Das Havanna8, Kneipe im Exil
Schon seit über einem Monat existiert es nicht mehr, zumindest nicht mehr so wie früher: Die beliebte Szenekneipe ‘H8’, ein Treffpunkt besonders für die linke Szene, in der es günstige Getränke und diverse Veranstaltungen wie Vorträge, Workshops oder Parties und Kickerspiele gab. Wie es dazu kommen konnte und wo man das Kollektiv jetzt finden kann, erfahrt ihr hier.
Nach jahrzehntelanger Tradition wurde der „solidarische Genussraum“ zum 01. April 2019 hin seiner bisherigen Räumlichkeiten verwiesen, da sich nach mehrfachem Besitzerwechsel der Immobilie die Miete verdoppelt hatte. Mitte März fand das Abschiedswochenende statt und danach wurden die Räume mit viel Bedauern der Beteiligten leergeräumt.
(Hoffentlich) vorübergehendes Exil
Als Reaktion auf das Ende einer Ära fand am 1. April eine spontane Kundgebung für eine Solidarisierung mit dem Kneipenkollektiv und deren prekärer Situation statt. An unterschiedlichen Orten der Stadt tauchten Banner auf, die nochmals schriftlich ihre Solidarität bekundeten. Zudem fanden sich Graffiti an verschiedenen Fassaden verteilt, die Sprüche wie ’save the H8′ oder auch Diffamierungen des Käufers und jetzigen Verwalters der Immobilie beinhalten.
Als Protestaktion und Kompromiss findet an der Location des ehemaligen H8s selbst seit Anfang April jeden Freitag Abend ein sogenanntes ‘solidarisches Massencornern’ statt. Unter Cornern versteht sich eine moderne Form der städtischen Trinkkultur – die (meist eher jungen) Leute treffen sich (meist aufgrund der überteuerten Spesen) statt in einer Bar auf der Straße, kaufen die Getränke beim Kiosk oder im Supermarkt und erwecken per Anwesenheit, Musik, Gesprächen und guter Laune die Innenstadt zum Leben. Dadurch sollen die Situation der ‘vertriebenen’ Kneipe und die Versprechen von Seiten der Stadt auch langfristig im Bewusstsein der Öffentlichkeit bleiben.
Bisher hat sich kein alternativer Ort gefunden, an welchem das Havanna8 langfristig weiter existieren könnte, sodass es zurzeit eine Art Zwischenlösung mit dem Namen ‘Havanna8 im Exil’ gibt. Diese Einrichtung ist bereits ab und an in Aktion getreten, so beispielsweise am Frühlingsfest des Wagenplatzes – welcher noch eine der kulturell bedeutsamen Institutionen Marburgs ist, deren Existenz derzeit auf dem Spiel steht oder zumindest längerfristig fragwürdig ist – oder bei diversen Events im Trauma.
Besetzung der zerstörten (T)Räume
Ein Ereignis vom 08. April darf hier ebenfalls nicht unbeachtet bleiben: In der Nacht auf besagtes Datum wurden die Räumlichkeiten von Menschen besetzt, die sich als solidarisch mit der Kneipe erklärten und die Besetzung als eine Form des Protestes auch gegen die aktuell vermehrte Form der Gentrifizierung verstehen. Wer der linken Szene und damit einem großen Teil der Marburger Bevölkerung derart wichtige Freiräume nimmt, braucht sich wohl nicht zu wundern, wenn das Reaktionen dieser Art nach sich zieht. Am ersten Tag nach der Besetzung erschien sogar der Oberbürgermeister Spies höchstpersönlich vor Ort und ließ ein Soli-Foto mit sich selbst vor dem besetzten H8 machen. Dabei versprach er, das Ganze bei der nächsten Stadtverordnetenversammlung zu thematisieren, diese nahm es allerdings nicht in die Tagesordnung auf. Die Reaktionen auf die Besetzung waren divers, es gab sowohl unterstützende, als auch ‘Räumen jetzt!’ – Kommentare.
Gerade vor wenigen Tagen konnte man in der Oberhessischen Presse von einem Immobilienskandal im Marburger Raum lesen. Dabei wurden zwei Männer verhaftet, die sich des Betrugs verdächtig gemacht haben. Laut der Oberhessischen Presse fand sich unter den betroffenen Gebäuden ebenfalls die Kneipe des H8s. Die sich daraus ergebenden Konsequenzen sind bisher allerdings unklar.
Der aktuelle Stand der Dinge ist demnach: Die Räume sind besetzt oder zumindest derart verbarrikadiert, dass kein Hineinkommen möglich ist. Das Kollektiv sucht weiterhin nach einer neuen, permanenten Bleibe, bis dahin treten ab und an ‘Havanna8 im Exil’ – Veranstaltungen auf. Das Klientel findet sich bei diesen, aber auch beim regelmäßigen ‘Cornern’ wieder. Die Stadtpolitik nahm sich vor, das Thema zu besprechen, bisher liegen aber keine Beschlüsse dazu vor. Wir sind äußerst gespannt, wie es weitergeht und hoffen auf eine friedliche und zufriedenstellende Lösung für alle Beteiligten.
FOTO: Karen von Rüden