Kontroverse um freie Wissenschaft: Interview mit Politikwissenschaftler Martin Beck

Kontroverse um freie Wissenschaft: Interview mit Politikwissenschaftler Martin Beck

Wer sich heutzutage zum Konflikt zwischen Israel und Palästina äußert, muss mit scharfer Kritik rechnen. Der Marburger Professor Martin Beck hat sich getraut, die Debatte in seinem Masterseminar wissenschaftlich zu begleiten. Nicht nur einmal gingen beim Präsidium Beschwerden über ihn ein. Warum er trotzdem weitermacht, erzählt er dem PHILIPP Magazin exklusiv im Interview.

Nachdem ein offener Brief von hunderten Hochschullehrer*innen unterzeichnet wurde, der sich dagegen aussprach, polizeilich gegen die Protestierenden im Rahmen einer pro-palästinensischen Besetzung der FU Berlin vorzugehen und das Recht auf friedlichen Protest hervorhob, prüfte das Bundesbildungsministerium, ob kritischen Hochschullehrer*innen Fördergelder entzogen werden können. Wie finden Sie das?

Ich habe den darauffolgenden Brief unterschrieben, in dem über 2.500 Wissenschaftler*innen den Rücktritt der Bildungsministerin Stark-Watzinger gefordert haben. Sie ist nun nicht zurückgetreten, hat aber immerhin eine Staatssekretärin entlassen. Das ist auch gut so. Denn das Vorgehen im Bildungsministerium war ein klarer verfassungswidriger Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit, die in Deutschland grundgesetzlich geschützt ist. Den Brief, den die Kolleg*innen Anfang Mai veröffentlichten, habe ich zwar nicht unterschrieben, will aber betonen, dass dieser sicherlich von der Meinungsfreiheit gedeckt ist.

Wieso haben Sie den ersten offenen Brief nicht unterschrieben?

Von Marburg aus konnte ich nicht mit Sicherheit beurteilen, was in Berlin passiert ist. Eines meiner Prinzipien ist, dass ich im akademischen Kontext nur zu Sachverhalten Stellung beziehe, bei denen ich mich wirklich gut auskenne oder die mir glasklar erscheinen. Ich möchte dabei hervorheben, dass das Empörende nicht der öffentliche Brief ist, sondern die Reaktionen darauf seitens einiger Presseorgane, aus Teilen der Wissenschaft und des Ministeriums für Forschung und Bildung. Es wurden sogar Antisemitismus-Vorwürfe geäußert, was ich als ungeheuerlich empfinde.

Was macht Wissenschaftsfreiheit für Sie aus?

Dass ich ohne Einschränkungen über das forschen kann, was ich beforschen will. Wissenschaftsfreiheit bezieht sich aber auch auf Lehre. Ich möchte eine kritische Lehre durchführen können, diese muss jedoch, finde ich, wissenschaftsbasiert sein. Nach dem 7. Oktober 2023 war für mich klar, dass ich ein Seminar zum israelisch-palästinischen Konflikt anbieten werde. Zu diesem Konflikt habe ich schon lange geforscht und auch einschlägig veröffentlicht. Da war für mich klar, dass ich mein Wissen mit den Studierenden teilen will, die das auch stark eingefordert haben.

Demnach leben Sie Wissenschaftsfreiheit aus, indem Sie dieses Seminar anbieten, obwohl der Palästina-Israel-Konflikt so ein kontroverses Thema ist?

Das ‚Obwohl‘ würde ich ersetzen durch ein ‚Weil‘. Ich biete das Seminar zu diesem Thema auch gerade deshalb an, weil es kontrovers ist. Aus meiner Sicht sollten Politikwissenschaftler*innen kontroverse Themen in Lehre und Forschung aufgreifen. Und dieses ‚Obwohl‘, nach dem Sie zurecht gefragt haben, das müssen wir Politikwissenschaftler*innen aushalten. Denn, ja, nicht alle finden gut, dass ich dieses brisante Thema in meiner Lehre aufgreife.

Welche Argumente sprechen dagegen?

Also, ich finde, dass es keine guten Argumente dagegen gibt. Die Voraussetzung ist nur, dass man dazu geforscht haben muss. Ich bin doch ich immer wieder erstaunt darüber, dass sich Wissenschaftler*innen zum israelisch-palästinensischen Konflikt äußern, obwohl sie wenig bis gar nicht darüber forschen. Das ist nicht Sinn der Wissensvermittlung. Wissensvermittlung im universitären Kontext muss forschungsbasiert sein.

Gab oder gibt es Momente, in denen Sie das Seminar bereuen oder anzweifeln?

Reue ist ein starkes Wort. Ich sag‘s mal so: Es gab Momente, in denen ich das Gefühl hatte, dass ich einen Preis dafür zahle.

Welchen Preis zahlen Sie?

Auch wenn ich von den meisten Kolleg*innen unterstützt und ermutigt werde, ein paar wenige haben mich im Zusammenhang mit akademischen Aktivitäten zum israelisch-palästinensischen Konflikt auf unlautere Art angegriffen. Auch von den meisten Studierenden erfahre ich viel Ermutigendes, aber ein paar wenige haben anonym Beschwerde beim Präsidium eingelegt. In den Beschwerden wird mir vorgeworfen, dass mein Seminar einseitig pro-palästinensisch ausgerichtet sei. Das trifft mich in meiner Wissenschaftsehre. Die Artikel, die ich auswähle, spiegeln ausgewogen wissenschaftliche Debatten zum Konflikt wider. Außerdem sind es ausschließlich double-blind peer-reviewed Journal-Artikel. Das sind anonym geprüfte Artikel, die hohen wissenschaftlichen Standards entsprechen. Wenn diese Beschwerden dann auch noch anonym geschehen, kann ich mich nicht mal argumentativ wehren – beziehungsweise nur indirekt. Das ärgert mich und bedrückt mich sehr. Ich sehe mich als Dozierenden, der zugänglich ist für Kritik.

Fühlen Sie sich in Ihrer Arbeit von der Marburger Hochschulleitung unterstützt?

Ja, das Präsidium hat mir die Beschwerden in einem Gespräch mitgeteilt. Das ist natürlich zunächst einmal eine unangenehme Situation gewesen, aber im Gesprächsverlauf habe ich das Präsidium als echten Verteidiger von Wissenschaftsfreiheit erlebt. Das sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein, aber an manch anderen Universitäten ist das zur Zeit eben nicht so. Ich fühle mich durch das Präsidium der Universität Marburg in absolut angemessener Form unterstützt.

Wie haben Sie in Ihrem Seminar auf die Kritik reagiert?

Ich wollte den Studierenden die Transparenz entgegenbringen, die ich von Seiten der Beschwerdeführenden nicht bekommen habe. Also alles, was ich Ihnen jetzt erzähle, habe ich vorher schon meinem Seminar mitgeteilt – selbstverständlich unter Wahrung der Anonymität der Studierenden, die sich beschwert haben. Wenn es also Beschwerden gab, und es gab mehrere, habe ich es dem Seminar mitgeteilt. Ich muss aber auch erwähnen, dass mich die große Mehrheit der Studierenden und Kolleg*innen ermutigt haben, meine akademische Arbeit fortzusetzen.

Kommt denn bei so einem emotionalen und kontroversen Diskurs eine wissenschaftliche Debatte in Ihrem Seminar zustande?

Also das Seminar zieht viele an, die akademisch arbeiten wollen, aber auch solche mit politischer Agenda. Das sind einige wenige, denen es darum geht, die ein oder andere Seite des Konflikts politisch zu vertreten. Das crasht dann schon mal mit mir. Ich will, dass die Debatte in diesem Masterseminar strikt akademisch abläuft und ich bin sicherlich kein Dozent, der sich lässig zurücklehnt, wenn dies nicht geschieht. Mir liegt meine Forschung und das Thema akademisch am Herzen. Wenn Studierende Thesen vertreten, die sie nicht wissenschaftlich begründen können, reagiere ich schonmal energisch, sicherlich auch emotional. Aus der letzten Sitzung bin ich sehr erschöpft rausgegangen, aber meistens läuft es gut. Die Gesamtsicht der Studierenden auf das Seminar wird dann die Evaluierung am Ende des Semesters zeigen.

Blicken Sie der Entwicklung der öffentlichen Debatte hoffnungsvoll oder pessimistisch entgegen?

Wer heute die israelische Kriegsführung kritisiert, wird von Teilen der politischen Klasse, der Medien und sogar der Wissenschaft diffamiert und manchmal gar als antisemitisch gebrandmarkt, ohne dass es dagegen einen Aufschrei gäbe. Das bedrückt mich. Es kann eigentlich nur besser werden.


Wissenschaftliche Biografie

Martin Beck vertritt zur Zeit die Professur für Politik des Nahen und Mittleren Ostens an der Philipps-Universität Marburg. Hierfür hat er sich für zwei Jahre von seiner Professur für Internationale Beziehungen und Sicherheitsstudien an der University of Kurdistan Hêwler beurlauben lassen. Weiterhin ist er an die University of Southern Denmark angebunden und Associate am German Institute for Global and Area Studies. In Tübingen habilitierte er 2001 mit einer Arbeit zum israelisch-palästinensischen Konflikt.
Er forscht zu Internationalen Beziehungen und politischer Ökonomie des Nahen Ostens, insbesondere zum arabisch-israelischen Konflikt, zu regionaler Erdölpolitik, Rentierstaaten, Politiken der Versicherheitlichung und Mittelmeerpolitiken (insbesondere Migration).

(Lektoriert von jok, ror, hab und nir.)

studiert im Master 'Soziologie' und 'Literaturvermittlung in den Medien'. Seit 2022 in der Redaktion sowie im Lektorat aktiv und seit Januar 2023 Chefredaktion von PHILIPP.

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