„Existenzängste lassen einen niemals los“ – Interview mit dem SoFiKuS

„Existenzängste lassen einen niemals los“ – Interview mit dem SoFiKuS

Logo: AStA Marburg, Bild: Elija Ash Pauksch

Seit dem Wintersemester 2019/20 gibt es das Referat für sozial, finanziell und kulturell benachteiligte Studierende (SoFiKuS). Nach einem Workshop des Referats zum Thema klassismussensible Lehre hat Redaktionsmitglied Elija mit einer der vier Referent*innen, die nicht namentlich genannt werden möchte, gesprochen, um zu erfahren, worum es dabei geht und was der SoFiKuS sonst noch macht.

Welche Angebote gibt es beim SoFiKuS und an wen richten diese sich?

Grundsätzlich sind unsere Angebote für Betroffene. Das heißt Menschen, die sich als Arbeiter*innenkinder oder Armutsbetroffene wahrnehmen. Wir bieten zusätzlich Workshops für Leute an, die sich eine Einführung in das Thema wünschen, aber selbst nicht unbedingt betroffen sind.

Wir hatten vor einer Weile einen Grundlagenworkshop und jetzt den Workshop, der sich explizit an Lehrende richtet. Wir wollen alle mit ins Boot holen, die das Thema betrifft. Auch die, die am längeren Hebel sitzen, wenn man das so sagen kann. 

Am Ende des Monats wird es auch wieder ein Austauschtreffen geben. Das ist dann ein Safe Space für Betroffene, in dem sie sich austauschen und Erfahrungen und Situationen teilen können, in denen sie im Unialltag bei den Mitstudierenden keine Unterstützung bekommen. In einem Umfeld, in dem Leute das verstehen und sagen, dass sie wissen, was man meint.

Es ist wichtig zu merken, dass es sich nicht um ein individuelles Problem, sondern eine strukturelle Benachteiligung handelt. Es gibt hier Muster und die erkenne ich, wenn ich mit anderen rede, die ähnliche Erfahrungen sammeln. Gleichzeitig können so auch möglicherweise Freundschaften geschlossen und Tipps ausgetauscht werden, z. B. wenn jemand Probleme mit dem BAföG-Amt hat.

Wir möchten in Zukunft auch mehr unterschiedliche Formate ausprobieren. Zusammen kochen, ein Sommerfest, Girls Talk and Walk und vieles mehr. Es kommt aber auch immer darauf an, wer im Referat ist und wie es um die Motivation und Ideen für Aktivitäten steht. Momentan liegt deswegen ein Fokus auf Workshops.

Ganz neu haben wir eine Bücherausleihe. Ich habe ein kleines Bücherregal zusammengestellt mit Themen zu Klassismus, das wir für Betroffene vor Ort anbieten. In diesem Sinne machen wir eben auch Aufklärungsarbeit. Neben den Angeboten gehen wir auch mit der Uni in die Diskussion, und nehmen zum Beispiel an Podiumsdiskussionen teil.

Wie und mit welchen Ideen kann man sich bei euch engagieren?

Die Leute dürfen machen, worauf sie Lust haben und wir haben auch ein offenes Plenum. Das heißt, Betroffene können vorbeikommen, um ein Problem heranzutragen, was wir dann besprechen, und Ideen sammeln, welche Optionen es gibt, das Thema anzugehen.

Um sich beim SoFiKuS zu engagieren, muss man nicht als Referent*in gewählt sein oder regelmäßig am Plenum teilnehmen. Wir verstehen, wenn Menschen keine Kapazitäten haben sich für ein Jahr aufstellen zu lassen, aber ein Projekt umsetzen möchten. Wir können die Leute dafür auch vergüten, das ist auch wichtig! Wir haben als Referat einen Haushalt, den wir nutzen können. Klassismus ist auch immer eine Kritik an Ehrenamtsökonomie und Organisationen, die ausnutzen, dass Leute umsonst arbeiten. Wir besprechen deshalb individuell mit den Personen, wie viel Geld sie für ihr Projekt brauchen.

Was sind die größten Herausforderungen, mit denen Arbeiter*innenkinder und armutsbetroffene Menschen an der Uni konfrontiert sind?

Das ist in erster Linie ökonomisches Kapital, also die Studienfinanzierung, den die spielt für viele eine riesige Rolle. Existenzängste lassen einen niemals los und stellen eine zusätzliche Belastung für das Studium dar. Wie willst du richtig studieren, wenn du dir Gedanken machen musst, wie du am Ende des Monats noch die Miete für den nächsten zahlen kannst?

Zusätzlich zu den Existenzängsten kommt dann der soziale Ausschluss. Arbeiter*innenkinder und von Armut betroffene Menschen haben einen universitätsfernen Klassenhabitus. Sie können sich mit anderen Studierenden bezüglich deren Hobbys, Sprache, Kleidung und finanzieller Absicherung nicht identifizieren. Habitus ist das, was uns in unserem Leben ausmacht, uns beschreibt und das, was konsistent ist – untereinander und miteinander. Freundschaften basieren auf Gemeinsamkeiten. Und es ist schwieriger, Fuß zu fassen und sich wirklich wohlzufühlen, wenn der Habitus der Person ein anderer ist.

Gleichzeitig hast du durch das Studium diesen sozialen „Aufstieg“ – das Wort ist allein schon problematisch. Am besten wäre es, wenn Ausbildung und Uni einfach zwei verschiedene Wege wären und das eine nicht ein „Aufstieg“. Als Arbeiter*innenkind hast du durch das Studium aber auch möglicherweise Konflikte zu Hause, wenn die Eltern sagen, man sei nichts Besseres, nur weil man jetzt studiert. Die eigene Herkunft wird auf einmal von einer anderen Perspektive gezeigt.

Kannst Du diese Art Konflikte an einem Beispiel verdeutlichen?

Ich hatte an Weihnachten mal einen fancy Mantel an. So einen langen, schweren Mantel. Mein Vater hat mich dann gefragt, was ich da denn anhätte. Andere Leute würden sagen, dass es ein ganz normales Kleidungsstück ist. An der Uni ist das genauso. Da kommst du nicht an mit deinem Habitus. Zu Hause nach einer Weile aber vielleicht auch nicht mehr und dann stehst du zwischen den Stühlen.

Die betroffenen Personen haben das Gefühl, sie gehören nirgends hin. Weder an die Uni, noch da, wo sie herkommen. Und sie haben das Gefühl, sie sind aufgebrochen, aber nie angekommen, an dem Ziel, das sie hatten. 

Mit welchen konkreten Schwierigkeiten sind Arbeiter*innenkinder und Armutsbetroffene in ihrem Studium konfrontiert?

Neben dem Thema Finanzen kommt für viele die Anpassungsanstrengung dazu. Etwa weil Dozierende erwarten, dass bestimmte Fremdwörter bekannt sind, aber dies oft nicht der Fall ist. Auch weil sie vielleicht nicht die sozialen Kontakte haben, die ihnen solche Dinge erklären oder durch die sie das schon gelernt haben. Bei Hausarbeiten oder dem Suchen von Praktikumsplätzen ist es aber hilfreich, eine Ansprechperson zu haben, die damit schon Erfahrung hat.

Für Medizin habe ich mal von einem Mitbewohner gehört, dass die Dozierenden meinten man solle bitte nicht bei den eigenen Eltern das Praktikum machen, da viele davon auch Ärzt*innen sind. Für die Personen ist es normal, dass man easygoing einen Praktikumsplatz findet. Als Alternative machen einige das Praktikum dann in der Praxis von Familienfreund*innen oder Bekannten. Die Privilegien gehen noch weiter: Du fällst weicher, wenn du weißt, deine Eltern haben einen gut bezahlten Beruf und du wirst vielleicht denselben haben. Das macht es direkt leichter in den Arbeitsbereich einzusteigen. Arbeiter*innenkindern und Armutsbetroffenen geht das nicht so. Das würde ich sagen, ist die größte Hürde.

(Lektoriert von jub und jap.)

(Pronomen they/nin)
seit Ende 2023 hier beim PHILIPP und tobt sich kreativ bei der Erstellung von Artikel-Titelbildern und dem Erstellen von Instagram-Beiträgen aus.
They studiert im Master "Cultural Data Studies" und nutzt die letzten Semester an der Universität, um so viele Auslandserfahrungen zu sammeln wie möglich.
Persönliche Schwerpunkte sind alles, was mit Intersektionalität, der LGBTQIA+ Community und Einblicken in andere Länder und die dazugehörigen Sprachen und Kulturen zu tun hat.

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