Eine ungerade Anzahl Datteln: Ramadan 2023 in Marburg
Zügig laufe ich durch die angenehm kühle Nacht, das Kopftuch um mich flatternd. Ein Blick nach hinten bestätigt, dass der vermeintliche Muslim immer noch hinter mir her Richtung Moschee läuft. Es ist kurz vor 22 Uhr am Abend des 28. Ramadan-Tages und somit fast Zeit für das Ishaa (Nacht)-Gebet und das spezielle Ramadangebet (Salat at-Taraweeh). In der Marburger Moschee wird dieses während des Fastenmonats jeden Abend nach dem gemeinsamen Fastenbrechen angeboten, es handelt sich bei dem Gebet um eine Sunnah, eine belegte Lebenspraxis des Propheten Muhammed, die alleine oder in der Gemeinschaft verrichtet werden kann. Je näher man in diesen letzten Nächten des heiligen Monats der Moschee kommt, desto mehr Muslime werden einem begegnen. Manche halb schlaftrunken von dem neuen Lebensrhythmus und den nächtlichen Taten, andere voller Elan von ihrem kräftigen Kaffee nach dem Maghrib (Abend)-Gebet. Vor der Moschee spielen Kinder Fußball, drinnen geht es hastig zu. Noch bevor ich meine Schuhe ausziehen kann, wünscht mir eine Bekannte mit den Worten „Ramadan mubarak!“ einen schönen Ramadan und umarmt mich herzlich. Sich gegenseitig vorzustellen ist hier keine Praxis der reinen Höflichkeit, es zu unterlassen verbietet sich fraglos und so lerne ich noch schnell die Mädchengruppe kennen, die sie umgibt. Als ich etwa zwanzig Minuten vor der Gebetszeit in den mit türkisem Teppich gesäumten Raum trete, werde ich direkt eingenommen vom geschäftigen Summen verschiedener Qur’anrezitationen und Dhikr (Aussprüche zum Gedenken und Lob Allahs). Die Lichterkette mit den winzigen Laternen blinkt bunt, an den Wänden hängen Girlanden. Bald schon ertönt der Adhan, der Gebetsruf, und das Summen wird abgelöst von Stille; nach dem Heben der Hände zum rituellen Gebet ruht jeder – bis auf die bisweilen tobenden Kinder – in sich selbst.
Warum fasten Muslime im Ramadan?
Trotz immer neuer Versuche zur Aufklärung, hält sich die Behauptung, die Idee des Ramadans sei es, „das Leid der Armen und ihren Hunger zu spüren“ und somit zu lernen, das zu schätzen, was man hat und empathischer zu werden. Auch wenn das wohl eine leichter nachvollziehbare Begründung ist, ist sie faktisch fehlerhaft.
Muslime fasten aus zwei Gründen: erstens, weil Allah es ihnen befohlen hat und zweitens, damit sie Taqwah (Gottesfurcht) erlangen – so steht es schließlich im Qur’an. Durch den Verzicht auf das, was normalerweise erlaubt ist, wird die Seele der Gläubigen erzogen: Im Ramadan lernen sie, wozu sie auch außerhalb des Monats fähig sind. Der Verzicht auf alles, was sowieso verboten ist, wird vorausgesetzt für ein erfolgreiches Fasten.
Deshalb geht es nicht nur um das ‚Aufschieben‘ von Essen, Trinken und Geschlechtsverkehr (sowieso nur mit dem:der Ehepartner:in) bis das Tageslicht weicht, die gewonnene Zeit gibt Raum dafür, seine guten Taten zu vermehren. Manche Muslimas beginnen, sich mehr zu bedecken, manche beten die Sunnah-Gebete – allen voran das Taraweeh-Gebet, welches es nur im Ramadan gibt –, in keinem Monat wird so viel gespendet wie im Ramadan. Eine zeitaufwändige Zubereitung des Essens wird immer mehr zur Nebensache und obwohl es in vielen Kulturen und Familien Tradition ist, viel aufzutischen, ist das nicht im Sinne des Ramadans. Aber auch diejenigen, die vom Fasten befreit sind (und es gibt eine Reihe an möglichen Gründen dafür), haben Anteil an dem heiligen Monat. So ist das Essen in der Gemeinschaft besonders gut geeignet, um den Lohn für das Fasten zu bekommen; hilft man jemandem dabei, sein Fasten zu brechen, gilt der Lohn für beide. In der Marburger Moschee wird jeden Abend zusammen Iftar (Abendessen/ Essen zum Fastenbrechen) gegessen, das Fastenbrechen erfolgt, sobald der Adhan ertönt, mit einer ungeraden Anzahl an Datteln und Wasser. Auch für das Suhoor (Frühstück/ Mahlzeit vor dem Beginn des Fastens) gibt es ausreichend Angebote von der Moschee und der Muslimischen Hochschulgemeinschaft in Marburg.
Wann beginnt und endet der Ramadan?
Die überraschende Nachricht dürfte sein, dass nicht einmal Muslime mit langjähriger Fastenerfahrung so genau wissen oder zuvor sagen können, wann der Ramadan beginnt oder endet. Generell werden zwei Gruppen unterschieden: die eine richtet sich nach dem islamischen Kalender, die andere wartet auf die Neumondsichtung. Letztere weiß dann auch nicht, wann der erste Fastentag verrichtet werden muss oder das Eid-al-Fitr (Fest des Fastenbrechens) stattfinden wird, bis es denn wirklich so weit ist.
Auch wenn Ramadan vorbei ist, ist es das Fasten nicht: Es ist eine empfohlene Praktik des Propheten Muhammed, im auf den Ramadan folgenden Monat Shawwal sechs weitere Tage zu fasten, aber auch andere Tage werden besonders für die freiwillige Tat des Fastens empfohlen, zum Beispiel Montage und Donnerstage oder der 13., 14. und 15. des jeweiligen islamischen Monats.
Eid-al-Fitr in Marburg
Zum Festgebet kommen besonders viele Muslime zusammen, weshalb dieses oft nicht in der Moschee stattfinden kann. Außer des zu beklagenden Platzmangels in der Moschee, ist es auch einfach besonders schön, zum Fest des Fastenbrechens, dem Eid al-Fitr, zusammen draußen zu beten. Das Gebet findet daher in Marburg normalerweise unter freiem Himmel im Georg-Gassmann-Stadion statt. In diesem Jahr sollte es allerdings in einer Sporthalle auf dem Gelände stattfinden, weil die Wettervorhersage nicht besonders berauschend klang. Nachdem es jedoch zu einem zu dem Zeitpunkt ungeklärten Zwischenfall kam, musste das Gebet auf dem Parkplatz vor dem Stadion verrichtet werden. Während der Räumung des Geländes und der allgemeinen Ratlosigkeit, was gerade passierte, blieben alle ruhig und besonnen. Entgegen anderen Berichten wurde während des Platzwechsels allerdings nicht gesungen, sondern lediglich der Takbeerat-al-Eid (Lob- und Dankpreisungen für Allah) aufgesagt. Trotz der – wie sich später herausstellte – ziemlich ergebnislosen Bombendrohung, die ein großes Polizeiaufgebot zur Folge hatte, wurde das Fest noch ausgiebig vor der Moschee gefeiert. Dieser Vorfall kam für die in Marburg lebenden Muslime mehr als überraschend, da es hier relativ sicher ist und die meisten Menschen sehr aufgeschlossen sind. Spätestens, als in der Festtagspredigt auf die Menschen in Krieg und Unterdrückung verwiesen wurde, die täglich Bedrohungen ausgesetzt sind, wurde klar, dass ein Vorfall wie dieser nur eine Erinnerung an all das Gute ist, das wir haben.
ist 1998 in Nordrhein-Westfalen geboren und lebt seit 2019 in ihrer Wahlheimat Marburg. Seit Mai 2023 ist sie Mitglied der Redaktion und des Lektorats bei PHILIPP. Sie ist interessiert an allem, was politisch, kreativ oder kontrovers ist und studiert in all diesen Bereichen.