Endgegner*in: Manspreading

Endgegner*in: Manspreading

Illustration: Malu Wolter

Wenn dir das Leben Zitronen gibt, gibt dir die wacklige Internetverbindung oder die Drehtür in der Bib vielleicht noch den Rest – in dieser Reihe schreiben wir über die Endgegner*innen des Unialltags, also Dinge, die Studis an den Rand der Verzweiflung bringen. 

Es ist mal wieder Sonntag und ich steige in den Regio nach Marburg. Es ist voll, ich muss mir den Weg durch den schmalen Gang bahnen. Am liebsten würde ich ganz für mich sitzen. Pustekuchen! Ich hatte auch nicht ernsthaft daran geglaubt. 

Ein Platz ist noch frei, ich frage den Mann, ob ich mich dazu setzen dürfte. Ein Nicken. Ich dränge mich auf den Sitz am Fenster und fühle mich eingequetscht. Der Mann hat seine Beine keinen Zentimeter zur Seite bewegt. Also alles wie immer in der hessischen Landesbahn. 

Ich beschwere mich bei meinen Freundinnen, keine Seltenheit, alles wie immer, sagen sie. Für uns ist es ‚business as usual‘. Ich empfinde Wut darüber. Ich glaube nicht, dass es Männern anatomisch nicht möglich ist, anders zu sitzen. Ich glaube aber schon, dass es mit der geschlechter- und körperrollenspezifischen Bewegungssozialisation zu tun hat.

Seit ein paar Jahren gilt ‚Manspreading‘ als inzwischen gut erforschtes Phänomen und wird medial großflächig besprochen. Das liegt wohl auch daran, dass kommerziell medienwirksam dagegen geworben wird. So plakatiert etwa die Wiener Linie: „Sei ein Ehrenmann und halt deine Beine zam!“ Eine Gegenbewegung ruft zum ‚Shebagging‘ auf: Frauen sollten ihre Tasche neben sich stellen, um Raum einzunehmen. Auch darüber: große Empörung. Frauen seien dann ja schließlich auch nicht besser, darüber sind sich die Benutzer der Internetplattform Reddit einig. 

Die Rollenerwartungen zwischen männlich und weiblich erzogenen Personen unterscheiden sich signifikant. Das spiegelt sich auch in Bewegungsmustern wider. Dominanz bei Jungen versus zurückhaltende Eleganz bei Mädchen. Das macht mich wütend. Warum? Die einfache Antwort ist die Erwartungshaltung an respektvolles Verhalten meiner Mitmenschen. Wenn ich weitere Seelenschau betreibe, brodelt unter der Wut wohl auch das Gefühl der Machtlosigkeit und Lakonie. 

Ich frage mich aber, ob ich da nicht mal was sagen müsste. Aber nein, im Kopf gehe ich meist die Sicherheitsrisiken einer Auseinandersetzung mit einem mir körperlich überlegenen Mann und die kommunikativen Anstrengungen der Woche durch. Das reicht meist für lähmende Erschöpfung in Bezug auf diesen Alltags-Aktivismus. Mir würde es schon reichen, wenn ich meinen Sitzplatz für mich hätte. Ob Manspreading oder Shebagging – die Debatte zeigt: es rumort in der Gesellschaft. 


Alle Texte aus der Endgegner*in-Reihe gibt es hier.

(Lektoriert von hab und let.)

Paula Köhler ist seit Mai 2024 dabei. Sie studiert Jura und besitzt alle Filme mit Hugh Grant auf DVD.

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