Endgegner*in: Catcalling

Endgegner*in: Catcalling

Illustrationen: Malu Wolter

Wenn dir das Leben Zitronen gibt, gibt dir die wacklige Internetverbindung oder die Drehtür in der Bib vielleicht noch den Rest – in dieser Reihe schreiben wir über die Endgegner*innen des Unialltags, also Dinge, die Studis an den Rand der Verzweiflung bringen. 

„Mach mal die Beine zusammen, ich kann schon die Forelle riechen!“ Wütend und beschämt mache ich einen großen Bogen um die Menschentraube an der Bushaltestelle. Angestrengt starre ich geradeaus, vermeide jeglichen Augenkontakt und versuche dem Bedürfnis zu widerstehen, den Saum meines Kleides weiter runter zu ziehen. Meine Extremitäten beginnen zu zittern und eine unangenehme Wärme breitet sich in mir aus. Hätte ich etwas sagen sollen? Im Normalfall bin ich schlagfertig, aber wenn eine Gruppe von fünf Erwachsenen mich schon von weitem anpöbelt und auslacht und die übrigen Passant*innen nur dabeistehen und zugucken fehlt auch mir jeglicher Mut zu einem Konter.  

Dabei sollte ich mich so langsam daran gewöhnt haben, nicht wahr? Gecatcalled werde ich nämlich schon seit ich etwa 12 oder 13 Jahre alt bin. Morgens oder abends? Allein, mit Freundinnen oder der Mutter? Freizügig oder bedeckt? Völlig egal. Manchmal ist es ein Hupen oder Pfeifen aus vorbeifahrenden Autos, manchmal sind es sexuell anzügliche Sprüche, immer sind es auffällige Blicke, immer ist es herabwürdigend. Das weiß ich jetzt. Als weiblich sozialisierte Person wird einem oft schon in jungen Jahren eingeredet Catcalling sei ein Kompliment. Es würde bedeuten, dass Männer einen attraktiv finden. Besonders der Zuspruch von älteren Männern solle einem bestätigen, dass man außergewöhnlich  erwachsen sei. „Reif für dein Alter“. Man erzählt es genervt den Freundinnen. Doch insgeheim ist man doch froh, scheinbar für attraktiv gehalten zu werden. Auch jetzt noch scheue ich mich manchmal davor, anderen von meinen Erfahrungen mit Catcalling zu berichten. Zu groß ist meine Angst davor den Eindruck zu erwecken, ich würde mich damit profilieren wollen. Doch in Wahrheit macht es mich nur wütend.  

Euer Wunder-Baum riecht nach Misogynie

Ich hasse es, an der Ampel zu stehen und von Auto- und Motorradfahrern angestarrt zu werden. Ich hasse es, wenn sie ihre Scheiben runterlassen, den Deutschrap lauter drehen und versuchen Augenkontakt aufnehmen. Euer Wunder-Baum riecht mir ein bisschen zu sehr nach Misogynie. Ich hasse es, extra eine Wechsel-Hose einzupacken, die ich dann vorm Aufbruch über meinen Minirock stülpe, nur um dann doch verlässlich jeden Abend auf dem Heimweg gecatcalled zu werden. Und ich hasse es, mir danach jedes mal die gleiche Frage zu stellen: Hätte ich etwas anders anziehen sollen? 

Wie viel Vertrauen kann ich den beiden jungen Männern schenken, die neulich Nacht auf der Straße neben mir angehalten haben um zu fragen, ob sie mich nach Hause fahren sollen? Wie ehrlich ist euer Angebot, wenn ihr dabei nicht aufhören könnt zu lachen? Wisst ihr nicht, dass mein Heimweg exponentiell unsicherer wird, sollte ich bei zwei Fremden ins Auto steigen, oder amüsiert es euch mich zu erschrecken?  

Immer ist es dieses selbstzufriedene Lachen. Von oben herab. Ich catcalle eine Frau oder ein junges Mädchen und lache dann darüber, sie verunsichert zu haben. Dass Catcalling kein Kompliment ist, brauchen wir Catcallern nicht zu erklären. Sie wissen selbst am besten, wie es gemeint ist. Catcalling ist eine Machtdemonstration. 

Meine Trinkflasche ist nicht groß und schwer, weil ich mich gerne hydriere

Kurzzeitig glaubte ich sogar, das Catcalling-Alter so langsam überschritten zu haben, denn seit ich volljährig bin, werde ich in meiner Heimat immer weniger gecatcalled. (Was das über Dörfer aussagt, sei mal dahingestellt.)  Bis ich nach Marburg zog und auf der Bank neben dem City-Rewe von einem Mittdreißiger einen Heiratsantrag mit einem Plastik-Ring bekam, der zuvor noch verzweifelt versucht hat, mir einen Schluck aus seinem angebrochenen Dosenbier anzubieten. Leider ist die Antwort auf: „Ich bin minderjährig“ viel zu häufig: „Umso besser!“.  

Dieser Text erscheint in der Kategorie Endgegner*in, aber muss ich in diesem Fall wirklich gendern? Männer, die sich einen Spaß daraus machen, nachts langsam hinter mir her zu fahren oder zu pfeifen, wenn ich Brötchen holen gehe – und wenn ich vom Brötchenhohlen zurückkomme – wissen wahrscheinlich nicht, dass meine Trinkflasche nicht groß und schwer ist, weil ich mich gerne hydriere, sondern weil ich abends nicht mit leeren Händen vom Fitnessstudio aus heim gehen will. Sie wissen nicht, dass ich gerne Musik hören würde, meine Finger aber immer auf der Leiser-Taste ruhen, damit ich alle paar Minuten sicherstellen kann, nichts zu überhören. Und sie wissen auch nicht, wie gern ich in Begleitung eines männlichen Freundes mal auf dem Heimweg die Route durch die Unterführung nehme. Nicht, dass die besonders schön wäre – ich nutze nur gern die Möglichkeit. 

Catcalling Season ist das ganze Jahr

Wir müssen endlich aufhören so zu tun, als würden weiblich gelesene Personen sich für irgendjemandes Aufmerksamkeit kleiden. Zwar neigt sich der Sommer langsam dem Ende zu – Catcalling Season ist aber leider das ganze Jahr. Statt den gestrigen Kino-Heimweg zum Hören des Film-Soundtracks nutzen zu können, musste ich nämlich leider so tun, als hätte ich die Zurufe des jungen Mannes hinter mir nicht wahrgenommen. Und als er mich dann an der Ampel einholt und fragt, ob er mich kennenlernen könnte, merke ich wieder wie fließend die Grenzen zwischen Catcalling und Belästigung sein können. Er kommt mir zu nah und folgt mir über die Brücke. Als ich ihn etwas lauter und bestimmter bitte, mich in Ruhe zu lassen, in der Hoffnung das Pärchen vor uns würde merken, dass ich mich von diesem Fremden bedrängt fühle, wird er sauer. „Zickiges Weib“ waren seine Worte. Ich laufe schneller und nehme einen Umweg nach Hause. Beschützen konnte mich leider nichts. Keine weite Jacke, keine Passant*innen die das Gespräch überhört haben – nicht mal meine Zickigkeit.  

(Lektoriert von hab und let.)

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