Digitale Medien und Social Media im Studierendenalltag – Von Arbeitsmittel bis Abhängigkeit

Digitale Medien und Social Media im Studierendenalltag – Von Arbeitsmittel bis Abhängigkeit

Bild: H. Benner

Bei der Vorlesung Dokumente über Ilias öffnen und am Laptop mittippen, zuhause erstmal Instagram checken und im Hintergrund YouTube-Videos laufen lassen – digitale Medien und Plattformen begleiten Studis in verschiedenen Formen durch ihren gesamten Uni-Alltag. Doch wann wird die zum Lernen und Arbeiten, aber auch in der Freizeit kaum zu umgehende Bildschirmzeit zu einer Abhängigkeit, die keinen Platz mehr für anderes lässt und was könnt ihr dagegen tun?

Der Alltag der meisten Studierenden wird durch digitale Medien geprägt. Während der Vorlesungen werden Notizen und Markierungen auf Laptop oder iPad gemacht. Die vorlesungsbegleitenden Materialien und Lektüren werden auf der Lernplattform Ilias hochgeladen und von den Student*innen vorwiegend digital bearbeitet. Genauso werden ihnen auf das Studium bezogene Informationen über den Uni-Mailverteiler zugestellt. Auch in der Freizeit begleiten uns digitale Medien. Nachrichten werden über WhatsApp an Freund*innen geschickt, Stories auf Instagram gepostet oder Videos auf TikTok oder YouTube angesehen.

Somit ergeben sich für viele Studierende sehr lange tägliche Bildschirmzeiten, wie eine nicht-repräsentative Instagram-Umfrage des PHILIPP-Magazins bestätigt: 52% der Teilnehmenden haben eine tägliche Bildschirmzeit von 3-6 Stunden und 19% der Teilnehmenden verbringen sogar 6-9 Stunden am Bildschirm. 64% der Befragten konsumieren davon 0-3 Stunden Social Media und 33% der Befragten verbringen 3-6 Stunden auf Social Media-Plattformen.

Keine anerkannte Sucht

Wie gesund oder ungesund der Social Media-Konsum der Studierenden ist, ob er vielleicht sogar als problematisch eingestuft werden könnte, wollte PHILIPP herausfinden und hat deshalb Christian Montag befragt. Er ist Professor für Molekulare Psychologie an der Universität Ulm und erforscht seit Jahren, welche Folgen die Digitalisierung für das Wohlergehen der Menschen hat. Dabei bedient er sich der Neurowissenschaften, um Unterschiede im menschlichen Verhalten aufgrund von molekularen Grundlagen zu identifizieren. Zuletzt veröffentlichte er die Bücher DU GEHÖRST UNS! über den Datenkapitalismus und Zwischen Bildschirmen und Bäumen. In Letzterem beschreibt er eine Art ‚Videokonferenzen-Müdigkeit‘ und wie positiv sich die Natur auf Menschen auswirkt. Zusätzlich haben wir uns eine weitere Expertenmeinung von der Arbeitsgruppe Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Uni Marburg, geleitet von Professor Dr. Winfried Rief, eingeholt. Dr. Lukas Basedow, der unsere Fragen beantwortet hat, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter dieser Arbeitsgemeinschaft und beschäftigt sich viel mit dem Thema Sucht.

Der Suchtbegriff für Menschen, die von sozialen Medien abhängig sind, sei aktuell noch nicht anerkannt, so Montag. Am Beispiel der anerkannten Gaming Disorder erklärt er, eine Abhängigkeit zeige sich an dem Kontrollverlust über das eigene Nutzungsverhalten und der Priorisierung des Computerspielens über andere wichtige alltägliche oder berufliche Aufgaben. Es würden auch funktionelle Beeinträchtigungen wie erhöhter Leidensdruck, erhöhte psychische Belastung und Leistungsabfall auftreten. Insgesamt müssten derartige Symptome seit zwölf Monaten vorherrschen, damit von einer Sucht gesprochen werden könne. Basedow ergänzt, es gebe allgemeine Symptome, die bei jeder Abhängigkeitserkrankung ähnlich seien. Dazu zähle das ‚Craving‘ oder Verlangen als stark ausgeprägter Wunsch, dem entsprechenden Verhalten nachzukommen. Es trete auch Toleranz auf. „Toleranz bedeutet, dass die gleiche Menge an Konsum (z. B. Zeit auf Social Media) nicht als ausreichend empfunden wird und sich immer mehr steigert.“ Vernachlässigung als weiteres Symptom beschreibt, dass andere Aktivitäten und Verpflichtungen aufgrund der Abhängigkeit vernachlässigt würden. Das Symptom ‚Entzug’ meine bei einer Verhaltensabhängigkeit, dass Betroffene ohne entsprechendes Verhalten unruhig würden, schlechter gelaunt seien als sonst oder gereizter seien. Zudem komme es zum Konsum trotz schädlicher Folgen, wenn „Menschen weiter konsumieren, obwohl sie klare Nachteile durch den Konsum erfahren“. ‚Kontrolle’ als weiteres Symptom bedeute, dass die Menschen die Kontrollfähigkeit über ihren Konsum verlieren würden. Von einer Abhängigkeitserkrankung spreche man im Allgemeinen, wenn drei dieser sechs Kriterien erfüllt seien. Für eine aussagekräftige Diagnostik brauche es jedoch immer medizinisches oder psychologisches Fachpersonal, so Basedow.

Hohe Bildschirmzeit – was jetzt?

Ein problematischer Konsum von Social Media äußere sich an der subjektiven Belastung, die von ihr ausgeht, erläutert Basedow. Wenn Fragen wie „Führt die Nutzung von sozialen Medien zu Schwierigkeiten im Alltag? und „Dient die Nutzung von sozialen Medien dazu, sich von anderen Problemen abzulenken?“ mit „Ja“ beantwortet würden, sei dies ein Indiz, dass die Nutzung sozialer Medien einen negativen Einfluss auf das Leben habe.

Um eine problematische Social Media-Nutzung zu verhindern, könne man beispielsweise nur die Apps auf dem Smartphone besitzen, die dauernd verfügbar sein müssen, schlägt Montag vor. Andere Plattformen könne man stattdessen nur auf dem Computer nutzen. Studien hätten gezeigt, dass auch durch Aktivierung des Graumodus die Social Media-Nutzungszeit reduziert werden könne. Montag empfiehlt außerdem, Push-Benachrichtigungen auszustellen, sodass man weniger von neuen Beiträgen abgelenkt und nicht dazu verleitet werde, mehr Zeit auf den verschiedenen Plattformen zu verbringen, sondern das Gerät leichter abstellen könne. Des Weiteren kann es auch sinnvoll sein, sich klare zeitliche Limits zu setzen oder App-Sperren nach einer gewissen Nutzungsdauer zu aktivieren, damit man sich nicht auf den Social Media-Plattformen verliert.

Soziale Medien sollten also bewusster genutzt und mehr Zeit in Tätigkeiten investiert werden, die das eigene Wohlbefinden fördern, indem sie fernab von der Online-Welt stattfinden. Dadurch kann es auch leichter fallen, die Apps zu verlassen, da man sich darauf freut, einem Hobby oder einer Sportart nachzugehen. Weil viele Studierende bereits für ihr Studium digital arbeiten und lernen, ist es umso wichtiger einen Teil der Freizeit ohne Bildschirm zu verbringen. Dies kann dann einen erholsamen Ausgleich zum teilweise sehr stressigen Studienalltag schaffen.


Wenn ihr Interesse habt, könnt ihr Christian Montag und den Londoner Fotografen John Wright anonym bei einer Studie über die Wirkung von Kunst im Instagram-Zeitalter unterstützen.

(Lektoriert von jok, hab und let.)

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