Marburger Mietgeschichten: Schauder im Vorbeigehen

Marburger Mietgeschichten: Schauder im Vorbeigehen

Bild: Elija Ash Pauksch

Verschimmelnde Wohnungen, unbezahlbare Mieten, unmögliche Vermietende … die Wohnsituationen von Studierenden sind immer häufiger kaum tragbar. Gemeinsam mit dem AStA-Referat für Wohnen und Freiräume will PHILIPP darauf aufmerksam machen und die Betroffenen in der Reihe Marburger Mietgeschichten zu Wort kommen lassen. Was der Marburger Rechtsanwalt Gunther Specht zu dem Fall sagt, erfahrt ihr am Ende.

Ich bin im Oktober 2018 in besagte WG in der Marburger Oberstadt gezogen, gemeinsam mit drei anderen Studentinnen. Das Haus hat drei Etagen. Oben und unten liegen je zwei Sechser-WGs, und im ersten Stock unsere Vierer-WG. Bei der Besichtigung erschien mir meine Vermieterin als sehr nett. Wie ich später erfahren habe, war sie nicht nur eine Mitarbeiterin der Sciolla GmbH, sondern sogar die Freundin von Matteo S., der später wegen Immobilienbetrug ins Gefängnis gekommen ist. Er hatte, gemeinsam mit anderen Immobilienhändlern, Immobilien hin und her verkauft und ihren Wert künstlich erhöht. Auch wem nicht die Freude zuteil wurde, in einem Haus der Sciolla GmbH zu wohnen, könnte der Name bekannt vorkommen. Herr S. kaufte unter anderem die Kneipe Havanna 8 auf, um danach extrem hohe Mieten zu verlangen. Dagegen gab es damals einigen Protest und es musste schließen.

Meine Wohnung war vor meinem Einzug mehr schlecht als recht renoviert worden. Ich habe Bilder gemacht, damit die Mängel später nicht mir angehängt werden können. Das unverputzte Treppenhaus, wo lose Kabel aus der Wand hingen, sollte nach Aussage meiner Vermieterin noch renoviert werden. Das ist nie geschehen. Ich habe den Mietvertrag also unterschrieben, weil ich dringend eine Bleibe brauchte.

Kautionschaos

Da ich mir die Kaution von 1200 Euro nicht leisten konnte, habe ich einen Vertrag mit der Deutschen Mietkautionskasse geschlossen. Dort zahlt man einmal pro Jahr sechzig Euro und die Kasse gibt der vermietenden Person eine Garantie über die Mietkaution. Ich musste drei Jahre weiter Geld an die Mietkautionskasse zahlen, da sie mich ohne Bürgschaftsurkunde nicht aus dem Vertrag herausließen. Aus diesem Vertrag bin ich plötzlich Ende 2023 aus mir unbekannten Gründen herausgekommen. Ich habe einfach keine Rechnung mehr erhalten. Man kann bei der Mietkautionskasse eigentlich nur kündigen, wenn man eine Bürgschaftsurkunde von der Vermietung einreicht. Diese dient als Beweis dafür, dass die Kaution nicht mehr benötigt wird. Diese Bürgschaftsurkunde habe ich bis heute nicht. Die Sciolla GmbH ging insolvent. Ich besorgte mir einen Beratungshilfeschein vom Amtsgericht und ging zu einer Anwältin, die den Insolvenzverwalter immer wieder kontaktierte, jedoch ohne Erfolg. Eine andere Bewohner*in des Hauses traf es noch härter, sie hat ihre Kaution in voller Höhe an Matteo S. gezahlt und nach ihrem Auszug nicht zurückerhalten. 

Immer Tag der offenen Tür?

Aber zurück zum Anfang. Während der ersten Monate in der WG war ich noch guter Dinge. Ich hatte mit meinem Studium auch viel zu tun. Meine Eltern waren einmal zu Besuch und haben gefragt, warum das Treppenhaus so unfertig und dunkel aussieht. Ich habe gesagt, dass das alles noch renoviert werden würde. Das habe ich damals auch wirklich geglaubt, obwohl wir schon einige Zeit in dem Haus wohnten und sich seitdem absolut nichts getan hatte. Ich wollte aber auch nicht wirklich wahrhaben, dass ich eine schlechte Entscheidung getroffen hatte. Ich hatte den Platz in einem Wohnheim abgelehnt, nur um dann nichts anderes zu finden außer ebendiese WG. Ich musste irgendwie rechtfertigen, dass ich jetzt für 410 Euro monatlich in eine Schrottbude gezogen war. In dem Betrag waren alle sonstigen Kosten enthalten. Wir haben nie so etwas wie eine Nebenkostenabrechnung erhalten.

Zusätzlich zu dem unfertigen Treppenhaus fiel in den Wintermonaten noch regelmäßig die Heizung aus. Um solche Dinge wurde sich damals noch immer gekümmert. Bis man sich irgendwann nicht mehr kümmerte. Das Schloss unserer Haustür ging kaputt. Jeder hätte somit in unser Treppenhaus einbrechen können (und das ist auch passiert, allerdings war ich zu diesem Zeitpunkt schon ausgezogen). Die Klingel ging kaputt. Das Schloss unserer Wohnungstür war so klapprig, dass unsere dünne Tür mit einem Tritt auf gewesen wäre. Man konnte sie ober- und unterhalb des Schlosses schon aufdrücken. Wir haben uns nicht mehr sicher gefühlt und haben angefangen, nachts unsere eigenen Zimmertüren abzuschließen.

Einmal stand ein Mann mit Brille vor unserer Tür, der erzählte, er sei ebenfalls Mieter in einem Haus, deren Eigentümer die Sciolla GmbH ist. Er und seine Mitbewohner hätten diverse Probleme mit den Vermietenden und wollten sich mit uns beratschlagen, was man tun könne. Er hat uns alle in einer WhatsApp-Gruppe versammelt. Aber wir hatten ja alle keine Ahnung, was wir machen sollten.

Mieterhöhung und Mäuse

Dann kam irgendwann ein Brief, in dem stand, dass unsere Miete erhöht werden würde. Inzwischen hieß die Firma auch nicht mehr Sciolla GmbH. Ich erinnere mich daran, dass daraufhin fast die gesamte Sechser-WG über uns fristlos gekündigt hat und quasi über Nacht ausgezogen ist. Da wir keine Telefonnummern ausgetauscht hatten weiß ich aber nicht, was für Folgen ihr Auszug für sie noch hatte. Die Vermieter haben zu diesem Zeitpunkt nicht mehr auf Mails, Anrufe etc. reagiert. Zwei meiner Mitbewohnerinnen sind ebenfalls ausgezogen. Die Zimmer wurden sofort nachbesetzt mit zwei Medizinstudierenden im ersten Semester. Daran waren wir anderen Bewohner nicht beteiligt. Es ging wohl darum, die Zimmer so schnell wie möglich wieder zu vermieten. Beide sind schnell wieder ausgezogen. Ich hatte inzwischen in unserer kleinen Küche Mäuse gesehen. 

Mein Praxissemester stand vor der Tür, also habe ich mein Zimmer für einen Teil der Zeit untervermietet. Während des Praxissemesters bekam ich zum Glück einen Platz in einem anderen, zentralen Wohnheim, den ich sehr dankbar angenommen habe. Ich habe naiverweise geglaubt, ich könne aufgrund der Mängel auch einfach fristlos kündigen. Das hatte ich so im Internet gelesen. Bei meiner Kündigung reagierte die Firma komischerweise sehr schnell, die Kündigung sei ungültig.

Da bin ich zum ersten Mal zum Amtsgericht gegangen und habe mir einen Beratungshilfeschein geholt, mit dem ich eine Anwältin aufsuchen konnte. Wenn man keine Rechtsschutzversicherung hat und auch kein Geld, eine Anwältin zu bezahlen, kann man sich beim Amtsgericht einen Beratungshilfeschein holen. Diesen kann man einer Anwältin vorlegen und die folgenden Kosten für die Tätigkeit werden übernommen. Bei dem Erstgespräch mit meiner Anwältin habe ich ihr meine Situation geschildert und alle Unterlagen, die ich hatte, darunter mein Mietvertrag sowie Chat- und Mailverläufe, vorgezeigt. Sie hat mir erklärt, dass ich tatsächlich nicht fristlos hätte kündigen dürfen, auch nicht bei all den Mängeln. Als juristischer Laie sei der Eingang meiner Kündigung aber trotzdem rechtsgültig im Sinne der normalen dreimonatigen Frist. 

Der Tropfen, der die Matratze zum Überlaufen brachte

Als ich nach meinem Praxissemester also Monate später in mein Zimmer kam, sah ich erstmal einen großen braunen Fleck an der Decke. Meine Matratze war ruiniert und der Boden ebenfalls. Es hatte einen Wasserschaden gegeben. Ich habe dann direkt die Handwerkerfirma angerufen, die auch bei dem Heizungsausfall zu uns kam. Von einem Mitarbeitenden, der sich die Ursache im 2. OG ansah, erfuhren ich und der letzte verbliebene Bewohner der 6er-WG dann, dass Matteo S. ins Gefängnis gekommen war.

Ich bin dann endgültig ausgezogen. Selbigen Mitbewohner habe ich danach noch mehrmals getroffen. Er hat mir erzählt, dass er noch über ein Jahr alleine in der Wohnung gelebt habe, ohne aber Miete zu zahlen. Die Zustände mit der Insolvenz müssen weiter noch sehr chaotisch gewesen sein. Er hat auch erzählt, dass in meiner alten WG über Monate ein wohnungsloser Mensch gelebt hat, der durch die kaputte Haus- und Wohnungstür natürlich problemlos ins Haus kam. Auch meine Vermieterin habe ich noch einmal getroffen, als ich ihr meinen Schlüssel übergeben habe. Bis es soweit war, hat es Monate gedauert und ich war schon lange ausgezogen. Wenn ich heute an dem Haus vorbeigehe, schaudert es mich immer noch – vor allem, wenn ich sehe, dass in unserer Etage wieder Licht brennt.


Kommentar von Rechtsanwalt Gunther Specht

Der Marburger Rechtsanwalt Gunther Specht bietet in Zusammenarbeit mit dem AStA eine kostenlose Rechtsberatung für Studierende an. Das sagt er zur heutigen Mietgeschichte:

Vermietende, die sich um nichts kümmern, gibt es leider immer wieder.
Erste Reaktion auf Mängel ist immer eine sofortige Minderung der Miete mit einem Aufforderungsschreiben an die Vermietendenden, die Mängel sofort zu beheben. 

Anwaltliche Hilfe über einen Beratungshilfeschein zu finanzieren, ist eine gute Möglichkeit, die leider immer noch nicht jede*r kennt.
Bei einzeln vermieteten Zimmern können Vermietende ohne Rücksprache mit der WG frei gewordene Zimmer neu vermieten – was auch nicht immer schön ist…

Das Referat für Wohnen und Freiräume ist Teil des AStA in Marburg. Die durch das Studierendenparlament gewählten Studierenden wollen mit ihrer Arbeit in diesem Themenbereich die Interessen der Studierendenschaft vertreten und ihre Kommiliton*innen bei aufkommenden Problemen unterstützen. Das Referat möchte außerdem anderen Studierenden dabei helfen, sich über die eigenen Rechte als Mieter*in zu informieren. Dafür gibt es eine Sprechstunde, die Vertreter*innen sind aber auch per E-Mail erreichbar.

Mehr über das Referat erfahrt ihr hier, auf der Webseite des AStA oder auf Instagram.

(Lektoriert von hab und let.)

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