie meint es ernst in dem Moment.

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Aus Theorie des Broterwerbs wird schnell Praxis; noch als Kind beginnt Erol zu texten und sich beim Rappen anzuschließen. Er nennt es heute als eine der wichtigsten Einflüsse: „Die anderen haben mich mitmachen lassen und mich ermutigt, selber zu rappen. Vor ihnen“. Die Gehemmtheit, die zumindestens mich schon im Deutschunterricht beim Aufsagen eines selbstgeschriebenen Vierzeilers haben zur sonnengereiften Tomate werden lassen, scheint im Leben Credibils wohl nicht existiert zu haben. Es klingt auch so, als sei hier weniger von Konkurrenz die Rede, als von einem kollegialen Miteinander: „Marburg bedeutet im nachhinein für mich, dass ich da ein Gefühl für Hip Hop entwickelt habe“. Der erste Erfolg lässt nicht lange auf sich warten, bei einem Wettbewerb auf der Afföller-Kerb schlägt seine Crew alle anderen Kandidat*innen. Monetärer Gewinn sind 50 Euro. Geteilt durch drei. Credibil erzählt noch heute gerne davon und ist immer noch etwas stolz. Schon Heinz Strunck prophezeite: „good times are better times“. Erols gute Zeiten standen in den Startlöchern. Er traf sich fortan regelmäßig mit seinen Leuten, schrieb zuhause und performte in verschiedenen Crews.

Von Marburg nach Frankfurt

Ein einschneidendes Erlebnis ist die Scheidung seiner Eltern; die Hochzeit von Marburg aus arrangiert, die Mutter ohne Sprachkenntnisse aus der Türkei hergeholt, eine Ehe, die noch vor der Unterschrift eigentlich zum Scheitern verurteilt war. Seine Mutter kämpft. Sie macht eine Ausbildung und arbeitet hart, hat zwei Kinder zu versorgen, denen sie immer ein gutes Vorbild ist und ein Anker zu sein scheint. Sie zieht mit den Jungs nach Frankfurt, vom Vater hört Erol so gut wie gar nichts mehr und das schmerzt. In einem Interview erzählt er vom nicht existenten Verhältnis des Vaters, der seine Musik zwar irgendwie gut findet, aber der Sohn doch bitte die Nutzung von unanständigen Ausdrücken unterlassen möge. Zum Beweis schiebt er eine CD ein. Es läuft Bushido. Ob er lachen oder weinen soll ist eine nahezu unmögliche Entscheidung, mit dem Track „Augenblick“ schließt Credibil seine Selbsttherapie zur Rolle des Vaters in seinem Leben formell ab. Es ist eine Klageschrift, beim Zuhören wird die Hand zu einer Faust, die in die Fläche gebohrten Fingernägel lassen die Hand fast bluten.

Erol will nicht werden wie sein Vater und beginnt in Frankfurt langsam mit der Transformation zu Credibil, dem Superhelden, den er wie eine Schutzhülle trägt, damit er Vorbild ist und Nachahmungswert hat. „Im Superhelden Credibil fallen alle schlechten Eigenschaften von Erol weg“, die Erklärung der Figur erscheint wie ein Auftrag, frisch kreiert für eine wiedergeborene Auflage aus der Marvel-Collection. In Frankfurt angekommen, lernt er die Idylle Mittelhessens zu schätzen: „Klar war ich überfordert, ich kam in eine neue Stadt und das mitten im Schuljahr. Ich hätte auch abrutschen können.“ Die Familie zieht nach Bockenheim*, es mag leger erscheinen, in Haute Couture durch die als hip gewordene Kaiserstraße zu stiefeln, aber eigentlich ist es da traurig und eigentlich ist es beschämend, sich am Lifestyle derer zu ergötzen, die nur noch diesen Rückzugsort hatten. Zum Schlafen, zum essen, zum hauen, zum spritzen. Dass es rund um den von Oberleitungen geführten Platz gefährlich ist, lernt Erol schnell. Seine Mutter hat einen neuen Mann an ihrer Seite, der den Lebensunterhalt der Familie absichert. Nur passiert das nicht immer auf legalem Weg und die Besuche vor der Haustür sind eben nicht immer von Leuten, die dem Stiefvater wohlgesonnen sind. Schuldzuweisung? Enttäuschung darüber? Nein, Erol weiß, für wen der Mann das alles in Kauf genommen hat, „er hat es einfach gemacht, um die Familie zu sichern, die Miete zu zahlen“.

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„Ich will nur hören ob du dich erinnerst/ Ans Kinderzimmer, wie du sagtest für immer, immer/ Doch immer immer hält offenbar nur hin und wieder/ Nur hin und wieder/ Zurück gab es keinen Weg/ Ich hoff, dass wir uns nie wieder sehen“ (Augenblick)

Back to business

Das Rappen vergisst Erol trotz aller Umstände nicht. Seine Musik nimmt er auf und geht unbekümmert auf Leute zu, drückt ihnen die Kopfhörer in die Hand und bittet sie „mal reinzuhören“. So baut Credibil sein Netzwerk auf, kommt an in der Stadt, die er Jahre später als „die schönste Hässlichste im Land“ bezeichnen wird. Er glaubt daran, dass Gutes immer Gutes anzieht. Und irgendwann wird Erol zu seinem Alter Ego, löst sein Versprechen seinem 9jährigen „Ich“ gegenüber ein und weiß, dass er Renæssance rausbringen muss. Anfragen von Labels sind da, von mangelndem Interesse ihn zu produzieren wird Credibil nichts wissen, er ist schon vor seinem Album-Debüt als Ausnahmetalent und Hoffnung enttarnt worden, das Album leitet Kool Savas via Mitschnitt mit lobenden Worten auf einem Konzert ein. Und trotzdem gründet er ruft er das Label Traumfænger ins Leben, eine Idee, die er spontan bekam: „Der Begriff kam so aus dem nichts und ich fand ihn schön, deswegen wollte ich den Namen.“ Was es für Credibil bedeutet, sein eigener Chef zu sein? „Ich will alle Entscheidungen selber treffen, wann ich was, wo und wie mache. Das ist mir wichtig, denn ich brauche grad meine eigene Souveränität. Traumfænger ist mehr als nur ein Labelcode, es geht da schon in Richtung Familie irgendwie“. Für Renæssance hat er sich im Dezember letzten Jahres hingesetzt, ein Konzept erarbeitet und losgelegt. Im Februar waren die Songs geschrieben und im Juni war alles fertig. Was folgte war ein wenig Promo und der Einstieg in die Charts – der Rest ist bekannt.

Credibil ist viel unterwegs. Ob er sich das so vorgestellt habe, will ich wissen. „Ja. Ich war mir immer darüber im Klaren, was passieren wird und wie anstrengend das sein wird. Aber genauso hab ich mir das ausgesucht. Ich will, dass noch in zehn Jahren über mein Album geredet wird“. „Soll es sich quasi selber in Stein meißeln?“ „Ja“, sagt er und ich glaube fest, dass er dabei lächelt, es hört sich irgendwie so an. Und was ist mit Marburg? Hat er das kleine Städtchen schon vergessen? Mitnichten! „Ich bin so oft es geht da und besuche meinen besten Freund, viele andere Kontakte hab ich nicht mehr da, seitdem ich nach Frankfurt gegangen bin. Aber wenn ich da bin, unternehmen wir viel.“ Eine Art Stadt-Kontroll-Fahrt unternehmen die beiden dann, immer geht’s an der alten Wohnung vorbei, ein bisschen durch den Richtsberg und dann in die Stadt. „Kennst du da hinten die Straße zur E-Kirche? Da ist so ne Shisha-Bar, Diamonds, da gehen wir eigentlich immer hin. Und Tee trinken da oben beim Aufzug, Desba oder wie das heißt.“ Ja, kenn ich. Obwohl diese Distanz da ist, ist die Bindung noch vorhanden und das ist ihm auch wichtig: „Ich gucke einfach ob die Stadt noch so ist, wie ich sie hinterlassen habe“. Als Kind war er kurzfristig im Kinder- und Jugendparlament und hat sich als politische Forderung einen „schönen Bolzplatz um die Ecke gewünscht“. „Hast du ihn bekommen“? Erol muss lachen: „Nein. Das war auch alles nur ein reines Prestige-Projekt mit Presse und so. Beim zweiten Mal war da keiner mehr“. Schade.

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Politik, vor allem Jugendpolitik sei ihm wichtig, da sehe er grundsätzlich was schief laufen. Vertiefen können wir das nicht. Wir sind beide noch verkatert und telefonieren schon eine Stunde, Erol muss am nächsten Tag früh aufstehen und nach Berlin. Was ihn glücklich macht, will ich noch wissen und erhoffe mir heimlich einen handfesten Tipp, den ich tatsächlich auch bekomme: „Wenn ich mal schlecht drauf bin, gucke ich mir Corgis an, es gibt da so eine Seite bei Facebook von einem, Loki. Da fang ich sofort an zu lächeln, wenn ich den sehe. Wenn ich mal irgendwann ein geregelteres Leben hab, dann hol ich mir als erstes einen Hund“. Ich verstehe das und werde nach der nächsten Formatierungswelle Corgis googlen, bevor ich was kaputtmache. Ich bitte ihn, ein letztes Wort an Marburg zu richten, bevor wir auflegen. Dass Credibil keine kleinen Brötchen backen will, hat er deutlich gemacht und gibt deswegen auch zum Abschied ein Versprechen: „Warst du schon mal da oben im Schlossgarten? Da wo das Kino ist? Das will ich vollmachen, einmal da ausverkauft vor Publikum stehen. Kommst du vorbei?“ „Klar!“

ÜBRIGENS Das Album Renæssance wurde am 23.10.2015 veröffentlicht und stieg auf Platz 29 der Charts ein. Eine Tour ist fürs Frühjahr 2016 geplant.

FOTOS: Erol Peker

*von der Redaktion berichtigt.

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