Was bedeutet der Medizin-Nobelpreis für die Wissenschaft, Prof. Heldmaier?
Medizin, Physik, Chemie, Literatur, Frieden, Wirtschaft – für besondere Erkenntnisse und Entdeckungen auf diesen Gebieten werden alljährlich die Nobelpreise verliehen. Für Fachfremde ist es aber oftmals schwierig, zu verstehen, wofür die Preisträger:innen eigentlich ausgezeichnet werden. PHILIPP hat mit Prof. Dr. Gerhard Heldmaier über die Entdeckung der inneren Uhr des Menschen gesprochen.
PHILIPP: Wofür erhalten die drei US Forscher Jeffrey C. Hall, Michael Rosbash und Michael W. Young den diesjährigen Nobelpreis für Medizin und Psychologie?
Prof. Dr. Heldmaier: Die drei haben sich mit der inneren Uhr beschäftigt. Jede Zelle besitzt eine innere Uhr, auch Einzeller und jede Pflanze. Schon vor Jahren wurde sie von den Pionieren auf diesem Gebiet, Jürgen Aschoff und Colin Pittendrigh, entdeckt. Sie fanden heraus, dass diese all unsere Körperfunktionen steuert. Die drei, die vom Nobelkommitee geehrt wurden, haben die Forschung weitergeführt und dabei den zellulären Mechanismus dahinter entdeckt. Sie fanden zwei Gene, die bestimmte Proteine kodieren und dafür sorgen, dass wir zu manchen Tageszeiten schnell sind und zu manchen eben eine Schnecke.
Können Sie diese Entdeckung für uns vereinfacht erklären?
Man entdeckte das sogenannten „Period Gen“. Dieses Gen kodiert (Anm. d. Red.: Fachausdruck für „herstellen“) ein spezielles Protein, das PER-Protein. Es sammelt sich in der Nacht an und baut sich am Tag ab. Zudem fand man noch ein zweites Gen, das „Timeless Gen“. Dieses kodiert ein Protein, das sich mit dem PER-Protein verbindet. Diese Verbindung kann den Prozess des Period Gens unterdrücken. Die PER-Proteine werden dann langsam abgebaut und wenn sie vollkommen verschwunden sind, fängt das Period Gen wieder an Proteine zu kodieren. In unserem Umfeld gibt es Zeitgeber, die unsere innere Uhr richtig takten. Bei den meisten Organismen ist es der Licht-Dunkel-Wechsel, bei Menschen sind es vor allem soziale Zeitgeber wie der Wecker. Durch eine kleine Region im Gehirn, im Hypothalamus, wird die innere Uhr mit Tag und Nacht beziehungsweise Hell und Dunkel synchronisiert. Das Zellareal bekommt Lichtinformationen von lichtempfindlichen Zellen in der Retina und sorgt dafür, dass wir in einem tagesperiodischen Rhythmus leben.
Wie genau kam es zu der Entdeckung?
Man untersuchte die innere Uhr der Fruchtfliege, die man leicht im Labor züchten und Mutanten bilden lassen kann. Diese Tiere hat man dauerhaft in Dunkelheit gebracht. Dabei traten Mutanten auf, die sich trotzdem nach der Tages-Periodik verhalten haben während bei anderen dieser Rhythmus verschwunden war. Dann sah man im Genom nach, welches Gen fehlte und entdeckte, dass bei manchen kein Period Gen und bei manchen kein Timeless Gen mehr vorhanden war. Dann hat man von genetisch gesunden Fruchtfliegen Zellen in das Gehirn der Defekten übertragen und die innere Uhr lief wieder. Als man bei anderen bei anderen Organismen danach suchte, fand man diese zwei Gene in jedem Gewebe.
Was ist mit der inneren Uhr des Menschen? Wie hat man die untersucht?
Aschoff und seine Kollegen untersuchten die innere Uhr indem sie Freiwillige für vier bis sechs Wochen in unterirdische Bunker einschlossen. Die Freiwilligen wohnten dort in Apartments nach ihrer inneren Uhr. Man maß die Hormone der Menschen und ihre Körpertemperatur, beobachtete wann sie schlafen gehen und so weiter. Auch machte man Tests der Auffassungsgabe und Reaktionszeit des Menschen bei verschiedenen Tageszeiten wobei man feststellte, dass man zu manchen Tageszeiten schneller und zu manchen langsamer ist. Etwas ganz besonderes war, dass manche Menschen anfingen sich auf einen 48-Stunden-Rhythmus zu synchronisieren. Als man sie nach 4 Wochen herausholte, meinten sie, sie hätten die Tage gezählt und es wären doch erst 2 Wochen gewesen. So haben sie auch weniger geschlafen und auch weniger Mahlzeiten zu sich genommen.
Was beutetet diese Entdeckung für uns Menschen und für die Wissenschaft?
Die innere Uhr wirkt sich stark auf alle Körperfunktionen aus. Das merken Sie selbst, wenn Sie in eine andere Zeitzone fliegen und einen Jetlag bekommen. Die innere Uhr braucht etwas Zeit um sich an den neuen Rhythmus zu gewöhnen. Bei Menschen die zum Beispiel in der Antarktis arbeiten, wo es oft sehr lange dunkel ist, wird stark darauf geachtet, dass die Menschen einen festen Tagesrhythmus haben damit sie nicht durcheinander geraten. Für die Wissenschaft ist es vor allem wichtig, dass wir die Abstimmung der Uhr mit Hell und Dunkel verstehen können. Auch der Stoffwechsel der Zelle ist tagesperiodisch, weswegen bestimmte Medikamente nur zu bestimmten Tageszeiten wirken. Bei vielen wissen wir es nicht und nehmen dann drei Tabletten am Tag, obwohl sie vielleicht nur zu einer bestimmten Tageszeit wirken.
Wie sieht es um die Zukunft von Jeffrey C. Hall, Michael Rosbash und Michael W. Young und Ihrer Forschung aus?
In dem Bereich wird intensiv weitergeforscht. Was wir noch nicht ganz verstehen, ist, wie diese interne Synchronisation stattfindet. Hierfür gibt es schon einige Vorstellungen, doch so richtig weiß man es noch nicht. Sehr interessant ist dies bei Menschen die an Schlafstörungen leiden, um zu verstehen was bei der Abstimmung mit Hell und Dunkel nicht richtig funktioniert.
Vielen Dank für das Gespräch!
Foto: CC Mardino Pictures, unverändert.
Zur Person:
Prof. Dr. Gerhard Heldmaier lehrt seit 1982 Tierphysiologie mit dem Schwerpunkt Stoffwechselphysiologie an der Uni Marburg. Von 2004 bis 2009 war er Vizepräsident der Uni.