Was bedeutet der Chemie-Nobelpreis für die Wissenschaft, Prof. Dr. Hampp?

Was bedeutet der Chemie-Nobelpreis für die Wissenschaft, Prof. Dr. Hampp?

Medizin, Physik, Chemie, Literatur, Frieden, Wissenschaft – für besondere Erkenntnisse auf diesen wichtigen Gebieten werden alljährlich die Nobelpreise verliehen. Prof. Dr. Norbert Hampp erklärt, wofür die Preisträger dieses Jahr ausgezeichnet werden.

PHILIPP: Der Chemie-Nobelpreis wird dieses Jahr für die Kryo-Elektronenmikroskopie an den Deutschen Joachim Frank, den Schweizer Jaques Dubochet und den Briten Richard Henderson verliehen. Was ist das genau und warum wird es auch als „Dem Leben bei der Arbeit zu sehen“ beschrieben?
Prof. Dr. Hampp: Das Leben heißt erstmal Makromoleküle. Und da es selten nur darum geht, dass man einzelne Makromoleküle sehen möchte, sondern um deren Wechselwirkung, ist die Kryo-Elektronenmikroskopie heute die einzige Methode, die bildgebend arbeitet. Sonst gibt es nur indirekte spektroskopische Methoden. Da aber das Leben nun mal aus Interaktionen besteht, wie z.B. wenn ein Ribosom sich zusammenbaut, muss man dabei zuschauen können, wie die einzelnen Module der Reihe nach ankoppeln.

Wo genau liegt dann der Unterschied zu Hendersons vorheriger Forschung mittels der Röntgenkristallografie?
Die Röntgenkristallografie ist erstmal die Standardmethode. Jedoch braucht man hierfür relativ viel Material – und Glück. Denn nicht alle Proteine sind bereit, einen Kristall zu formen und wenn kein Kristall geformt wird, also keine periodische Struktur, dann kann die Röntgenkristallografie keine Daten liefern. Die Frage ist auch, wie perfekt der Kristall ist, was man vorher auch nicht weiß. Umso perfekter der Kristall, desto höher die Auflösung und umso genau kann man sagen, wo die einzelnen Atome sind. Wichtig ist, dass das für die Proteine ein absolut unnatürlicher Zustand ist. Dadurch, dass man hierbei dann Proteine in eben diesen unnatürlichen Zustand versetzt, kann man sich nie ganz sicher sein, ob man bei dieser Strukturaufklärung auch die Struktur findet, die tatsächlich im echten Leben vorkommt.

Und eben da liegt der Vorteil der Kryo-Elektronenmikroskopie?
Genau, das braucht dieses Verfahren eben nicht. Hier kann man mit jedem Material arbeiten und man braucht viel viel weniger Material; das sind Größenordnungen weniger.

Wie genau können wir uns das Verfahren der Kryo-Elektronenmikroskopie dann vorstellen?
Zum einen braucht man ein Elektronenmikroskop. Hierbei hat man als projizierende Einrichtung einen Elektronenstrahl, der z.B. im Vergleich zu Licht eine viel kürzere Wellenlänge hat und der deshalb solche Strukturen abbilden kann. Als zweites wird eine Probe benötigt. Da die Biomoleküle eigentlich alle in Wasser vorkommen, hat man folgendes Problem. Beim Einfrieren gehen diese kaputt, denn wenn man Wasser einfriert, formt dieses Kristalle die durch Scherkräfte, also mechanisch, die Proteine einfach zerreiben. Der Trick hierbei ist nun, dass man es so schnell einfriert, dass sich gar keine Kristalle mehr bilden können, auch Vitrifikation genannt. Im Klartext tropft man das Wasser also direkt in flüssigen Stickstoff, sodass dieses Schockgefrieren so extrem schnell passiert, dass das Wasser gar keine Zeit mehr hat eine kristalline Eisform anzunehmen. Dazu kann man noch eine Sublimation im Vakuum machen. Hierbei überführt man das Wasser direkt in die Gasphase, ohne, dass es flüssig wird. Es bleiben dann nur noch die Biomoleküle stehen. Man könnte das mit einem Archäologen vergleichen, der einen Knochen mit einem Pinsel freilegt, wobei der Sand hier für das Wasser steht. Am Ende bleibt sozusagen der saubere Knochen übrig. Man sieht dann die Moleküle in ihrer ursprünglichen Form. Die dritte Komponente des Verfahrens ist eine Software, die, ähnlich wie bei einem CT, viele einzelne, zweidimensionale Bilder macht, aus welchen zusammen ein dreidimensionales Bild rekonstruiert wird.

Wie kann man sich dann die Zusammenarbeit der drei Nobelpreisträger bei einem solchen Verfahren vorstellen?
Ob die drei aktiv zusammengearbeitet haben, kann ich nicht sagen. Fakt ist, dass alle drei essentielle Komponenten entwickelt haben, die in der Gesamtkombination dazu führten, dass die Kryo- Elektronenmikroskopie eine der leistungsfähigsten Techniken ist, um sich die Interaktionen von Biomolekülen anzuschauen.

Was mich natürlich noch besonders interessiert: Welchen Effekt wird das Verfahren auf unser aller Alltag haben?
In den Bereichen der Biowissenschaften, Makromoleküle und Regulationsphänomene ist die Kryo- Elektronenmikroskopie eine hervorragende Methode und alle Forscher in diesem Gebiet haben dadurch große Vorteile. Ein Beispiel ist die Aufklärung vieler Prozesse die unter dem Oberbegriff Krebs zusammengefasst werden. Jedes Jahr gibt es etliche dieser Regulationsstörungen die hiermit aufgeklärt werden. Es ist jetzt ein Standardverfahren.

Foto: CC Marco Verch, unverändert

Zur Person
Prof. Dr. Norbert Hampp ist seit 1995 am Fachbereich Chemie an der Universität Marburg beschäftigt. In seinem Fachgebiet der physikalischen Chemie arbeitet er insbesondere mit Biomaterialien, u.a. Bakteriorhodopsin, dem Molekül an dem Richard Henderson erstmals erfolgreich die Kryo-Elektronenmikroskopie eingesetzt hat und nutzt er die Elektronenmikroskopie als eine seiner Techniken.

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