Buchvorstellung Götz Aly: „Wie konnte das geschehen – Deutschland 1933 – 1945“

Buchvorstellung Götz Aly: „Wie konnte das geschehen – Deutschland 1933 – 1945“

Bild: Annabell Sent

Wie konnte der Nationalsozialismus (NS) geschehen? Wie konnten 80 Millionen Menschen davon überzeugt werden zu Mördern zu werden? In den letzten 80 Jahren wurden darüber verschiedenste Thesen aufgestellt, welche einen Punkt gemeinsam haben: Der NS war eine Ideologie. Götz Aly bricht in seinem neuen Buch Wie konnte das geschehen? – Deutschland 1933 – 1945 mit dieser These. Dieses Buch sowie die entsprechende Argumentation stellte er am 5. November im Vortragssaal des deutschen Sprachatlas vor.

Der Saal ist zu Beginn des Abends hoffnungslos überfüllt. Obwohl mit Aly einer der bekanntesten, aber auch einer der kontroversesten Historiker und Politikwissenschaftler eingeladen wurde, ist mit einem solchen Ansturm nicht gerechnet worden. Zu Beginn wird der inhaltliche Rahmen des Buches dargestellt: die Arbeitsweise, die Einordnung in die Forschungslandschaft, die persönlichen Beweggründe hinter dem Buch.

Machtergreifung und Machtsicherung

Den inhaltlichen Startpunkt des Buches und des Vortrags setzt Aly bei den Wahlsiegen und der folgenden sogenannten „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten (NSDAP). Diese sei der NSDAP allerdings nicht durch einen ideologischen Fanatismus in der Bevölkerung gelungen. Stattdessen sei Judenhass in der Weimarer Republik eine „normale“ Politik mit einem „normalen“, also rational mehrheitsfähigen Programm gewesen. Die durch diese Politik gewonnene, parlamentarische Mehrheit war mit 52% der Sitze im Reichstag jedoch zunächst nicht stabil, sondern akut gefährdet. Jede weitere Wahl bot schließlich die Gefahr der Abwahl Hitlers.

In der Folge hätte die NSDAP auf eine Politik der gezielten finanziellen Entlastung der Bevölkerung gesetzt, welche vor allem in der Arbeiterschaft eine breite politische Mehrheit für das Regime herbeiführen sollte: Arztbesuche wurden vergünstigt, Steuerlasten wurden umverlagert und die Anzahl der Urlaubs- und Ferientage wurde erhöht. Zum einen wurden diese Maßnahmen durch Schulden finanziert. Zum anderen wurden sie durch Raub an marginalisierten Bevölkerungsgruppen und in besetzten Gebieten finanziert. In der Bevölkerung entstand so ein Gefühl des wirtschaftlichen Aufschwungs. (So auch schon beschrieben in Alys Buch „Hitlers Volksstaat“: Vielmehr gelang es ihnen [den Nationalsozialisten], sie [die Deutschen] zu Nutznießern zu machen.).

Einen besonderen Schwerpunkt legt Aly auf die Integrierung der Gewerkschaften ins Regime. Die Gewerkschaften seien 1933, entgegen den allgemeinen Darstellungen in der Geschichtswissenschaft, nicht einfach zerschlagen worden. Stattdessen wurden nur die zentralen Organe angegriffen, die Einzelgewerkschaften seien jedoch größtenteils unbehelligt geblieben. Die Einzelgewerkschaften und ihre Mitglieder wurden in der Folge ins System integriert. Die kommunistische und sozialdemokratische Opposition sei somit nicht durch Terror, sondern durch gezielte integrative Politik als politische Macht ausgeschaltet und ins Regime integriert worden. Nach dem Ende des NS sei dies zudem innerhalb der Gewerkschaften gezielt vertuscht worden sein; die einzelnen Gewerkschaftler hätten sich gegenseitig gedeckt und ein allgemeines Narrativ der durch Terror ruhiggestellten Opposition geschaffen.

Die Anpassung des NS an den Weltkrieg

Einen Bruch dieser Politik hätte es erst durch den Beginn des zweiten Weltkrieges gegeben, der in der Bevölkerung größtenteils verurteilt wurde. Vor allem durch den Beginn des Kriegs gegen die Sowjetunion (SU) wäre die gesellschaftliche Zustimmung zum Regime in massiv zurückgegangen. Die SU hätte darauf mit Repressionen gegen und monetären Zuwendungen an die Bevölkerung reagiert. Einerseits wurden, finanziert durch massiven Raub in Europa, Renten und andere Sozialleistungen stark erhöht, was im Volk das Gefühl eines „umsorgenden Führers“ auslösen sollte. Andererseits sei der politische Terror ab 1942 stark angestiegen, was v.a. an den stark gestiegenen zivil- und militärgerichtlichen Hinrichtungen zu sehen sei. Aly spricht sogar davon, dass der allgemeine Terror des NS-Regimes erst 1942 wirklich begonnen habe.

Zuletzt beschäftigt sich Aly noch mit der Frage, wie der Übergang von der „Volksgemeinschaft“ in die „Verbrechensgemeinschaft“, also die kollektive Akzeptanz von Verbrechen gegen die Menschlichkeit, möglich wurde. Dies sei durch zweierlei Methoden passiert: Einerseits wurde Gewalt gegen Menschen jüdischer und generell „nicht-deutscher“ Herkunft stets von systematischer Propaganda begleitet, welche ein Gefühl des allgemeinen Hasses auf diese Gruppen vortäuschen sollte. Der Vernichtungskrieg gegen die SU sei zudem mit dem Narrativ, man sei bereits als Volk von Verbrechern gebrandmarkt, begleitet worden. Da man bereits zu viele Verbrechen begangen habe, müsse man den Krieg nun mit aller Härte und bis zum bitteren Ende führen, da die Alternative zum „Endsieg“ die Vernichtung des gesamten deutschen Volkes sei.

Ein unvollständiger Eindruck

An dieser, wie auch an anderen Stellen, offenbaren sich einige methodische und somit auch inhaltliche Schwächen des Buches. So stellt Aly etwa viele seiner Thesen anhand seiner Untersuchungen zur Württembergischen Metallwarenfabrik (WMF) auf.  Die Repräsentativität dieser Untersuchungen wird jedoch an keiner Stelle überprüft und es ist folglich fraglich, inwiefern diese Thesen belastbar sind. Zudem lässt sich aus dem Vortrag sehr gut erahnen, dass Aly als Quellen vorwiegend Akten aus dem NS verwendet hat. Dies ist prinzipiell nicht schlecht; jedoch bilden Akten immer ein bestimmtes Narrativ ab und geben lediglich Aufschluss über offizielle Vorgänge. Gerade die These, vor 1942 habe es kaum Terror durch das Regime gegeben, könnte darauf zurückzuführen sein, dass der Terror vor 1942 nicht vollständig staatlich organisiert war und somit nicht in den Akten auftauchte. Zudem bleiben die rassenideologischen und esoterischen Teile des Nationalsozialismus – also eben genau jene, welche ganz klar eine Ideologie sind – im gesamten Vortrag gänzlich unberührt.

Ein klares Bild vom Vortrag ergibt sich somit am Ende des Tages nicht. Denn viele der Ansätze, die Aly präsentiert sind durchaus gut – und viele seiner Thesen auch gut begründet. Doch an einigen Stellen – vor allem im Falle der besonders steilen Thesen wie dem fehlenden Terror vor 1942 und der angeblichen Lüge von der Zerschlagung der Gewerkschaften– bleibt fraglich ob diese so haltbar sind. Dies kann einerseits daraus resultieren, dass ein Buch von über 700 Seiten in weniger als 90 Minuten vorgestellt werden musste. Andererseits kann es aber auch an systematischen Mängeln am Buch liegen. Es wirkt deswegen am Ende irgendwie bezeichnend, dass Aly in der ansonsten kaum aufschlussreichen Diskussionsrunde am Ende nochmal extra betonen muss, dass er den Nationalsozialismus natürlich nicht gut findet; und das Gegenteil hätte man ihm anhand des Vortrags durchaus unterstellen können.

(Lektoriert von sel und ans.)

Lernt im Studium der Geschichte und Politikwissenschaft an der Philipps-Universität von verschiedenen Philipps, schreibt beim PHILIPP Magazin manchmal über Philipps und kann schlechte Philipp-Wortwitze langsam nicht mehr hören. Seit 2025 bei PHILIPP.

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