Sneak-Review #268: Dem Terror eine Bühne geben

Sneak-Review #268: Dem Terror eine Bühne geben

Bild: Laura Schiller

„September 5 – The Day Terror Went Live“ – Ein Film, der den ganzen Kinosaal erschüttert in den Sitzen zurück ließ. Als wir uns schließlich nach dem Abspann erhoben, gehörten wir immer noch zu den Ersten, die den vollen Kinosaal verließen. Selbst auf der Treppe fanden wir noch keine Worte, um unsere Gedanken miteinander zu teilen.

Das Filmdrama des Schweizer Regisseurs Tim Fehlbaum handelt von dem Münchener Olympia-Attentat 1972 auf die israelische Mannschaft im olympischen Dorf, bei dem nach einer Geiselnahme elf der Geiseln ermordet wurden. Dabei steht die Fernsehredaktion des US-amerikanischen Senders ABC Sports im Zentrum der Erzählung. Durch die Mischung aus deutschen und amerikanischen Charakteren entsteht eine weitere spannende Dynamik, die das Aufeinandertreffen der Nachkriegsgenerationen zeigt.

Der Film beginnt am frühen Morgen in den Räumen des ABC Sports Studios. Die Redaktion ist nur knapp besetzt, die Klimaanlage ausgefallen, als plötzlich Schüsse fallen. Sofort ist den Journalist*innen die Aufgabe klar: Möglichst schnell verlässliche Informationen und bestenfalls Filmmaterial von dem Vorfall sammeln, um als erstes Fernsehteam eine Übertragung in die ganze Welt zu liefern. Es gelingt, eine Kamera direkt auf die Wohnung zu richten, in der die Geiseln festsitzen. Das Ziel, das im Hinterkopf die ganze Zeit mitschwingt: Der Konkurrenz ABC News zuvorkommen und sich eine bessere Sendezeit sichern.

Die Spannung ist von Beginn an da. Die Informationslücken und der Zeitdruck bauen die Dramatik auf. Genauso tragen auch die leicht verschwommene Bildhaptik und eine wackelige Kameraführung dazu bei. Auch wenn man den Ablauf der weiteren Ereignisse bereits kennt, oder vielleicht auch gerade deshalb, fiebert man mit. Denn statt emotional an das Schicksal einzelner Charaktere gebunden zu sein, oder die Tragödie des Attentats in den Vordergrund zu rücken, funktioniert dieser Film über die spannungsgeladene Atmosphäre auf kleinstem Raum und Entscheidungen, deren Ausmaß erst Stück für Stück ins Bewusstsein dringen. Schließlich schaut die ganze Welt zu… Die Liveübertragung stellt den Terrorakt mitten ins Rampenlicht der Aufmerksamkeit. Gleichzeitig bekommt man einen Blick hinter die Kulissen eines Fernsehteams und erlangt einen Eindruck von der Arbeit mit analogem Equipment, wie zum Beispiel im Kontrollraum vor den verschiedenen Bildschirmen die Live-Sendung komponiert wird. Dabei werden teils originale und teils nachgestellten Szenen der ABC Sports Übertragung von 1972 verwendet.

Der Film wirft nicht nur die Frage auf, welche Verantwortung den Medien in der Ereigniskette am 5. September 1972 zugesprochen werden kann, sondern zeigt auch auf, dass Journalismus kritisch zu hinterfragen ist. Der Film feierte am 29. August 2024 seine Premiere, wurde für einen Golden Globe und für den Oscar für das beste Drehbuch nominiert. Auf dem Instagram-Account der Sneak Marburg wurde ein Tag später die Bewertung des Films geteilt. Die insgesamt zu 92 % positiven Reaktionen auf den Film sind eindeutig: Eine gelungene Performance der ersten Sneak Preview des Jahres.

Dem Film gelingt es, die Perspektive zu wechseln, hinter die Kameras zu treten und das Attentat durch eine journalistische Linse zu betrachten, die einem stets bewusst bleibt. Das Attentat selbst bleibt dadurch jedoch seltsam im Hintergrund. Ob diese Herangehensweise als positiv oder negativ bewertet wird, muss jeder selbst entscheiden. Fakt ist, dass der Film einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat.

(Lektoriert von jap und jub.)

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